Naher Osten. Der Job als Pressesprecher einer imperialistischen Großmacht mag vielleicht gut bezahlt sein, zu beneiden ist man aber gerade in der heutigen Situation dafür nicht, findet Florian Keller.
Auf der einen Seite gibt es klare wirtschaftliche und geostrategische Interessen, die als Grundlage für alle Entscheidungen dienen. Auf der anderen Seite muss das nette Gesicht der „Demokratie und Menschenrechte“ aufrechterhalten werden, das zwar nichts, aber auch gar nichts mit der Entscheidungsfindung zu tun hat, ohne das aber die Öffentlichkeit für militärische Abenteuer nicht zu haben ist.
Das musste James Kirby, seines Zeichens Sprecher des Außenministeriums der USA, in den letzten Monaten wiederholt feststellen. Auf fast schon groteske Art ins Schwitzen kam er etwa, als er Mitte Oktober erklären sollte, was denn der Unterschied zwischen der Bombenkampagne Russlands in Syrien und der Bombenkampagne Saudi Arabiens im Jemen sei. Bei beiden sterben hunderte Zivilisten, die Angriffe Russlands werden von den USA und in deren Schlepptau auch von allen anderen „westlichen“ Ländern schwer verurteilt, während die Angriffe Saudi Arabiens von den USA auch logistisch unterstützt werden. Retten konnten ihn schließlich nur die fast schon kriecherische Art der Fragestellung durch die JournalistInnen der großen Medienhäuser, die selbst keinerlei Interesse daran haben, unangenehme Fragen zu stellen, sondern die imperialistischen Ziele mehr oder weniger vollständig unterstützen und für sie die Werbetrommel rühren. Und dieses absurde Treiben geht im Moment gerade seinem nächsten Höhepunkt entgegen.
Syrien
Seit einiger Zeit läuft eine Großoffensive der mit Russland verbündeten syrischen Armee in Zusammenarbeit mit vom Iran unterstützten schiitischen Milizen, etwa der Hisbollah aus dem Libanon. Ziel der Angriffe ist der belagerte Osten Aleppos, der Millionenstadt im Norden Syriens, die vor dem Krieg das wirtschaftliche Zentrum des Landes war. Unterstützt wird diese Offensive durch Angriffe der russischen Luftwaffe. Kontrolliert wird Ostaleppo durch eine Reihe von Milizen, die in den westlichen Medien gerne als „gemäßigte Opposition“ bezeichnet werden. In Wirklichkeit sind aber diese Milizen völlig von islamistischen Kräften dominiert, die sich ideologisch nicht im Geringsten vom sogenannten „islamischen Staat“ (IS) unterscheiden.
Das zeigte sich Anfang November in einem der vielen Konflikte innerhalb der Rebellengruppen. Zwei der nominell größten „moderaten“ Gruppen in Ostaleppo lieferten sich bewaffnete Auseinandersetzungen, bei denen es wohl um die kleiner werdenen Ressourcen im belagerten Gebiet ging. Der Ausgang der Auseinandersetzungen ist bezeichnend. Die siegreiche der beiden Gruppen konnte sich mit Hilfe des syrischen Arms der Al Qaida durchsetzen, die Führung der unterlegenen Gruppe lief zu „Ahrar Al-Scham“ über, einer Gruppe mit mehreren 10000 Kämpfern, die zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges ebenfalls von Al Qaida-Mitgliedern gegründet wurde. In Wirklichkeit dienen die letzten verbliebenen „moderaten“ Rebellengruppen nur noch als offizieller Deckmantel für dschihadistische Milizen, um weiterhin Waffenlieferungen durch die Golfstaaten, die Tükei und die CIA bekommen zu können.
Seit Wochen gibt es eine Kampagne in den westlichen Medien, die die Angriffe der syrischen Armee und der russischen Flugzeuge verdammen und Menschenrechtsverletzungen durch Angriffe auf Zivilisten, Krankenhäuser und Märkte herausstreichen. Diese sind zweifellos grausam: Es ist klar, dass Assad und Putin nur den Sieg um jeden Preis gegen die Rebellengruppen im Auge haben, egal wie viele Menschen dabei sterben. So werden in der Stadt bald die Nahrungsmittel und das Benzin ausgehen. Unerwähnt bleibt jedoch, dass die Rebellen die ZivilistInnen im Ostteil der Stadt regelrecht gefangen halten, und falls sie gehen gelassen werden, dann nur gegen die Zahlung großer Geldsummen. So wurde die Errichtung eines „humanitären Korridors“ und eine Pause der Luftangriffe durch Russland auch kaum genutzt – außer durch Rebellenmilizen, die einen Entlastungsangriff auf die Stadt starteten.
Irak
Enthusiastisch begrüßt wurde in den Medien dagegen der Beginn der Offensive gegen die letzte große Hochburg des IS im Irak, die Millionenstadt Mossul im Norden des Landes. Die Angriffe führen die irakische Armee zusammen mit vom Iran unterstützten, hauptsächlich schiitischen Milizen der „Volks-mobilmachungs-Einheiten“.
Die USA unterstützen den Angriff mit Luftangriffen und logistischer Hilfe. Stolz wurden kurz nach Beginn der Offensive auch völlig übertriebene Zahlen von hunderten getöteten IS-Kämpfern verkündet. Dass der IS ZivilistInnen in der Stadt zurückhält und sie als menschliche Schutzschilde missbraucht, wird nicht wie in Aleppo übergangen, sondern ist große Meldungen in den Nachrichten wert.
Zivile Opfer sind hier „Kollateralschäden“, die im Kampf gegen den Terrorismus zu bedauern, aber unvermeidlich seien. Die Gefahr von Greueltaten der irakischen Armee wird heruntergespielt. Wenn, dann bestehe diese Gefahr nur durch die schiitischen Milizen (die vom Iran unterstützt werden). Dass Mossul von einer relativ kleinen Gruppe der IS-Terroristen nur deshalb erobert werden konnte, weil die irakische Armee durch jahrelanges wüten mit Verhaftungen, Folterungen und Mord an ZivilistInnen die Bevölkerung in der Stadt gegen sich aufbrachte, soll die kollektive Erinnerung am besten vergessen.
Schwer tut sich James Kirby auch zu erklären, warum die Türkei, in Syrien „Schlüsselpartner im Kampf gegen den Terrorismus“, im Irak nicht mit um Mossul kämpfen dürfen: „Die USA sehen die Türkei nicht als Teil der internationalen Koalition. Der Irak und die Türkei sollten das durch Dialog lösen“ Der eigentliche Grund ist klar: Erdogan würde am liebsten einen größeren Teil des Norden des Landes aus den Händen des IS unter türkische Kontrolle bringen. Im Irak ist der beste Verbündete der USA aber – die irakische Regierung. Diese lehnt eine Besetzung eines Teil des Landes natürlich ab. Um also den Partner nicht zu verärgern und damit den verbliebenen Einfluss im Land nicht aufs Spiel zu setzen (und so dem Iran, Russland und China die Tür noch weiter zu öffnen), wird die Hilfe des Nato-Mitglieds und wichtigen Verbündeten Türkei gegen den IS abgelehnt. Der Kampf gegen dschihadistischen Terrorismus ist offensichtlich nicht so absolut zu betrachten, wie uns immer weisgemacht werden soll, sondern im Gegenteil sehr relativ.
Die Leidtragenden in diesen zynischen Spielen der imperialistischen Mächte sind wie immer die ArbeiterInnen, die Jugendlichen und Armen, die in den Kriegsgebieten gefangen sind. Im Jemen wird eine gewaltige Hungersnot durch eine vom Westen unterstützte Seeblockade vorbereitet. Dort wie im Irak und in Syrien werden in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin tausende ZivilistInnen in Stellvertreterkriegen zwischen den Großmächten sterben. Einen Ausweg aus diesem Elend wird es nur geben, wenn nicht nur die ArbeiterInnen der verschiedenen Völker und Religionen im Nahen Osten die von den Mächtigen geschaffenen Grenzen überwinden, sondern auch wir in Europa und Österreich begreifen, dass wir eine Verantwortung tragen: Den Kampf gegen unsere Regierungen, die in fremden Ländern militärisch unter dem Deckmantel der Menschenrechte intervenieren und gegen das System, das einen Krieg nach dem anderen auslöst: Den Kapitalismus.