Am 17. September rief der ÖGB zu „Preise runter“-Demos auf. Die Younion, Gewerkschaft der Gemeindebediensteten und somit für die städtischen Wiener Spitäler zuständig, verlautbart auf ihrer Website: „Die Gewerkschaftsbewegung hat damit ein mächtiges Zeichen im Kampf gegen die Preisexplosionen bei Energie, Sprit und Lebensmitteln gesetzt.“ Diesem Euphemismus können wir bei aller Liebe nicht zustimmen. Eine Pflegerin berichtet aus der Realität.

Die Demonstration war verglichen mit den großen ÖGB-Demonstrationen, etwa jener gegen den 12h-Tag, sehr klein. Während die Pflegedemonstration im vergangenen Juni noch relativ gut von KollegInnen an der Basis aus den Spitälern und Pflegeheimen besucht war, gingen dieses Mal hauptsächlich Gewerkschaftsfunktionäre und linke Gruppen auf die Straße. Mit dem abstrakten Spruch „Preise runter“ lockt man niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

AktivistInnen von der Liste Solidarität und Der Funke haben im Vorfeld mit eigenen Flyern und einem Infotisch vor und in der Klinik Ottakring auf die Demonstration mobilisiert. Der Gedanke: Wir folgen dem Aufruf der Gewerkschaft, sagen aber, was wir wirklich brauchen: „Löhne rauf – Profite runter!“, 20% mehr Personal, 20% weniger Arbeitszeit, eine automatische Lohnanpassung an die Inflation und eine bezahlte Ausbildung.

Die Stimmung der KollegInnen uns gegenüber war offen und freundlich. Wer kurz Zeit hatte, berichtete über die Zustände auf der Station, viele machten vage Zusagen, auf unseren Block zu kommen. Trotz unserer Anstrengungen kamen nur vier KollegInnen aus dem Spital tatsächlich zur Demo. Umso mehr freute es uns, als wir eine Delegation der Wiener Privatspitäler sahen, die mit dem gleichen Slogan wie wir da waren. Das ist der Weg nach vorne: dass KollegInnen nicht abwarten, was von oben kommt, sondern selbstständig und selbstbewusst sagen, was sie brauchen, anstatt sich weiter vertrösten und frustrieren zu lassen.

Denn: die Stimmung im Spital ist von einem tiefen Zynismus geprägt. Die KollegInnen sind von Pandemie, Inflation und Personalmangel gebeutelt. Es kommt immer wieder zu Gruppenkündigungen, woraufhin ganze Stationen zusperren müssen. Zusatzdienste und Überstunden sind an der Tagesordnung. Jede Illusion, falls es so etwas überhaupt gegeben hat, dass sich die Politik der Probleme im Gesundheitsbereich annimmt, ist geplatzt. Die abgefeierte „Pflegereform“ ist Schall und Rauch, ein wirkungsloses Notfallpflaster. Die Pandemie wird zur Tagesordnung, und mit ihr die Zustände in unseren Spitälern. An die mediale Öffentlichkeit dringt hier nur die Spitze des Eisberges, etwa wenn Gefährdungsanzeigen mal in die Medien kommen, oder wie es aktuell der Fall ist, der Pflegedirektor unseres Spitals „abgelöst“ wird.

Die Gewerkschaften haben die Verantwortung, den Kampf für bessere Arbeitsbedingen und ein höheres Gehalt zu organisieren. In der Praxis der derzeitigen Gewerkschaftspolitik wird die Rolle der Beschäftigten darauf beschränkt, die Gewerkschaft durch das Bezahlen der Mitgliedsbeiträge „stark zu machen“. Dieses Modell funktioniert nicht mehr.

Es braucht konkrete Forderungen, die an unserer Arbeitsrealität anknüpfen. Die das sagen, was wir brauchen, nicht das, was „oben“ als politisch möglich eingeschätzt wird. Die KollegInnen sind prinzipiell bereit, für Verbesserungen zu kämpfen, wenn ein ernsthafter Kampf, der das Potential hat tatsächlich was zu ändern, organisiert wird. Das wissen wir spätestens seit der erfolgreichen selbstorganisierten Bewegung rund um die Optierung in den besser entlohnten Arbeitsvertrag 2018 (der Funke berichtete). Hier war die Gewerkschaftsspitze so von der Unmöglichkeit unserer Forderung überzeugt, dass sie sich aktiv gegen ihre eigene Basis stellte. Diese setzte sich aber gegen alle Hindernisse durch.

Die AktivistInnen von der Liste Solidarität laden alle KollegInnen ein, sich mit uns zusammenzuschließen, um in den kommenden Kämpfen besser vorbereitet zu sein. Es gilt, unsere Arbeitsbedingungen erträglich zu machen. Kurz angemerkt, warum dies auch die Solidarität aller Lohnabhängigen verdient: dies ist der einzige Weg um das öffentliche Gesundheitssystem zu retten.

(Funke Nr. 207/27.9.2022)


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