„Es gibt mehr als genug Essen auf der Welt, um alle zu ernähren”, meint das Welternährungsprogramm. Warum dennoch akut 345 Millionen Menschen unter Hunger leiden, ganze 200 Millionen mehr als vor kaum zwei Jahren, analysiert Lukas Frank.
Anfang letzten Jahres setzte die Weltwirtschaft nach der Krise zu einem Wiederaufschwung an. Erdölförderungen und Containerschiffe, die ein bis zwei Jahre zuvor noch abgewrackt wurden, als man für den Aufkauf überschüssigen Erdöls an den Börsen Geld geschenkt bekam, konnten nicht auf Knopfdruck wieder „hochgefahren” werden. Die rasant steigende Nachfrage ließ Preise für Energie und Transport in die Höhe schnellen, welche einen Großteil der Herstellungskosten von Nahrung ausmachen. Allein im Mai 2021 stieg der UN Monthly Food Price Index innerhalb eines Monats um ganze 40%.
Düngemittel, Monopole und Profite
Dem folgten weitere Produktionszweige. Sinnbildlich für die ganze Düngemittelbranche ist dabei Yara, der weltweit zweitgrößte Hersteller von Kunstdünger. Dieser senkte Oktober letzten Jahres seine Produktion um 30%, mit der Begründung, die Energiepreise seien zu hoch, um profitabel produzieren zu können. Die Produktion wurde erst wieder aufgenommen, als sich die Düngemittelpreise zwei Monate später durch diese künstliche Knappheit vervielfacht hatten.
Nutrien, ein weiterer Konzern, der zusammen mit Mosaic den gesamten nordamerikanischen Düngemittelmarkt kontrolliert, gab letzten Herbst einen guten Einblick, welche Profite dadurch möglich wurden: Die Produktionskosten stiegen zwar um 50%, der Reingewinn (gross manufacturing margin) um 700%. Auch Cargill, welcher mit ADM, Bunge und Dreyfuß 90% des weltweiten Handels von Weizen kontrolliert, verkündete einen 60-prozentigen Profitanstieg im Vergleich zum Vorjahr.
Die Herstellung von Dünger und Nahrungsmitteln generell ist nur effizient, wenn sie im großen Ausmaß organisiert wird. Im Kapitalismus bedeutet das, dass eine Handvoll Konzerne den gesamten Markt kontrolliert und diese Macht zur Maximierung der eigenen Profite einsetzt, ungeachtet der Konsequenzen für all jene, die von ihren Produkten abhängen.
Ukrainischer Weizen und Sanktionen
Die Eskalation des Kriegs zwischen russischem und westlichem Imperialismus um die Kontrolle der Ukraine bedeutete einen weiteren Schock für die Lebensmittelproduktion. Russland stellt mit der Ukraine ein Drittel des Weizens und mit Belarus 40% der Pottasche für Düngemittel am Weltmarkt bereit. Nach dem Einmarsch Russlands wurde ein Großteil dieser lebenswichtigen Güter schlagartig vom Weltmarkt abgeschnitten.
So sitzt die Ukraine auf 20 Millionen Tonnen Weizen, die es nur über das Schwarze Meer verschiffen kann. Dieser Meerzugang befindet sich Großteils unter der Kontrolle Russlands bzw. es finden dort Kampfhandlungen statt. Weiters sind die Schwarzmeerhäfen von russischer und ukrainischer Seite vermint. Mehrere internationale Handelsschiffe sind schon versehentlich unter Beschuss gekommen, mindestens zwei sind dabei versenkt worden. Laut dem Generalsekretär der International Chamber of Shipping „ist es derzeit nicht sicher für Schiffe rein- oder rauszufahren. Solange die Minen nicht weg sind, wird sich diese Situation nicht ändern”.
Um den Weizen auf den Weltmarkt zu bringen, fordert Russland von der Ukraine die Entminung der Häfen. Ukrainische Handelsschiffe sollen von russischen Einheiten inspiziert werden, bevor sie durch das Schwarze Meer geleitet werden. Die Ukraine und der Westen halten dem entgegen, dass diese Aufgabe von „neutralen” Einheiten übernommen werden soll. Beide Forderungen sind offensichtliche Luftschlösser, die vom Gegenüber die Aufgabe der Kontrolle über wichtige Seezugänge verlangen, was eine unmittelbare Kriegsniederlage nach sich ziehen würde.
Zusätzlich wurde Russland seitens der EU und der USA mit einer Barrage an Sanktionen eingedeckt. Am Papier sind Nahrung und Dünger ausgenommen, doch man kann keinen umfassenden Wirtschaftskrieg gegen ein Land führen und dabei Ausnahmen für 1-2 Produktionszweige machen. Ein Schiff, welches im russischen Schwarzmeerhafen Port Kawkas mit Weizen beladen wird, ist beispielsweise sanktionsfrei, dies ist aber nicht mehr der Fall, wenn es 200 km weiter auf der besetzten Krimhalbinsel beladen wurde. Auch ist schwer feststellbar, wie viel sanktionierter, in der Ukraine gestohlener Weizen, einer Ladung russischen Weizens beigemischt wurde, der sanktionsfrei wäre.
Vor der eigenen Haustür kehren
Die Krise hat gerade erst begonnen, Morgan Stanley ist optimistisch, dass die Nahrungsmittelpreise „nur noch” bis ins Jahr 2023 ansteigen werden. „The Economist“ warnt vor Massenaufständen im globalen Süden als Folge der Preissteigerungen. Der Schock des Arabischen Frühlings Anfang der 2010er Jahre, wo sich derartige Aufstände in eine Welle von Revolutionen verwandelten, sitzt den Herrschenden noch tief in den Knochen.
Ammenmärchen, wie „Russland setzt Hunger ganz bewusst als Kriegswaffe ein”, lenken die Arbeiterbewegung vom realen Auslöser des Welthungers ab: Der morsche Kapitalismus, wo auf der wilden Jagd nach Profiten Krieg und die Zerstörung der Produktion in Kauf genommen werden.
Um die Hungerkatastrophe zu verhindern, müssen wir als Arbeiterklasse im Westen unseren eigenen Kapitalisten an den Kragen.
Wir kämpfen für:
- einen vollständigen Schuldenerlass für die Staaten Lateinamerikas, des Nahen Ostens, Afrikas und Südostasiens. Geld für Essen, nicht für Zinsen an westliche Banken!
- die Verstaatlichung der großen Agrarkonzerne unter Arbeiterkontrolle, um Preistreiberei und Sabotage einen Riegel vorzuschieben!
- den Stopp der Sanktionen und anderer Formen der Kriegsführung auf wirtschaftlicher Ebene!
(Funke Nr. 205/13.7.2022)