Die App „Flex“ wurde 2015 unter dem Vorwand, Lieferungen innerhalb von 24 Stunden zu garantieren, eingeführt. Lieferanten arbeiten als Scheinselbstständige unter prekären Verträgen, während „Flex“ jeden ihrer Schritte verfolgt. Der Arbeiter bei Amazon wurde endgültig zu einer zufälligen Zahl in den Rechnungen zur Maximierung der Profite reduziert. Von Oliver Brotherton.
Ähnlich wie bei „Uber“ bewertet auch „Flex“ die Produktivität der FahrerInnen, welche bei schlechtem Rating entlassen werden können. Wie ein Bericht von Bloomberg aufzeigt, führte das zu ungerechtfertigten Kündigungen. So bei der ehemaligen Flexfahrerin Neddra Lira: Nachdem sich ein Nagel in ihren Reifen eingefahren hatte, war sie trotz Unfallgefahr dazu gezwungen, ihre Lieferungen fortzusetzen. Obwohl sie die Situation Amazon erklärt hatte, fiel ihre Bewertung auf die unterste Stufe und ihr drohte eine Entlassung ohne Begründung des Managements.
Liras Erfahrung ist eine von vielen, die ein wahrhaft dystopisches Bild der Arbeitsverhältnisse zeichnen. Berichte gehen von Paketen, die im Regen nass geworden sind, bis zu Beschwerden, dass sich die Frisur der Lieferantin vom Profilbild unterscheide – alles Gründe, um von einem Computeralgorithmus gefeuert zu werden. Viele FahrerInnen gaben sogar an, zu zweit zu arbeiten und die Halbierung ihres Lohnes in Kauf zu nehmen, um die hohen Anforderungen der Algorithmen zu bewältigen.
Die Gebühr für eine Berufung gegen solche Kündigungen beläuft sich auf 200 US-$, unbezahlbar für die meisten ArbeiterInnen, die unter prekären Verhältnissen leben. Auch die Bearbeitung dieser Berufungen bedeutet mehrere Wochen ohne Arbeit, ebenfalls keine Option für den Großteil der Lieferanten. So werden Beschwerden erfolgreich unterdrückt.
Die ArbeiterInnen sind nur ein Rädchen im Profitsystem. Ehemalige Beschäftigte berichteten sogar davon, dass Amazon die neue App in vollem Wissen über die angeführten Probleme einführte. Ein ehemaliger Amazon-Ingenieur berichtete:
„Die Manager wussten, dass das verheerende Konsequenzen haben wird. So haben sie das auch explizit im Meeting gesagt. Die einzige Frage war, wie viel wir bereit waren zu akzeptieren.”
Jeff Bezos verteidigte die App mit dem Argument, dass Maschinen bessere Entscheidung treffen würden als Menschen. Aus Sicht eines Multi-Milliardärs, der ausschließlich seinen eigenen Profit vermehren will, mag das auch stimmen. Doch wie ein ehemaliger Fahrer meinte: „Es scheint, dass sie überhaupt nicht verstehen, wie die reale Welt funktioniert.“
Schätzungen zufolge könnte künstliche Intelligenz und Computertechnologien dazu genutzt werden, die Arbeitswoche zu halbieren. Doch unter einem kapitalistischen System treibt die Automatisierung die sklavenartigen Arbeitsverhältnisse auf einen neuen Höhepunkt.
Wir benötigen Planwirtschaft und Arbeiterdemokratie, um dieses unverantwortliche und herzlose Management zu beseitigen und den technologischen Fortschritt wirklich nutzen zu können, um die Menschheit von unnötiger Schinderei zu befreien und die Wirtschaft entlang der Wünsche und Bedürfnisse der Gesellschaft planen zu können.
(Funke Nr. 199/10.12.2021)