Die fehlende Wertschätzung der Pflegearbeit, wird von der Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen als bedrückend empfunden. Der angesammelte Unmut verdichtet sich zunehmend in Widerstand, wobei die Salzburger Spitalsangestellten heute an der Spitze stehen. Martin Wieland, Vertrauensperson am AKh Linz mit Streikerfahrung in seiner eigenen Abteilung, umreißt die akuten Fragestellungen und skizziert mögliche Antworten.
CaRevolution
Die Salzburger Initiative „CaRevolution“ entstand aus der Empörung der dortigen Kolleginnen und Kollegen, dass im Rahmen der Verhandlungen über höhere Ärztegehälter die Anliegen der Pflegekräfte nicht berücksichtigt werden sollten. Schon die Wochen und Monate davor war österreichweit die öffentliche Debatte über die neuen, von der EU geforderten Spitalsarbeitszeiten sehr einseitig ausgefallen. So wurde generell nur von den Ärzten gesprochen, die davon betroffen wären, obwohl es sich um eine Richtlinie für SPITALS-Arbeitszeiten handelte. Wenn die Pflege in öffentlichen Stellungnahmen erwähnt wurde, dann meist nur im Zusammenhang damit, dass es zu einer (weiteren) Verlagerung von Aufgaben an die Pflege kommen müsse. Das schlug vielen Pflegerinnen und Pflegern mitten ins Gesicht. War doch in den letzten Jahren der Berufsalltag von einer stetigen Intensivierung geprägt, vor allem in den Spitälern: Immer mehr Menschen werden pro Jahr in den Krankenhäusern behandelt, dies aber in immer kürzeren Zeiten. Der Arbeitsaufwand vor allem rund um Aufnahmen und Entlassungen steigt rasant. Es kommt zu mehr Untersuchungen pro Jahr, mehr Operationen usw. – Natürlich spüren das auch die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Doch sie konnten sich in der Spitalshierarchie bisher besser durchsetzen. Immer mehr ärztliche Tätigkeiten wurden an das Pflegepersonal delegiert. Während aber nun die Ärzteschaft in einer Reihe von Bundesländern eine wesentliche Erhöhung ihrer Grundgehälter erkämpfen konnte, sollte die Pflege wieder einmal durch die Finger sehen.
Der Zorn sitzt tief und erklärt den Kampfgeist der CaRevolution. Durch die rasant wachsende Facebook-Initiative, die auf einem realen Arbeitskampf basiert, macht der pflegerische Zorn nun endlich auf sich aufmerksam. Die Salzburger Kolleginnen und Kollegen, die bundesweit zu den am schlechtesten Entlohnten gehören, fordern 30% mehr Grundgehalt. CaRevolution hat, zumindest im Netz, bereits ihre Ableger. So zum Beispiel in Oberösterreich, wo das Spitalspersonal schon auf eine eigene reiche Erfahrung der letzten Jahre zurückgreifen kann. Verordnete Nulllohnrunden auf der einen Seite, vermehrte Aufgaben (wie z.B. im Zuge der oberösterreichischen Spitalsreform) auf der anderen Seite führten hier schon zur ersten zarten Etablierung einer Streikkultur im Gesundheitsbereich. Und ganz wichtig: Alle vier betroffenen Gewerkschaften der Spitalsangestellten wurden durch ihre Betriebsräte erfolgreich dazu animiert, erste Schritte der Zusammenarbeit zu realisieren, die „Operation Menschlichkeit“ (auch auf Facebook zu finden), mit konkreten Forderungen für das Spitalspersonal, entstand. Und momentan sind alle vier Gewerkschaften, koordiniert durch ein gemeinsames Team, mit Landeshauptmann Pühringer in Verhandlungen über eine Erhöhung der nichtärztlichen Gehälter getreten.
Salzburg
In Salzburg und Oberösterreich steht jetzt der Arbeitskampf auf der Tagesordnung. In Salzburg war ursprünglich geplant, ab 1. April in eine erste Eskalationsstufe zu treten und „Dienst nach Vorschrift“ zu tun, sollte die Landesregierung nicht einlenken. Nun ist es zu einer Verlängerung der Verhandlungsphase gekommen. Es fehlt hier der tiefere Einblick in die Salzburger Verhältnisse, doch die Kommentare auf der Facebook-Seite der CaRevolution zeigen, dass diese Entscheidung keineswegs unumstritten ist. Es ist zu vermuten, dass einiger Druck auf die Kollegenschaft ausgeübt wurde. Wie sonst ist es zu erklären, dass dienstags zum zweiten Mal eine Abstimmung durchgeführt wurde, nachdem sich die Belegschaft am Montag noch gegen die Verlängerung der Betriebsvereinbarung ausgesprochen hatte? Dass trotzdem zwei Bereiche (Anästhesie und der HNO-OP) das Votum der Mehrheit nicht hinnehmen wollen und sich seit Dienstag tatsächlich in einem wilden Streik befinden, offenbart den vorhandenen Kampfeswillen. Die überwiegend negative Aufnahme der einmonatigen Schlichtungsphase (zumindest auf der CaRevolution-Site) sollte allen Beteiligten zu denken geben. Natürlich ist noch nicht alles verloren. Anscheinend haben aber viele ein ungutes Gefühl, wenn sie in Gedanken die Bereitschaft zur Auseinandersetzung von Betriebsrat und Gewerkschaft erwägen. Und wirklich ist dies eine der größten Herausforderungen vor der wir in der jetzigen Zeit stehen: wie können Betriebsratsgremien und Gewerkschaften dem enormen Druck standhalten, dem sie ausgesetzt sind? Wie stehen da die Dinge in Oberösterreich?
Oberösterreich
Während in Salzburg mit den 30% eine klare Forderung auf dem Tisch liegt, belässt das gewerkschaftliche Verhandlungsteam in Oberösterreich die Sachlage noch mehr in der Schwebe. Zwar werden die 20% Unterschied zu Niederösterreich allerorten medial betont, doch zu einer eindeutigen Forderung an Landeshauptmann Pühringer kam es bisher nicht. Bei der ersten Verhandlungsrunde wurde eine Arbeitsgruppe installiert, die die „Zahlen, Daten und Fakten“ bezüglich der Gehaltsunterschiede zwischen den Bundesländern beim nicht-ärztlichen Personal eruieren soll. Die Arbeitsgruppe soll einen Konsens über die vorhandene Datenlage erzielen. Danach will sich das gewerkschaftliche Verhandlungsteam konkrete Forderungen überlegen und über Betriebsversammlungen absegnen lassen. Soweit, so gut? Auch hier lassen sich einige Bedenken nicht ganz zum Schweigen bringen: Es gibt anscheinend noch keine konkreten Pläne für gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen oder sie werden noch geheim gehalten. Bisher ist man ohne einer vorherigen Mobilisation der Belegschaften (Betriebsversammlungen, öffentliche Aktionen) in Verhandlungen mit dem Landeshauptmann getreten. Man will anscheinend Pühringer keine konkrete Zahl als Forderung vorlegen, sondern zuerst einmal warten, was – nach der Sichtung der Datenlage - von ihm kommt. Es wird von Seiten der Gewerkschaft generell kein Masterplan vorgelegt, wie man sich den Ablauf des Arbeitskampfes vorstellt. Bis wann wird verhandelt, unter was geht man sicher nicht, wie sollen die Belegschaften in Aktion kommen usw.? Wenn die Kolleginnen und Kollegen darüber lange in Unkenntnis belassen werden, können sie nicht ausreichend und schnell genug in Aktion kommen und das Verhandlungsteam gerät zu sehr in die Mangel von Geschäftsführungen und Landesregierung. Bisher wurde auch noch nicht unmissverständlich verlautbart, dass es einen Gehaltsabschluss nur mit einer Urabstimmung (so wie bei den Ärzten) geben wird. Hoffentlich zeigt die Zukunft, dass diese Sorgen unbegründet sind. Gerade hier könnte eine Chance der CaRevolution Oberösterreich-Initiative bestehen: indem sie Druck von unten aufbaut, damit die beteiligten Gewerkschaften dem Druck des Landes standhalten können und den Anforderungen eines kämpferischen und demokratischen Arbeitskampfes genügen! Gleichzeitig sollten alle Kolleginnen und Kollegen in Salzburg und Oberösterreich ab jetzt nichts unversucht lassen, um ihre jeweilige gewerkschaftliche Stärke zu bündeln um einen länderübergreifenden Arbeitskampf zu führen.
Gesundheitsgewerkschaft
Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass sich die Gründung einer Gesundheitsgewerkschaft für ganz Österreich aufdrängt. Gerade die neueren Erfahrungen aus Arbeitskämpfen, wie zum Beispiel in Oberösterreich, stoßen Betriebsratskörperschaften und Belegschaften gleichermaßen auf das riesige Hindernis, das die Zersplitterung der gewerkschaftlichen Organisierung des Gesundheitspersonals darstellt. Damit sei neben der Trennung in Ordens, Landes- und Gemeindespitäler auch die Zersplitterung zwischen den ärztlichen und nicht-ärztlichen KollegInnen angesprochen! Gerade im Gesundheitsbereich werden sich in der kommenden Periode die größten Kämpfe der gesellschaftlichen Umverteilung abspielen. Gerade an einem schlagkräftigen und einheitlichen Widerstand wird sich entscheiden, in welche Richtung diese Umverteilung gehen wird und ob dem „von unten nach oben“ eine erfrischende Trendwende entgegensetzt werden kann. Schon jetzt ist nämlich klar: Es wird um alles gehen! Das zeigt sich in Wien z.B. bei den Ärzten. Das Streichen von hunderten Stellen soll der Gehaltserhöhung auf dem Fuße folgen. Selbst wenn wir jetzt eine kräftige Gehaltserhöhung erkämpfen sollten, werden wir bald vor der nächsten Zumutung stehen!
Also ist eine größtmögliche Konzentration unserer Kräfte unerlässlich. Diese Konzentration sollte bei einer neuen Gesundheitsgewerkschaft zu einer Verbreiterung und Vertiefung unserer Kampffähigkeit führen. Dafür müssen wir weg von der „Vertretungs“gewerkschaft hin zu einer Gewerkschaft von Aktivistinnen und Aktivisten. Wir sollten ein Verständnis dafür entwickeln, dass die wichtigste Keimzelle für eine starke Gewerkschaft auf Stations- und Abteilungsebene liegt. Diese Gruppen am „Herz der Basis“ sollten der Schrittmacher für die Arbeitskämpfe und die anderen gewerkschaftlichen Aktivitäten sein. Des Weiteren sollte sich eine neue Gesundheitsgewerkschaft die bisherigen Erfahrungen der letzten internationalen Arbeitskämpfe zunutze machen. Diese Erfahrungen weisen alle in dieselbe Richtung: ein Arbeitskampf wird nur dann als ausreichend geführt erlebt (selbst bei einer Niederlage!), wenn die gesamte Mitgliedschaft bis zum Schluss Regie führt. Will heißen: Keine Aufnahme oder Beendigung von Arbeitskämpfen ohne das demokratische Votum der Betroffenen, sei dies nun direkt oder durch Delegierte, die effektiv von unten kontrolliert werden. Es geht also um die Wiedergewinnung einer ursprünglichen gewerkschaftlichen Würde, wo jeder sagen kann: Über Sieg oder Niederlage entscheide ich bewusst mit! Doch mit der Demokratie allein ist es noch nicht getan! Denn gerade die Salzburger Situation zeigt, dass wir auch den Mut entwickeln müssen, nach der xten Deadline auch tatsächlich zu kämpfen! Wir brauchen also eine Gesundheitsgewerkschaft mit Streikfähigkeit. Nur eines davon wird uns nicht ausreichend weiter bringen.
In der kommenden Zeit werden zahlreiche Debatten zu führen sein. Nutzen wir alle Kanäle, wie z.B. die „CaRevolution“ oder auch die „Operation Menschlichkeit“, um jede notwendige Diskussion – nicht nur unter dem Pflegepersonal! – österreichweit loszutreten!
Eine Linksammlung unserer Beiträge zum Gesundheitssektor findest du hier:
http://www.derfunke.at/aktuelles/oesterreich/2022-streik-am-akh-linz-28-maerz-2012-funke-special