Gerade eben haben die herbstlichen KV-Verhandlungen in der Metallbranche begonnen. Den meisten ist bewusst, dass bisher diese Verhandlungen auch richtungsweisend für all die anderen Branchenabschlüsse waren – und dass alle andern danach meistens etwas schlechter abschließen. Wie soll sich der Gesundheits- und Sozialbereich vorbereiten? Ein Kommentar von Lis Mandl.

In den letzten Jahren argumentierten die Produktions-Gewerkschaften vor allem mit den vollen Auftragsbüchern und der guten wirtschaftlichen Situation. Völlig zu Recht. Dass tatsächlich der kollektivvertragliche Wirkungsbereich geschwächt wurde, sowie der Kampf gegen den 12-Stunden-Tag abgesagt wurde, ist die andere Seite. Dies spiegelt nicht die Stärke der Argumente wider, sondern zeigt den Unwillen der beteiligten Gewerkschaften, die Auseinandersetzung um Arbeitsverhältnisse mit der notwendigen Entschlossenheit zu führen.

Argumente aus Stahl

Medizinische, therapeutische und soziale Versorgung unterliegen keinen konjunkturellen Schwankungen, sie werden immer benötigt und dies in steigendem Ausmaß. Demgegenüber steht die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, die die menschliche Daseinsfürsorge einem permanenten Sparzwang unterwirft. „Stabilitätspakt“ und die „Ausgabenobergrenze“ lauten hier die gesetzlichen Festlegungen. Fakt ist aber auch: für Bankenrettungen und den Bau von Kreisverkehren gibt es diese starren Obergrenzen nicht – dank Lobbyismus und Netzwerken.

Der permanente Sparzwang bedeutet, dass Leistungen immer billiger erbracht werden. Dies wiederum hat nicht nur Auswirkungen auf die Beschäftigten, sondern auch auf die Menschen, die fachliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen/wollen. Die offizielle Doktrin heißt mehr denn je: Wir können uns den Sozialstaat nicht leisten, der Markt muss einspringen! Privatisierung von Trägerorganisationen und die Auslagerung von Leistungen sind die Folge. Jene, die die Leistungen erbringen, müssen mehr Patientenstunden pro Personaleinheit erbringen, Dienste werden gesplittet, Löhne und Gehälter verbleiben auf Niedrigniveau und werden, wie zuletzt bei der Caritas, gekürzt. Dafür steigen im Sektor die Anzahl und Kosten für private OptimierungsexpertInnen, neue Verwaltungs- und Management-Hierarchien, Prämien für Geschäftsführungen und zunehmend werden Leistungen auch von gut vernetzten, profitorientierten Firmen zugekauft.

Privat statt e-card

Was sich wie ein weiterer FPÖ-Reim anhört, ist leider traurige Realität. In den Krankenhäusern und bei ÄrztInnen ist die Zwei-Klassenmedizin über Zusatzversicherungen bereits eingeführt. Je nach Finanzstatus werden MRTs, Operationen (und ihre Qualität) und Betten zur Verfügung gestellt.

Für die Beschäftigten im therapeutischen Bereich bedeutet dies, dass immer mehr KollegInnen in die private Praxis gehen, um die niedrigen Löhne im Angestelltenbereich zu kompensieren. Die (scheinbare) Freiheit der neuen Selbständigkeit ist längst nicht der Grund für Praxisgründungen. 20 Stunden Anstellung plus zwei bis drei Praxistage ist die gängige Arbeitsform zur Sicherung des Lebensalltags. Der steigende Verdrängungswettbewerb im selbstständigen Bereich wird sich nur durch Selbstausbeutung kompensieren lassen.

Für die Betroffenen heißt das, dass sich z.B. Eltern überlegen, ob sie ca. 1 Jahr auf einen Kindertherapieplatz warten oder 90€ pro Stunde ausgeben können, um sofort Hilfe (und einen Platz) zu erhalten. Lange Wartezeiten und Personalmangel in der Altenpflege lassen auch hier viele Familien kostenintensive, private Lösungen suchen. Diese Entwicklung unterhöhlt die öffentliche Gesundheitsversorgung von unten, wälzt die Kosten für Pflege und Betreuung auf die Betroffenen ab, und zementiert die gesellschaftliche Rolle der Frau als Erbringerin unbezahlter, sozialer Tätigkeiten.

Was kostet die Welt?

Die meisten ArbeitnehmerInnen erleben sich in der Defensive und geschwächt. Nicht zuletzt ist dies das Resultat einer politischen Debatte, in der niemand der herrschenden Ideologie der Profit-, Markt- und Einsparungskonzepte entgegentritt. Es genügt auf den vergangenen Wahlkampf zu verweisen, um die Richtigkeit dieser Ist-Analyse zu untermauern.

In der aktuellen politischen Debatte seit Ibiza geht es um Transparenz, Spenden und die Verwendung von Steuergeldern. Sie hat aufgezeigt, dass Reichtum in konzentrierter Form vorhanden ist und politische AkteurInnen umgarnt werden, um ihn zu schützen. Und auch wenn die moralische Entrüstung über 600€ Haarschnitte und 10.000€/Monat Privatspesen zuzüglich Wohnkostenbeitrag und Abgeordnetengehalt berechtigt sind, sind dies Peanuts im Vergleich zu den 8 Mrd. Steuerschulden der österreichischen Unternehmen und der herrschenden Vermögensverteilung. Dies bedeutet wiederum, dass konkret die Fragen beantwortet werden müssen: Was passiert mit dem vorhandenen Vermögen und wer kontrolliert es?

Es braucht Mut, diese Fragen aufzugreifen und damit die Finanzierung der Daseinsfürsorge zu beantworten. Viele soziale Vereine kommen aus Basisbewegungen bzw. sind aus Frauen- und Arbeiterbewegung entstanden. Die Forderungen der Selbstverwaltung, sprich: Kontrolle eines öffentlich finanzierten Gesundheits- und Sozialbereichs durch die Beschäftigten und Betroffenen selbst, ist keine veraltete Ideologie, sondern die Zukunft für ein menschenwürdiges Leben.

Für eine Offensive und 20 % mehr Lohn

Die aktuellen gewerkschaftlichen Diskussionen zum Start der KV Verhandlungen im Gesundheits- und Sozialbereich drehen sich um zwei Punkte: die Prozenthöhe der Lohnanpassung und die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Zweifelsohne wichtige Ansätze, um die negative Dynamik im Sektor zu durchbrechen.

Wer sich kleine Ziele setzt, kann allerdings nur kleine Resultate erreichen. Ein mutiger Ansatz wäre, dass sich die Linke innerhalb der Gewerkschaft darauf verständigt eine Lohnerhöhung von mindestens 20 Prozent als Verhandlungsziel durchzusetzen. Das ist ein Bruch mit der bisher gelebten Tradition des voreiligen „realistischen Kompromisses“ und des politischen Kniefalls vor der Sparpolitik (und hätte nebenbei frauenpolitisch massive Auswirkungen). Als Vorbereitungen dazu erfordert es Diskussionen in den Betrieben und die organisatorischen Voraussetzungen diese Auseinandersetzung gemeinsam auf die Straße zu tragen – auch und gerade während der Arbeitszeit.

Die Zeit ist reif: SWÖ-Kollektivvertrag 2020, wir kommen!

(Funke Nr. 177/1.10.2019)


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