Im privaten Sozial- und Pflegebereich heizt sich die Stimmung auf. Es gibt Wut über den schlechten Kollektivvertrags-Abschluss letztes Jahr – und die Forderung nach mehr Gewerkschaftsdemokratie. Ein Bericht von Sarah Ott, Funke-Unterstützerin und Betriebsrätin bei LOK.

Am 10. Mai fand in Wien eine erste Betriebsrats-Landeskonferenz des Wirtschaftsbereich 17 der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) statt. Ca. 50 BetriebsrätInnen aus Wien folgten der Einladung der Gewerkschaft GPA. Dabei ging es um die Vorbereitung der Kollektivvertragsverhandlungen 2024, die im Herbst anstehen. Die anwesenden BetriebsrätInnen kritisierten in deutlicher Mehrheit den viel zu schnellen und unzureichenden Abschluss 2023. Dennoch war die Stimmung kämpferisch.

Bereits im Vorfeld wurden die verschiedenen Vernetzungen im Bereich von der Gewerkschaft gebeten, Forderungen für die KV-Verhandlungen zu diskutieren und vorzuschlagen. Diesem Aufruf folgten alle und es ergab sich daraus eine Fülle an Vorschlägen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen im gesamten Bereich führen könnten.

Demokratie & Transparenz

Die Konferenz begann mit einem Überblick über den kommenden Verhandlungsprozess im Herbst. Schon hier traten rasch Widersprüche zutage, die sich um Mitbestimmung und gewerkschaftliche Demokratie drehten:

Das regionale Führungsgremium der GPA, der Wiener Landesausschuss, hatte in seiner letzten Sitzung beschlossen, dass die Betriebsräte auf ihrer eigenen Konferenz keine Abstimmungen durchführen sollen, sondern lediglich „Stimmungsbilder“ eingeholt werden können. Dem standen die anwesenden BRs absolut kritisch gegenüber und forderten den Landesausschuss in einer aus dem Publikum organisierten Abstimmung nahezu einstimmig auf, diesen Beschluss wieder zurückzunehmen.

Auch die Transparenz des Verhandlungsteams wurde eingefordert. Das Verhandlungsteam der Gewerkschaft ist dafür verantwortlich, die Gehaltverhandlungen mit den Arbeitgebern zu führen und die Abschlüsse der KV-Verträge abzustimmen. Doch es ist nicht bekannt, welche Personen überhaupt Teil des Verhandlungsteams sind und auch nicht, wie und was dort genau abgestimmt wird. Es wurde gefordert und abgestimmt, dass das große Verhandlungsteam und ihr Abstimmungsverhalten den Mitgliedern zugänglich gemacht werden soll. Klar ist, die kämpferischen BetriebsrätInnen wollen den „Verhandlungen in Kleinstgruppen hinter verschlossenen Türen“ ein Ende bereiten.

Was wir brauchen

In der Diskussion rund um die Forderungen herrschte weitgehend Einigkeit, klar wurde schnell, dass sowohl in der Frage nach Gehalt, als auch bei Arbeitszeit endlich deutliche Verbesserungen notwendig sein werden, um einen völligen Kollaps des Versorgungssystems zu verhindern. In allen Bereichen herrscht massiver Personalmangel, die Krankenstandszahlen sind so hoch wie nie und immer mehr MitarbeiterInnen verlassen aufgrund der unerträglichen Arbeitsbedingungen den Bereich. Man einigte sich darauf, die Wiener Forderungen aus dem Vorjahr wieder aufzugreifen und auch zu erweitern:

Erhöhung der Gehälter um einen Fixbetrag von 750€ (Brutto bei Vollzeit), Erhöhung aller Zulagen um 15% und der SEG-Zulagen-Pauschale auf 250€ sowie kein Abschluss unter 2500€ Mindestgehalt.

32-Stunden-Woche bei vollem Personal- und Lohnausgleich mit einem individuellen Rechtsanspruch diese in 4 Tagen zu arbeiten, sowie eine 6. Urlaubswoche für alle.

Auch im Rahmenrecht wurden die unterschiedlichsten Forderungen diskutiert, wie beispielsweise eine Verbesserung bei den Verwendungsgruppen, die Aufhebung der 10-Jahres-Obergrenze bei den Vordienstzeiten, Mehrstundenzuschläge für Teilzeitkräfte ab der ersten Stunde, …

Aktionsplan

Besonders wichtig ist auch, dass bei der Konferenz bereits ein Aktionsplan für den Herbst besprochen wurde. Hier wurde schnell klar, dass die Anwesenden BetriebsrätInnen durchaus bereit sind, für die Umsetzung ihrer Forderungen zu kämpfen und ihre Betriebe zu mobilisieren.

Um diese Stimmung auch weiterzutragen wurde vorgeschlagen, bereits im September, noch vor der Übergabe der Forderungen an die Arbeitgeber, eine österreichweite BetriebsrätInnenkonferenz zu organisieren. Diese soll genutzt werden, um sich gemeinsam auf Forderungen zu einigen und Aktionen in allen Bundesländern zu planen. Denn in den letzten Jahren war es meist so, dass nur in Wien größere Demonstrationen oder gar Streiks stattgefunden hatten und auch der schnelle Abschluss im November vor allem damit argumentiert wurde, dass die MitarbeiterInnen ja nicht bereit gewesen wären zu kämpfen. Somit ist eine österreichweite Vernetzung und die Vorbereitung eines Eskalationsplanes umso wichtiger, wenn wir die Kontrolle über unsere Arbeitskämpfe erlangen und Druck aufbauen wollen. Bereits nach der ersten Verhandlungsrunde soll es dann Betriebsversammlungen, in denen auch Streikbeschlüsse gefällt werden sollen, und erste öffentliche Aktionen geben. Nach der 2. Verhandlungsrunde können dann bereits erste eintägige Streiks stattfinden, die mit jeder weiteren Verhandlungsrunde um einen Tag verlängert werden sollen.

Um diesen kämpferischen Plan umzusetzen, wurde auch die Aktionsgruppe, die sich zur Vorbereitung der KV-Verhandlungen 2023 gegründet hatte und im Zuge dessen mehrere Aktionen und Demos organisiert hatte, wieder offiziell gegründet. Hier arbeiten kämpferische BetriebsrätInnen aus unterschiedlichen Bereichen mit.

Auch die Forderung nach einer Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis wurde wieder heiß diskutiert, das heißt eine Abstimmung unter den Beschäftigten, ob man ein Verhandlungsergebnis annehmen will, oder weiterkämpfen möchte. Thema war dabei auch, dass letzten Herbst bei den Eisenbahnern und in den Ordensspitälern solche Abstimmungen durchgeführt wurden. Im Wiener Bereich des SWÖ gibt es diesbezüglich bereits einen aufrechten Beschluss, allerdings wurde eine solche Abstimmung von der GPA-Führung bisher immer abgelehnt.

Daher wurden bei den letzten Abschlüssen selbstorganisierte Urabstimmungen in mehreren Betrieben in Wien durchgeführt (wir haben berichtet). Obwohl diese das Verhandlungsergebnis nicht mehr beeinflussen konnten, zeigten sie, was die tatsächliche Stimmung unter den Belegschaften ist, nämlich fast 80% Ablehnung. In der Debatte auf der BR-Konferenz wurde klar gemacht, dass wir diese Abstimmungen auf jeden Fall wieder durchführen werden und zwar so lange, bis die Gewerkschaftsführung den Wunsch der Mitglieder nach Mitbestimmung nicht mehr einfach ignorieren kann.

Die Stimmung in der SWÖ ist Ausdruck für eine wachsende Unzufriedenheit in der ganzen Gesellschaft. Die Möglichkeit für sektorübergreifende politische und ökonomische Kämpfe gegen die Angriffe der Regierung und Unternehmen ist gegeben. Sie müssen realisiert werden. Die politischen Kräfte, wie etwa in SPÖ und KPÖ, die sich öffentlich für Anliegen zu besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen positionieren, haben hier die Chance, kämpferische KollegInnen und ihre Forderungen aktiv zu unterstützen.

(Funke Nr. 214/24.05.2023)


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