Im Gesundheits- und Sozialbereich gibt es immer mehr Widerstand und Arbeitskämpfe. Dies ist eine Reaktion der Beschäftigten auf den immer stärker werdenden Druck. Neue Fragestellungen beleuchtet Lis Mandl.
Aktuell kämpft der Betriebsrat von Neustart mit der GPA-djp mit einer Öffentlichkeitskampagne, Unterschriftenlisten und einer Protestkundgebung gegen die Budgetkürzungen 2016. Kurz zuvor waren die ElementarpädagogInnen auf der Straße sowie die Beschäftigten im AMS-Bereich. Das Pflegepersonal rund um die Plattform Care Revolution mobilisierte mehrmals und schloss sich auch mit den Protesten der ÄrztInnen kurz. Es tut sich was im Gesundheits- und Sozialbereich und dabei sind hier die Aktivitäten in den Bundesländern noch gar nicht aufgelistet. Nach den massiven Einsparungen vor allem in der Steiermark und Kärnten sowie den Arbeitskämpfen in Oberösterreich strebt die Branche danach sich neu aufzustellen. Dabei wird auch zu unorthodoxen Verhandlungstaktiken und Aktionen gegriffen – oft auch abseits der gewerkschaftlichen Strukturen.
Bessere Bedingungen im Alleingang
Doch preschen immer wieder auch einzelne Berufsgruppen vor, da sie nicht mehr länger auf bessere Zeiten warten wollen, sondern versuchen ihren spezifischen Verhandlungsvorteil zu nutzen.
Ein gutes Beispiel dafür sind die ÄrztInnen, die mit Asklepios sogar eine eigene Gewerkschaft gründeten. Ähnlich agiert auch das Pflegepersonal der operativen Intensivstationen A und B des AKh Linz, das sich nach dem Abschluss der Lohn- und Gehaltsverhandlungen des Gesamtsektors mit dem Erreichten nicht zufrieden gab und den Arbeitskampf um höhere Löhne an ihren Stationen weiterführt. Es sind also insbesondere hochspezialisierte Berufsgruppen, die ausscheren und ihre berufliche Spezialisierung in bessere Arbeitsbedingungen und Löhne ummünzen wollen.
Praxis-Beispiel VKKJ
Das VKKJ betreibt sozialpädiatrische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und/oder Entwicklungsverzögerungen und beschäftigt etwa 300 MitarbeiterInnen. Wie für viele Vereine im Sozialbereich gibt es hier eine Anlehnung an das Lohnschema der Gemeindebediensteten. Die Beschäftigten selbst werden aber von der GPA-djp vertreten. Die jährliche Valorisierung der Löhne in der VKKJ erfolgt analog der Verhandlungsergebnisse der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG), worauf weder die Beschäftigten noch der Betriebsrat Einfluss nehmen können, da sie ja Mitglieder der GPA-djp sind. Soweit so schlecht. Gleichzeitig gibt es ähnliche sozialpädiatrische Einrichtungen wie die „Wiener Sozialdienste“, die dem von der GPA-djp verhandelten Kollektivvertrag BAGS unterliegen und damit deutlich höhere Vergleichsgehälter im Therapiebereich haben. Diese Trägerstrukturen und die unterschiedlichen gewerkschaftlichen Vertretungen sind historisch gewachsen: Die VKKJ entstand als unabhängige Elterninitiative in den 1970ern, die „Wiener Sozialdienste“ sind ein von der Gemeinde Wien ausgelagertes Unternehmen. Beide bieten überschneidende Dienstleistungen an, die Entlohnung ist jedoch an unterschiedliche Kollektivverträge gebunden und daher gibt es hier große Unterschiede.Angesichts der gesetzlichen Umsetzung der Arbeitszeitbeschränkung für Ärzte und Pflegepersonal an den Spitälern drohten hier massive Gehaltseinbußen durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen. Daher kam es in fast allen Bundesländern zu Arbeitskämpfen, um höhere Grundgehälter an den Spitälern durchzusetzen.
In Wien wurden diese Verhandlungen von der GdG geführt und die wurde durch das mehrmalige Einschreiten der ÄrtztInnen gezwungen eine Erhöhung der ärztlichen Grundgehälter im Krankenanstaltenverbund (KAV) von 20 % durchzusetzen. Es versteht sich von selbst, dass die beschäftigten ÄrztInnen der VKKJ die 20%-Lohnerhöhung der KAV-FachärztInnen für sich fordern, während ein anderer Teil der Belegschaft wiederum den Eintritt in den BAGS-KV favorisiert, da die anderen Berufsgruppen des Unternehmens hier deutlich besser abschneiden.Diese Spaltung kann sich die Geschäftsleitung der VKKJ nun zunutze machen, indem sie in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer laut über einen neuen Kollektivvertrag für sozialpädiatrische Einrichtungen nachdenkt. Dass dieser neue KV sowohl unter jenem des KAV als auch unter dem Niveau des BAGS liegen soll, versteht sich hier von selbst.
Gewerkschaften machen mit
Trotz massiver Unterversorgung im pädiatrischen Bereich (die Wartezeiten für einen Therapieplatz belaufen sich auf ein bis zwei Jahre) wird mit Hilfe der (öffentlichen) Geldgeber zwischen den verschiedenen Anbietern eine Konkurrenzsituation erzeugt, die auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Diese Situation will man festschreiben, indem das gesamte Lohnniveau der sozialpädiatrischen Einrichtungen mit einem neuen Kollektivvertrag nach unten gedrückt wird.
Dieser spezifische Prozess ist typisch für die Branche, und die Gewerkschaften machen bei dieser Kannibalisierung mit. Ständig werden neue Kollektivverträge unterschrieben, die ein gemeinsames Vorgehen der Beschäftigten der Gesamtbranche erschweren. So gelingt es die öffentlichen Ausgaben für den Sozial- und Gesundheitsbereich auf Kosten der Beschäftigten zu drücken. Zum Beispiel wurden KV für private Rehakliniken, physikalische Institute etc. abgeschlossen. All diese Mini-KVs liegen deutlich unter dem Niveau vom „Haupt-KV“ des Sozialbereichs, dem BAGS.
Diese neuen Verträge helfen also die Spaltungs- und Konkurrenzmechanismen in der Gesamtbranche anzuheizen. In den Augen der Gewerkschaftsapparate wird der Solidarität Genüge getan, indem sie es sind, die die Kampffähigkeit der Branche durch ihre Unterschriften permanent untergraben. Für die Beschäftigten ist dieser bürokratische Zugang unzureichend.
Die Einheit praktisch herstellen
Es gilt die Dynamik der Zersplitterung aufzuhalten, indem man sich die unterschiedlich gelagerte Kampffähigkeit der einzelnen Berufsgruppen in der Branche solidarisch zunutze macht. Die spezialisierteren (und damit oft kampffähigeren) Berufsgruppen werden sich nur dann in einen gemeinsamen Kampf einordnen, wenn die Gesamtbranche sich auf eine Verbesserung für alle Beschäftigten orientiert. Die Gewerkschaftsführungen agieren genau umgekehrt: Sie höhlen die Arbeitsbedingungen durch die Untergrabung des BAGS nach unten aus, und legen jenen KollegInnen, die die Möglichkeit sehen ihre Situation nach oben zu verbessern, Knüppel in den Weg. Dies tun sie dabei aus dem Selbstinteresse ihres Apparates heraus. Sie wollen den Alleinvertretungsanspruch der Beschäftigten nicht aufgeben, denn das ist immerhin die Legitimation ihrer materiellen Existenz.
Die Forderungen einer kämpferischen Interessensvertretung dagegen lauten:
- Für einen einheitlichen Kollektivvertrag der Gesamtbranche!
- Ein Betrieb, eine Branche, eine Gewerkschaft – Für eine Gesundheits- und Sozialgewerkschaft!
- Sozialausbau statt -abbau – soziale Arbeit ist mehr wert!
Diese Kritik an der gewerkschaftlichen Interessenvertretung muss jedoch auch praktisch erfolgen, nur so kann sie an Gewicht gewinnen und Resultate in Form von besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen erzielen. Im Bereich der sozialpädiatrischen Einrichtungen gibt es jetzt die ersten Versuche, sich über die Betriebsgrenzen hinweg betriebsrätlich zu vernetzen. Dies stärkt einerseits die Verhandlungsmacht im Betrieb, bietet aber andererseits für die anderen Betriebe der Branche die Sicherheit, dass ein Betrieb nicht zum Sprungbrett für einen schlechteren Mini-KV für alle werden wird. Diese Vernetzungen erfolgen auf Eigeninitiative der betroffenen Belegschaften, eine Selbstaktivierung die absolut notwendig ist um der Ökonomisierung des Sozialbereichs standzuhalten.
Die Autorin ist Betriebsrätin der VKKJ und Aktivistin der IG work@social Wien