Am 10.11. trat in ganz Österreich das Krankenhauspersonal massenhaft auf die Straßen. Die Arbeitsbedingungen sind nicht mehr ertragbar und eine Lösung nicht in Sicht. Emanuel Tomaselli berichtet und schaut nach vorne.
Nachdem seit Juli 2020 ergebnislos versucht wurde, im Gesundheitsministerium gute Stimmung für eine Gesundheitsreform zu machen, rief die Offensive Gesundheit (OG), ein Zusammenschluss von Gewerkschaften und Berufsverbänden des Gesundheitssystems, für den 10.11.2021 endlich zu einem Protest auf. Diese Notwendigkeit analysierten wir bereits vor einem Jahr. Im September 2020 schrieben wir:
„Wir wissen aus Erfahrung, dass diese sozialpartnerschaftliche Herangehensweise äußerst reduzierte Ergebnisse bringen wird. (…) Deshalb müssen diese wichtigen Forderungen breit in den Spitälern und Gesundheitseinrichtungen diskutiert werden und mit der Perspektive von Kampfmaßnahmen verbunden werden.“ (Offensive Gesundheit - Lieb fragen wird nicht reichen, Funke Nr. 186, September 2020).
Nun also rangen sich die Verantwortlichen endlich durch, die 400.000 betroffenen Beschäftigten aktiv in die Auseinandersetzung miteinzubeziehen. Dies wird so begründet: „Bereits vor der Krise litt der Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich unter massivem Personalmangel. Die Pandemie verschärfe diese Entwicklung noch. Es brauche nicht noch mehr schöne Worte der Politik, sondern endlich eine adäquate Entlohnung, mehr Freizeit und dringend mehr Personal. Zusätzlich brauche es rasch eine grundlegende Ausbildungsreform sowie verbesserte Arbeitsbedingungen, um nicht noch weiter in die gefährliche Versorgungskrise zu schlittern.“ Weiters: „Die Kolleginnen und Kollegen geraten an ihre Grenzen, daher kommt es aktuell zu einer Austrittswelle aus Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen.“ Und weiter: „Viele unserer Beschäftigten sind bereits jetzt körperlich und psychisch am Limit.“ (PA, Offensive Gesundheit)
Es sind die unerträglichen Bedingungen und die Angst vor dem Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung, die die Protestmaßnahmen erzwungen haben. Die Organisation der Protestaktionen und der vorangegangen PflegeschülerInnen-Demo in Wien am 9.11. mit annähernd 4000 Beteiligten, erfolgte dabei zögerlich und wirkte improvisiert. Erst am Vortag, in einigen Fällen sogar erst Stunden vor den Aktionen, wurden die Beschäftigten informiert, obwohl der Beschluss dafür in den gewerkschaftlichen Gremien bereits Tage vorher erfolgt ist.
Gesundheitsberufe wollen kämpfen
Dies tat dem Erfolg jedoch keinen Abbruch. Die Beteiligung an der „5 nach 12“-Aktion war überall – über alle Berufsgruppen hinweg – in den Spitälern signifikant. An Vorarlberger Krankenhäusern nahmen etwa 450 Beschäftigte teil, am LKH Graz allein nahmen hunderte Beschäftigte teil, an den Krankenhäusern des Wiener Gesundheitsverbundes und den Pensionistenheimen der Stadt Wien beteiligten sich insgesamt mehrere Tausend.
Auch in allen anderen Bundesländern folgten die Beschäftigten dem Aufruf. Erwähnenswert sind hier besonders die Ordensspitäler in Linz, die am 10.11. und auch schon davor vor die Häuser gingen, ebenso wie Graz, wo es die KPÖ war, die bereits im Oktober einen Pflegeprotest vor dem Landtag organisierte.
An einigen Häusern hatte die Aktion defacto einen Streikcharakter: Die Stationen wurden auf Minimalbetrieb gesetzt, um eine große Teilnahme zu ermöglichen. Signifikant ist auch, dass politisch und gewerkschaftlich bewusste KollegInnen auch in ihrer Freizeit ans Haus kamen, um den Protest zu stärken. Vom Bodensee bis zum Neusiedlersee beteiligten sich in allen größeren Einrichtungen viele Häuser und Abteilungen.
Die in den Medien berichtete unruhige und kämpferische Stimmung im Sektor entspricht gänzlich der Wahrheit. Einige Verantwortliche (Patricia Zangerl – Personalvertreterin des LKH Bregenz; Gerald Mjka – vida Wien) ließen daher die Perspektive offen, dass es weitere Maßnahmen bis hin zum Streik geben könnte. So berichtet auch der Zentralbetriebsrat der Vorarlberger Landeskrankenhäuser, Thomas Steurer, dass die Politik den Protest vollkommen ignoriere und dass auf Grundlage einer wütenden Stimmung in den Belegschaften weitere und größere Proteste in Planung seien.
Gleichzeitig liegen uns Berichte vor, dass an einzelnen Stationen an unterschiedlichen Standorten engagierte KollegInnen in den vergangenen Wochen eine Erhöhung des Personalstandes durchsetzen konnten.
Auch auf der Wiener Demo vom 9.11. zeigte sich, dass es in den Gesundheitsberufen brodelt. Die Demo war lautstark und wie schon bei den Kindergartendemos im Oktober waren viele selbstgemalte Schilder und Transparente auf der Straße mit dabei. Darunter auch ein Block von AktivistInnen von der Funke, dem GLB und der „Solidarität“, die mit ca. 50 KollegInnen und solidarischen Menschen einen klassenkämpferischen Standpunkt vertraten.
Die Reden von Kollegen Gerald Mjka (vida) und Martin Schwantler (Hanuschkrankenhaus; GPA) waren kämpferisch.
Die younion, die Spitäler und Pflegeheime der Gemeinde Wien organisiert, redete zurückhaltender und versuchte sich auf die Frage der Pflegeausbildung zu beschränken und hier Forderungen an den Bund zu richten, aber nicht an die Dienstgeberin, die Gemeinde Wien. Dass der Vorsitzende der younion, Kollege Meidlinger, auch Gemeinderat und stellvertretender Klubvorsitzender der SPÖ Wien ist, also gleichzeitig sowohl Dienstgeber als auch oberster Dienstnehmervertreter, ist unbestreitbar ein Faktor für die in der Gewerkschaftsbewegung bekannte schwankende Haltung der younion rund um die Aktionstage.
Mückstein reagiert – oder doch nicht?
Einmal mehr reagierte die Politik mit Betroffenheit, Verständnis und dem Aufruf an die Bevölkerung, das Personal dadurch zu entlasten, dass man jetzt nicht krank werden soll. Am 26.11. lud Gesundheitsminister Mückstein tatsächlich zu einem „konstruktiven Runden Tisch“ ins Ministerium. Ein Fahrplan für die Pflegereform beginnend mit Jänner 2022 wurde präsentiert und Arbeitsgruppen eingerichtet. Mückstein referierte auch über das Projekt „community nursing“, ein EU-finanziertes Projekt, um Pflege daheim durch einen privaten Pflege-Markt anzuschieben.
Interessant dabei: Hauptansprechpartner von Mückstein in diesem Dialog sind Arbeitgeber wie Caritas, Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen, Arbeitgeberverband SWÖ, sowie GÖD und ÖGB (zusammengeschlossen in der „Motivallianz Pflege“, einer arbeitgeberdominierten Konkurrenzplattform zur Offensive Gesundheit). Alle Seiten bezogen sich zwar auf die protestierenden Krankenhausbeschäftigten, aber es scheint hier kein Vertreter eingeladen worden zu sein.
Aufgrund fehlender Stellungnahmen der Offensive Gesundheit und der Gewerkschaften younion, GPA, vida nach den Protesten können wir nicht beurteilen, ob es zurzeit überhaupt Gespräche mit den Gewerkschaften über die Verbesserung der Bedingungen in den Pflegeeinrichtungen und Spitälern gibt. Die öffentliche Darstellung der Regierung, dass die Politik sich um diese Angelegenheit der Pflege nun stärker kümmere, ist allerdings reine PR.
Kampfplan notwendig
Es braucht mehr Personal und weniger Arbeitszeit und daher mehr Geld. Bleibt das aus, wird das öffentliche Spitalswesen durch die Macht des Faktischen zerstört: Beschäftigte fliehen aus den öffentlichen Einrichtungen, weil das Arbeiten dort krank macht, PatientInnen schließen mehr Zusatzversicherungen ab und versuchen private Anbieter zu finden, Langzeitpflege wird von der Politik in die Familien (also auf die Frauen) abgeschoben. Es ist klar, dass die verbalen Zugeständnisse der Politik reine Rhetorik sind.
Folgender Vergleich lässt tief blicken: Schon eine Stunde nach der Verlautbarung des vierten Lockdowns trat Ex-Finanzminister Blümel an die Presse und verkündete das Hochfahren neuer Milliardenhilfen für die Unternehmen. Demgegenüber: Im 22. Monat der Pandemie schafft es die Politik noch immer nicht, sich zur öffentlichen Gesundheitsversorgung klar zu bekennen, ja räumt den Gewerkschaften nicht mal Verhandlungstermine ein.
Eine Schlussfolgerung ist offensichtlich: Wer zu nett ist, der wird ignoriert. Mit den KV-Verhandlungen des öffentlichen Dienstes wurde von den Führungen der GÖD und younion nunmehr eine weitere Chance ausgelassen, die Situation in der Pflege zu verbessern. Anstatt Resignation und Wut der Beschäftigten in neue Aktionen zu gießen, wurde geräuschlos ein Lohnplus von durchschnittlich 3% für die öffentlichen Spitäler verhandelt.
Wie unsere Erfahrungen zeigen, können auf einzelnen Stationen einzelne Verbesserungen des Personalstandes durchgesetzt werden, besonders wenn es dem Team gelingt, hier hartnäckig zu sein. Diese isolierten Verbesserungen reißen oft woanders eine Lücke auf und müssen ständig verteidigt werden.
Es haben sich zu viele Probleme im Gesundheitssektor aufgestaut, als dass es nur darum ginge, kleine Schrauben zu drehen. Ohne aktiv darum zu kämpfen, werden der Staat und die Regierung immer jene bevorzugen, die ihnen näher sind: die Reichen und die Unternehmen.
Ein Streik des Sektors muss vorbereitet werden. Was AktivistInnen jetzt tun können, ist die Perspektive des Arbeitskampfes unter KollegInnen in und gegenüber der Gewerkschaft & Personalvertretung vor Ort zu vertreten. Stellen wir uns so dicht hinter sie, dass sie in die Gänge kommen und dann nicht wie ein schlecht abgestelltes Fahrrad umfallen.
Das übergeordnete Ziel muss sein, dass mehr Geld ins öffentliche Gesundheitssystem fließt. Nur so lassen sich grundlegende Notwendigkeiten lösen. Hierzu stellt die Liste Solidarität folgende Forderungen:
- 20 % mehr Personal in allen Bereichen
- 20 % weniger Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich
- Keine Nachtdienste alleine
- Mindestpräsenz darf kein Normalzustand sein
- Personaloffensive durch bezahlte Ausbildung
(Funke Nr. 199/10.12.2021)