Ein solider Ärztestreik in Wien, der gegen den Willen des ÖGB durchgeführt wurde, und nun die Gründung einer „unabhängigen Pflegegewerkschaft“. Das von den ÖGB-Gewerkschaften mitgetragene Sparregime im Gesundheitssektor führte zu Massenunmut der Beschäftigten. Dieser organisiert sich zunehmend außerhalb der Sozialpartnerschaft. Von Martin Wieland.

Am 22.9. gingen in Wien 2000 ÄrztInnen auf die Straße. Berücksichtigt man die durchgeführten Notdienste wurde der Streikaufruf der Ärztekammer damit annähernd vollständig befolgt. Der Streikbeschluss ist weiter aufrecht, vorerst jedoch ausgesetzt, da die Stadt Wien ihre arrogante Haltung vorerst aufgegeben hat und sinnvolle Gespräche mit der Ärzteschaft führt.

Nur vier Tage nach diesem ersten Streik im Gesundheitswesen kündigte der Salzburger Pfleger Fabian Martin in einer überrannten Pressekonferenz die Gründung der „Pflegegewerkschaft – die unabhängige Vertretung der Pflegebediensteten in Österreich“ an. Ziel ist es mit der unabhängigen Gewerkschaft der angestellten Ärzte „Asklepios“, die derzeit 1.800 Ärzte organisiert, eine gewerkschaftliche Dachorganisation für den Gesundheitsbereich zu organisieren und damit Kollektivvertragsfähigkeit zu erreichen. „Arbeitsverdichtung, Überlastung und finanzielle Einbußen durch geänderte Diensträder haben auch massive Auswirkungen auf das Pflegepersonal. Zusätzlich wurden viele Tätigkeiten auf die Pflege überantwortet, was eine Zusatzbelastung bedeutet. Gleichzeitig wurde nicht mehr Personal für die Zusatzbelastungen eingestellt“, so Mit-Initiator Martin.

Eklatante Schwächen

Diese Initiative ist eine richtige Idee zur richtigen Zeit. Das auffälligste Merkmal der gewerkschaftlichen Vertretung im Gesundheitsbereich ist leicht benannt: Vier Teilgewerkschaften teilen sich die Vertretung der Pflegeberufe. Dies wird rein aus der Logik der Hauptamtlichen-Apparate so weitergeführt. Jeder Betrieb(-steil), den man organisiert, bedeutet Mitgliedsbeiträge und damit Apparat-Ressourcen. Die strukturelle Schwächung der sozialen Interessensvertretung nehmen alle vier Apparate dafür billigend in Kauf.

Zweitens ist es die sozialpartnerschaftliche Orientierung der Personalvertretungen und Gewerkschaften, die eine konsequente Interessensvertretung unmöglich macht. Viele PersonalvertreterInnen haben ein viel zu offenes Ohr für die Diktatur der leeren Kassen ihrer Parteifreunde in der Politik, als dass sie sich bedingungslos als Sprachrohr ihrer KollegInnen und als unkorrumpierbare VerteidigerInnen des gesetzlichen Versorgungsauftrages verstehen würden.

Die Idee „wir machen das für euch schon, zahlt eure Mitgliedsbeiträge und eure beruflichen Sorgen gehören uns“ ist zudem grandios gescheitert. In vielen Bereichen erleben wir bereits eine feindliche Stimmung der PflegerInnen gegen ihre PersonalvertreterInnen, die seit Jahren die Umwälzung der Spardiktatur auf die Stationen aktiv mittragen.

Dieser Tage kursieren an den Spitälern Argumentationshilfen für PersonalvertreterInnen, um der Idee der Pflegegewerkschaft entgegentreten zu können. Es wird mit „Expertise“, „Stärke durch viele Mitglieder“ argumentiert, und dass es um „einen Ausgleich der Interessen aller Beschäftigten innerhalb eines Unternehmens, innerhalb einer Branche – und letztlich um Solidarität in der gesamten österreichischen Gesellschaft“ gehe. All dies könne nur der ÖGB gewährleisten, daher Finger weg von „Splittergruppen“.

Genau das alles entspricht aber nicht der Realität. Das einzige was hier stimmt, ist die permanente Unterordnung unter die Spardiktatur der Banken und ihrer politischen Parteien, was hier als „Solidarität der österreichischen Gesellschaft“ schöngeredet wird. Die Sozialpartnerschafts-LoyalistInnen berufen sich auf eine lang vergangene Periode, als es gelang die Interessen in der Gesellschaft allseitig zu befriedigen. Diese ist seit Jahren abgelaufen, und daher ist es Zeit für neue Methoden der Interessensvertretung. Diese Sichtweise ist allerdings in den etablierten Gewerkschaften noch nicht angekommen. Es ist vor allem ihre absolut passive Haltung, die dazu führt, dass sich die Beschäftigten immer wieder in eigenen Basisinitiativen organisieren werden. Dies zeigt sich auch bei den Verhandlungen über die Novelle des Pflegegesetzes, wo es zu keinerlei Einbindung, geschweige denn einer Mobilisierung der Belegschaften kommt.

CaREvolution

Wie immer in der Geschichte kommt die Erneuerung von unten. Die Panik im ÖGB widerspiegelt hier nur die Prozesse unter der Kollegenschaft, über die man droht die Kontrolle und damit das Vertretungsmonopol zu verlieren. Die CaREvolution begann vor eineinhalb Jahren in Salzburg als eine Kampagne der Belegschaft des Landesklinikums, um der Personalvertretung unter Führung der kämpferischen Christine Vierhauser den Rücken zu stärken. Anlass war (wie bei den Ärzten) die Neu-Gestaltung der Arbeitszeiten, die damit verbundenen Gehaltseinbußen, die durch eine Steigerung des Fixlohnes abgegolten werden sollte. Diese Kampagne war sehr erfolgreich, breitete sich wie ein Lauffeuer aus und aktivierte dutzende Stationen. Der Arbeitskampf endete dadurch, dass Kollegin Vierhauser von Sozialpartnerschafts-LoyalistInnen in den Krankenstand gemobbt wurde, sie ihre Verhandlungsführerschaft zurücklegen musste und schließlich als Betriebsratsvorsitzende entfernt wurde. So ging der Arbeitskampf im Frühjahr 2015 in Salzburg verloren.

Die Idee der CaREvolution war jedoch geboren und breitete sich weiter aus, besonders erfolgreich etwa in der CARE-Revolution Wien. Hier abfällig von „Splittergruppen“ zu reden ist eine besondere Frechheit. In der Care-Revolution versammeln sich dutzende KollegInnen, die ihren Beruf professionell ausüben möchten, anstatt an den Spitälern eine Mängelverwaltung im Sinne der Industriellenvereinigung durchzusetzen. Dies hat sich jedoch der ÖGB zum Hauptanliegen gemacht.

Rein in die Pflegegewerkschaft

Foglar hat Recht, dass eine Gewerkschaft nicht einfach durch Selbstproklamation entsteht, und dass man den ÖGB nicht einfach wegschieben kann. Auch wir MarxistInnen stehen zudem aus Prinzip für die größtmögliche Einheit der Arbeiterklasse. Wir ignorieren aber nicht, dass die bestehenden vier Teilgewerkschaften des ÖGB im Gesundheitsbereich in erster Linie die Einheit mit den Geschäftsführungen und der Spardiktatur suchen und durch ihre teilweise vollkommen unsolidarische Haltung nicht bereit sind aufkeimende Proteste im Sinne aller Berufsgruppen zu nutzen. Es sind diese falschen politischen Ideen (Akzeptanz des Sparzwangs) und die selbstgefällige Spaltung in viele Gewerkschaften, mit denen der ÖGB selbst die Beschäftigten im Gesundheitssektor verlässt und spaltet. Aus dieser Realität ziehen nun die fortgeschrittensten AktivistInnen konkrete Schlüsse. Aus unserer Sicht ist dies eine Chance die Kampffähigkeit des Sektors herzustellen, indem die AktivistInnen zusammenfinden und die bisher gemachten Erfahrungen verallgemeinern. Wir warnen aber in der derzeitigen Situation vor allzu großen Hoffnungen auf eine schnelle Entwicklung. Die letzte große Welle der Aktion im vergangenen Jahr ist noch nicht ganz verdaut. Das Beispiel Oberösterreich zeigt die ambivalente Situation: Hier spielte der Zusammenschluss der Betriebsratskörperschaften der wichtigsten Krankenhäuser unter dem Namen „Operation Menschlichkeit“ bei den Lohnverhandlungen zu einem gewissen Grad eine positive und vorwärtstreibende Rolle. Schlussendlich beugte sich aber diese Initiative der alten Stellvertreterlogik und konnte sich nicht zu einem aktiven und demokratischen Arbeitskampf durchringen. Trotzdem wurden durch die Lohnverhandlungen zumindest die Reallohnverluste der letzten Jahre zurückgeholt. Die Initiatoren der neuen Pflegegewerkschaft sollten gegenüber derartigen Entwicklungen viel Fingerspitzengefühl an den Tag legen, d.h. keinerlei Anlass dazu geben, sich dem Vorwurf einer Schwächung der Kampffähigkeit der Belegschaften auszusetzen. Denn wenn auch das Ziel der Initiative für eine neue Pflegegewerkschaft voll zu unterstützen ist: Die Zahl der Gewerkschaften im Pflegebereich erhöht sich durch sie momentan von vier auf fünf. Um das Ziel einer einzigen Gewerkschaft zu erreichen, noch dazu einer kämpferischen, reicht die alleinige Proklamation nicht aus. Vielmehr muss ein konsequenter Aufbau von Basisstrukturen angegangen werden, die alle Kolleginnen und Kollegen, also auch die Mitglieder der etablierten Gewerkschaften einschließen.

Es ist also im Sinne einer größtmöglichen kämpferischen Einheit der Beschäftigten notwendig, dass es durch die Pflegegewerkschaft auf Betriebsebene zu keinen unnötigen Spaltungen kommt. Wenn Betriebsratskollektive Gewerkschaftspolitik im Sinne der Belegschaft machen, sollten die neuen AktivistInnen der Pflegegewerkschaft ihnen offen die Hand reichen. Im Stadium einer Neugründung wäre es schädlich, sich schon auf ein starres Korsett festzulegen. Daher sollte die Pflegegewerkschaft von ihren neuen Mitgliedern auch nicht verlangen, die alte Mitgliedschaft aufzugeben. Wichtig ist vielmehr, dass wirklich kämpferische Gewerkschaftspolitik umgesetzt wird, die der Sozialpartnerschaft überzeugt den Rücken kehrt und es zu aktiver Mobilisierung kommt. Wir wiederholen es nochmals: Am dringendsten benötigen wir AktivistInnenkollektive auf den einzelnen Stationen, die sich aus allen Berufsgruppen zusammensetzen. Nur durch eine offensive Solidarität unter den Beschäftigten, die sich gegen einzelne Standesdünkel stellt, und mit einer schließlich zu erreichenden übergreifenden Gesundheitsgewerkschaft mit Streikfähigkeit wird es gelingen, für ein gutes Gesundheitssystem, das in der Lage ist dem Versorgungsauftrag nachzukommen, zu kämpfen. Aus unserer Sicht ergeben sich hier drei zentrale Schlussfolgerungen:

  • Solidarische Verteidigung des gesetzlichen Versorgungsauftrages durch alle Berufsgruppen im Gesundheitssektor
  • Für die praktische Herstellung der Streikfähigkeit an den Stationen
  • Für EINE Gewerkschaft mit Streikfähigkeit

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