In den Kindergärten sind die Arbeitsbedingungen schon seit langem grenzwertig. Mit zwei großen Demos hat sich nun der angestaute Ärger entladen. Eine Reportage von Funke-RedakteurInnen.
„Dieser Standort ist am 12.10.2021 auf Grund einer Betriebsversammlung bis 12:30 geschlossen!!!“, steht auf einem Aushang, der für die Eltern gut sichtbar im Eingangsbereich eines Kindergartens der Kinderfreunde angebracht ist. Schon vor Tagen begannen die KollegInnen mit den Vorbereitungen für die Demonstration. Im Büro der Leiterin liegen die orangen Warnwesten bereit, in einer Ecke warten die selbst gebastelten Schilder auf den Einsatz.
Die Forderungen der KollegInnen lauten: „Weniger Kinder pro Gruppe“, „Gesetzliche Verankerung von Vor- und Nachbetreuungszeit sowie Reflexionszeit“ und „Ein gleichwertiges Entlohnungssystem“. Und dazu ein fettes Transparent mit „Es reicht!“
Die „braven Tanten“ waren einmal, diese KollegInnen haben einen hohen Anspruch an sich und die Institution Kindergarten, der ersten Bildungseinrichtung im Leben von Kleinkindern. Sie leisten Elementarbildung für die Kleinsten, die hier in der Gruppe mit Gleichaltrigen und mit Unterstützung von PädagogInnen die Welt zu entdecken beginnen und enorm viel lernen. Wer den Alltag im Kindergarten auch nur ansatzweise kennt, weiß, wie wertvoll die Arbeit ist, die hier geleistet wird. Aber allen ist auch bewusst, dass die Rahmenbedingungen den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Die Gruppen sind zu groß, der Betreuungsschlüssel ebenfalls, mangels ausgebildeten PädagogInnen müssen auch AssistentInnen pädagogische Arbeit leisten. Die Ursache ist bekannt: Es fehlt an Geld.
Und so bemühen sich die KollegInnen, nicht selten am Burnout schrammend, den Betrieb so gut es geht am Laufen zu halten. Das wurde in Zeiten der Pandemie nicht einfacher: Gesundheitsrisiko; ständig neue Regelungen, die man mit der engen Personaldecke nicht umsetzen konnte; Ärger mit den Eltern, wenn wieder einmal eine Gruppe geschlossen werden musste, weil es „positive Fälle“ gab. Eine Leiterin aus einem Privatkindergarten erzählt uns: „Was wir in den Kindergärten haben, ist strukturelle Gewalt gegen Kinder. Da darf es einen nicht wundern, wenn gerade die Jungen sagen, für das hab ich die Ausbildung nicht gemacht.“ Viele gehen nach ihrer Ausbildung auch gar nicht in den Beruf bzw. verlassen ihn relativ bald wieder, weil die Arbeitsbedingungen oft so belastend sind.
In den Kindergärten der Stadt Wien sind die Rahmenbedingungen nicht besser als in den privaten Einrichtungen, die vom Fördersystem der Stadt ständig kurz gehalten (finanziell ausgetrocknet?) werden. Eine Kollegin berichtete uns von folgender Situation: „Letztens musste ich gemeinsam mit einer Praktikantin und zwei Assistentinnen zwei Gruppen mit fast 40 Kindern gleichzeitig betreuen, weil zu wenig Personal da war. Als sich dann noch ein Kind verletzte und zum Arzt gebracht werden musste, waren nur noch KollegInnen da, die keine fertige Ausbildung haben und die Kinder nicht gut kannten.“ Solche Zustände sind untragbar.
Auf den beiden Demos Mitte Oktober beklagten die KollegInnen fehlende Wertschätzung für ihren Beruf und die schlechte Entlohnung. Eine Kindergärtnerin sagte zu uns: „Die Arbeit ist stressig und du bist ständig unter Druck.“
Diese Stimmung ist in den Kindergärten, egal ob privat oder städtisch, weit verbreitet. Dass es so nicht weitergehen kann, wissen auch die Geschäftsführungen der privaten Träger (Kinderfreunde, Kiwi, St. Nikolausstiftung). Sie haben die Proteste der Beschäftigten auch mitgetragen, um ihre Verhandlungsposition gegenüber der Politik zu stärken. Das ermöglichte eine breite Mobilisierung in den Privatkindergärten. Bis zu 5.000 KollegInnen waren auf der Straße. Dieser Erfolg wirkte für viele befreiend. Eine Kollegin sagte nach der Demo: „Das war ein toller Tag heute! Wir kämpfen endlich!“
Ursprünglich hätte der Protesttag am 12. Oktober von allen Gewerkschaften gemeinsam organisiert werden sollen. Die Younion, die die Gemeindebediensteten vertritt, scherte dann aber mit eher fadenscheinigen Argumenten aus. Der Mobilisierungserfolg der Gewerkschaften GPA und VIDA, die für die Privatkindergärten zuständig sind, lieferte aber auch in den Gemeindekindergärten für eine ordentliche Dynamik. Zwar wollte die Younion die „Betriebspflicht“ einhalten, sprich die Kinderbetreuung garantieren, doch war auch sie unter Zugzwang, eine sichtbare Demonstration zu organisieren. Eine Kollegin berichtete uns, dass in den Häusern vereinbart wurde, wer aus dem Team an der Demonstration teilnehmen kann. Letztlich waren auch bei der Kundgebung der Younion 1.000 bis 2.000 Menschen, darunter SchülerInnen der BAFEP, die eigentlich nicht teilnehmen hätten dürfen. Eine Schülerin erzählte: „Mit uns haben die Pädagoginnen geredet, dass die Demo wichtig ist, weil es da um unsere Zukunft geht. Deswegen sind wir heute zu dritt hier.“
Auf der Demo wurde auch das Treffen einer Basisinitiative beworben, um sich über den Aktionstag hinaus zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Eine Kollegin meinte dazu: „Es ist schon gut, wenn die Gewerkschaft das organisiert. Aber es gibt großen Redebedarf.“ Der Schwung der Demos sollte jetzt genutzt werden, um die Teams auf weitere Kampfmaßnahmen vorzubereiten. Solche Vernetzungen können zukünftig eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, der Gewerkschaftsführung Druck zu machen, damit der Kampf auch weitergeführt und intensiviert wird.
Denn die Gewerkschaft wird es vorerst wohl bei diesem einmaligen Protesttag belassen. Die „öffentliche Betriebsversammlung“ ist zwar nur unterbrochen, wie die Betriebsräte der Privatkindergärten kämpferisch betonten, aber die Gewerkschaft plant unmittelbar keine weiteren Mobilisierungen. Der ÖGB zielt darauf ab, von der Regierung endlich als gleichberechtigter Verhandlungspartner wahrgenommen zu werden. Bislang hat das Bildungsministerium die Gewerkschaft nicht zum Beirat für Elementarpädagogik eingeladen. Das hat sich mit den Demos geändert. Minister Faßmann war unter dem Druck der Straße hektisch um Gespräche bemüht.
Die Stadt Wien hat mittlerweile schon zusätzliches Geld für mehr Assistentinnenstellen angekündigt. Eine Kollegin kommentierte diese Ankündigung so: „Jetzt müssen Taten folgen, und zwar MEHR als eh schon angekündigt! Wesentlich mehr. DANN bin ich zufrieden. Vielleicht.“