Die Gewerkschaften versuchen seit Monaten mit der Regierung in Dialog über die unhaltbare Arbeitsbelastung in den Spitälern und Pflegeheimen zu kommen – völlig erfolglos. Jetzt müssen sie sich Gehör verschaffen. Von Emanuel Tomaselli.
„Die KollegInnen sind verzweifelt und erzählen mit Tränen in den Augen von ihrem Arbeitsalltag, der zunehmend einer Marathon-Versorgung von PatientInnen gleicht, Pausen sind fast nicht möglich, es gibt keine Erholung, es herrscht Erschöpfung und Angst vor Fehlern aufgrund der massiven Arbeitsbelastung im Dienst. (…) Der Betriebsrat fordert den Pflegedirektor und das Management letztmalig dazu auf zu reagieren und die KollegInnen sofort zu entlasten!“, so beschreibt beispielsweise der Betriebsrat des Klinikums Klagenfurt die Zustände in den Spitälern.
Diese Anklagen und das Heischen nach Wertschätzung und Anerkennung haben genau nichts gebracht und stellen das Personal schwächer dar als es ist. Das Pflegepersonal muss lernen, dass die Regeln der Profitlogik auch und gerade in der Gesundheitsversorgung gelten. Verantwortung für sich und die PatientInnen zu übernehmen, bedeutet heute auch professionell zu kämpfen, um wieder professionell arbeiten zu können.
Die Gewerkschaften tragen der Ignoranz der politisch Verantwortlichen und der Spitalsleitungen insofern Rechnung, dass sie seit vergangenem November begonnen haben Proteste zu organisieren. Das Bündnis „Offensive Gesundheit“ ist die Trägerin dieses Protests, der in Form von landesweiten (10.11.2021, 25.2., 31.3., 12.5.) und regionalen Aktionstagen (zuletzt in Tirol am 15.3.) durchgeführt wird. Eine Unterschriftenkampagne soll eine Parlamentarische Bürgerinitiative einleiten. Gefordert werden:
- Mehr finanzielle Mittel für Gesundheitswesen und Langzeitpflege
- Besetzung offener Stellen und Aufstockung des Personals
- Ausbildungsplätze für alle gesundheitsrelevanten Berufe
- Bundesweite Mindeststandards für Personaleinsatz (u.a. keine Nachtdienste allein)
- Anerkennung der Pflege als Schwerarbeit (Pensionsrechtlich und Zulagen)
Wir glauben, dass dies relevante, aber noch unzureichende Forderungen sind. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist eine Voraussetzung, um in diesen Berufen alt zu werden, ohne selbst krank dabei zu werden. Niedriglohnbereiche, Privatisierungen (inkl. Auslagerungen) und Minderqualifizierungen in der Branche gilt es zurückzudrängen, keinesfalls auszuweiten. Weiters gilt es eine gewerkschaftliche Debatte um die Kontrolle der Mehrmittel, die wir erkämpfen werden, zu führen. Wir stehen dabei für ein voll ausfinanziertes öffentliches Gesundheits- und Pflegesystem unter Kontrolle der Gesamtbelegschaft und der Patientenvertretung.
Dessen ungeachtet tragen wir die Initiative der Gewerkschaftsführungen aktiv mit, weil dies ein praktischer Schritt sein kann, um endlich einen breiten Kampf einzuleiten. Eine Petition ans Parlament ist allerdings NICHTS wert, wenn nicht gleichzeitig der Arbeitskampf eskalierend und breit organisiert wird. Diese Unterschriften werden allein im Petitionsunterausschuss behandelt und dort den Parteien als Informationsgrundlage für ihre Gremienarbeit überlassen. Wenn die „Offensive Gesundheit“ es dabei belassen würde, wäre es nur ein Manöver, diese Anliegen in Aktenordnern verstauben zu lassen. In diesem Sinne mobilisieren unsere AktivistInnen bereits aktiv für die Demo der Offensive am 12. Mai und argumentieren dafür, auf jeder Station die Streikfähigkeit als praktische Aufgabe zu diskutieren.
Aufwachen
Es gilt nicht naiv zu sein. Die Pandemie ist akut wie eh und je, auch wenn sie von der Politik für beendet erklärt wurde. Doch was heißt das für die Krankenhäuser? Allein in den niederösterreichischen Landeskliniken fehlen in der Woche zum 20.3. 51.000 Arbeitsstunden wegen 1699 COVID-infizierten Beschäftigten – auf den normalen Personalmangel drauf!
Der Aktionstag am 25.2. (LKHs Vorarlberg) und die KV-Auseinandersetzung an den privaten Einrichtungen (Ordensspitäler Wien) haben zudem gezeigt, dass die Geschäftsführungen Proteste „ihres“ Personals aktiv behindern.
Funke-UnterstützerInnen im Gesundheitsbereich (und im gesamten Bereich der Daseinsfürsorge inklusive Kindergärten, Sozialbereich,..) verstehen die vielfältigen und nie enden wollenden Probleme in unseren Branchen nur als eine weitere Krisenerscheinung des Kapitalismus, der die Bedürfnisse der Masse der Menschen dem Profitstreben einiger weniger unterwirft. Daher wird uns auch in Zukunft nichts geschenkt werden. Um Minimumkonditionen zu erreichen und zu verteidigen, braucht es einen ständigen aktiven gewerkschaftlichen Druck, der aufhören muss „nett“ und „minimalinvasiv“ zu sein. Dies ist die Basis, warum wir in Wien und Vorarlberg die „Solidarität“ ins Leben gerufen haben, und wir laden alle interessierten KollegInnen ein, diese gewerkschaftlichen Basisinitiativen aktiv zu unterstützen. Die KollegInnen argumentieren für einen breiten praktischen Kampf aller Gewerkschaften in der Daseinsfürsorge und sind bereit, jeden Ansatz von Widerstand im Krankenhaus zu verallgemeinern. Politisch stehen sie für eine voll ausfinanzierten Daseinsfürsorge-Sektor in öffentlicher Hand.
(Funke Nr. 202/22.3.2022)