Wir veröffentlichen in den kommenden Tagen in mehreren Teilen das aktuelle Weltperspektivendokument der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT). Es zeichnet eine kapitalistische Welt voller Widersprüche und Instabilitäten. Das ist die Grundlage für einen weltweiten Aufschwung des Klassenkampfs.

[Dieses Dokument wurde im August 2006 am Weltkongress der IMT diskutiert und beschlossen. Der Rohentwurf wurde vor einem Jahr verfasst. Auf der Grundlage von intensiven Diskussionen wurde das Papier mehrfach aktualisiert, abgeändert und erweitert. Wir leben in einer Welt, die geprägt ist von rasanten Veränderungen und sprunghaften Entwicklungen. Wenn man dieses Dokument liest, muss man natürlich dies berücksichtigen. So wurde der Teil zu Mexiko schon vor längerer Zeit geschrieben und kann daher nicht konkret auf die jüngsten Massenproteste mit revolutionärem Potential eingehen. In der Tat ist es aber so, dass dieses Dokument schon vor Monaten die Perspektive einer solchen Bewegung im Falle von Wahlbetrug aufzeigte. Das gesamte Dokument wurde in unserer "Roten Reihe" als Broschüre veröffentlicht und kann bei der Redaktion bestellt werden. Anm. d. Red.]

Einleitung

Politik ist die Wissenschaft der Perspektiven. Ohne korrekte Perspektiven ist es unmöglich, erfolgreiche revolutionäre Arbeit zu machen. Die gegenwärtige Weltlage stimmt mit dem überein, was wir in früheren Weltperspektivdokumenten herausgearbeitet hatten. Das eine oder andere Detail mag zu korrigieren sein; die grundlegende Analyse der Periode, in der wir uns befinden, wurde aber vom weiteren Verlauf der Dinge bestätigt.
Die Bürgerlichen, die ReformistInnen, die StalinistInnen und die "radikale Linke" haben nicht die geringste Vorstellung von den realen Prozessen, die gegenwärtig weltweit im Gang sind. Es ist kein Zufall, dass die meisten anderen Strömungen völlig orientierungslos, pessimistisch und skeptisch in die Zukunft blicken. Die StrategInnen der Bourgeoisie - vor allem in den USA - sind im Grunde genommen völlig perspektivlos. In den Worten von Leo Trotzki ausgedrückt: Sie laufen mit geschlossenen Augen ins Verderben.
Wir stehen am Beginn der turbulentesten Periode der Weltgeschichte. Eine Erschütterung nach der anderen lässt das System in seinen Grundfesten erzittern. Die ganze Weltlage zeichnet sich durch äußerste Instabilität aus. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass sich das kapitalistische System weltweit in einer Sackgasse befindet. Die Welt wird in einen Strudel von Konflikten, Kriegen und terroristischen Anschlägen hineingezogen. Die konterrevolutionären Tendenzen in der gegenwärtigen Weltsituation sind offensichtlich. Sie sind Ausdruck für die Tatsache, dass das sozio-ökonomische System seinen geschichtlichen Nutzen verloren hat und zu einem Hindernis für die weitere Entwicklung der Menschheit geworden ist. Das alte System ist hoffnungslos krank - aber es weigert sich, einfach zu sterben. Das ist aus der Sicht des Historikers ein altbekanntes Phänomen: So war es auch beim Niedergang des Römischen Reichs, zu dem es viele Analogien mit der gegenwärtigen Situation gibt.
Allerdings führt dieser Todeskampf des Kapitalismus auch zu gegenläufigen Entwicklungen. Unterhalb der Oberfläche reifen revolutionäre Tendenzen heran. Überall sehen wir einen starken Gärungsprozess. In unterschiedlicher Geschwindigkeit und in unterschiedlichen Formen wird dies auf das Massenbewusstsein durchschlagen und sich in allen möglichen Formen von sozialen und politischen Krisen und Explosionen ausdrücken.

Dieser Prozess könnte kürzer und weniger widersprüchlich ablaufen: Wenn es Massenorganisationen mit einer klaren revolutionären Politik gäbe, die über ausreichend Autorität in der Arbeiterklasse oder zumindest ihrer Avantgarde verfügen würden. Der Preis an Menschenleben und Leid, den die Menschheit bezahlen muss, wäre viel geringer. Aber es gibt nichts, was der Kommunistischen Internationale gleich käme, als sie noch ein wirklich revolutionäres Instrument unter der Führung von Lenin und Trotzki war. Die Massenorganisationen (egal ob sozialistische, kommunistische oder gewerkschaftliche Organisationen), die gegründet worden waren, um die Gesellschaft zu verändern, haben sich zu den allergrößten Hindernissen auf diesem Weg entwickelt. Mit den Worten von Leo Trotzki: Die Krise der Menschheit reduziert sich auf die Krise der Führung des Proletariats.

Allerdings bedeutet das Fehlen eines subjektiven Faktors, d.h. der revolutionären Partei und ihrer Führung, nicht, dass die Revolution völlig von der Tagesordnung verschwindet. Es bedeutet nur, dass sich die Krise länger hinziehen und ruckartig entfalten wird. Die herrschende Klasse mag die Krise zeitweilig durch weitere Belastungen auf dem Rücken der Massen "lösen, können. Die Ausbeutung der Menschen und des Planeten wird intensiviert werden. Es werden Phasen zeitweiliger Flaute im Klassenkampf kommen, die den Perioden eines unsicheren Waffenstillstands während eines Krieges gleichen. Aber kein wirkliches, anhaltendes Gleichgewicht wird sich einstellen. Jede Flaute im Klassenkampf wird nur das Vorspiel zu neuen Explosionen sein.

Diese Instabilität sehen wir auf allen Ebenen: in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer, diplomatischer und militärischer Hinsicht. Es gibt enorme Schwankungen in der Weltwirtschaft. Das drückt sich auch international in der Nervosität der Bourgeoisie aus. Die großen Ausschläge des Ölpreises sind ein Symptom dieser Instabilität, welche wiederum ein Ergebnis der politischen und militärischen Widersprüche im Nahen Osten nach dem Irak-Abenteuer von US-Präsident Bush sind. Drei Jahre nach der Invasion im Irak weitet sich der Aufstand in seiner Breite und in seiner Heftigkeit weiter aus. Aber die Nervosität der Bourgeoisie begründet sich auch auf anderen, sehr ernstzunehmenden Erwägungen.

Unterschiedliche historische Perioden

Lenin definierte Politik einmal als konzentrierte Ökonomie. Das heißt aber nicht, dass man die Politik rein auf die Ökonomie reduzieren kann. Der Wirtschaftszyklus ist von beträchtlicher Bedeutung, in letzter Instanz ist er sogar entscheidend. In seinem Vorwort aus dem Jahr 1924 zu Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale erklärte Trotzki in Bezug auf die Lage in Deutschland:

"Heute sind wir mehr denn je dazu gezwungen, die Veränderungen in der Handels- und Industriekonjunktur Deutschlands und die Art und Weise, wie sich diese im Lebensstandard der deutschen Arbeiter widerspiegelt, aufmerksam.

"Es ist die Ökonomie, die entscheidend ist, jedoch nur in der letzten Instanz. Von größerer direkter Bedeutung sind jene politisch-psychologischen Prozesse, die jetzt im deutschen Proletariat vor sich gehen und die eine eigene innere Logik haben., (The First Five Years of Communist International, vol. 1, p.7, eigene Übersetzung).

Der Marxismus hat nichts gemein mit einem ökonomischen Determinismus, der alles auf die Frage des Wirtschaftszyklus reduziert. Ausgangspunkt ist ein Verständnis vom Charakter und den Folgen des Wirtschaftszyklus, und dass diese auf den verschiedenen Stufen kapitalistischer Entwicklung andere Formen annehmen. Die Booms in der Periode des historischen Aufschwungs des Kapitalismus sind völlig unterschiedlich von jenen in der Periode seines Niedergangs.

Es gibt Perioden des kapitalistischen Aufschwungs, in denen die Booms sehr lange und die Rezessionen kurz und nicht sehr tief waren. Solch eine Periode hatten wir in den 1920er Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese Perioden waren gekennzeichnet durch eine relative Vollbeschäftigung, steigenden Lebensstandard und eine Flaute im Klassenkampf. In diesen Phasen erlebte der Reformismus seine Hochblüte. In solchen Perioden gelingt es der herrschenden Klasse und ihren Ideologen, über die Mittelschichten auch große Teile der Arbeiterklasse mit einer bürgerlichen Ideologie zu durchdringen. Es herrscht ein allgemeines Gefühl des Vertrauens in die Zukunft vor. Das Heute ist besser als das Gestern, und das Morgen ist besser als das Heute. In solchen Perioden werden revolutionäre Tendenzen fast schon zwangsläufig in die Isolation gedrängt.

In der Zeit nach 1945 zeigte der Kapitalismus, vielleicht zum letzten Mal, wozu er imstande ist. Wir erlebten zumindest in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Europas, Japans und Nordamerikas ein enormes wirtschaftliches Wachstum mit Vollbeschäftigung und steigendem Lebensstandard. Diese Periode war gekennzeichnet durch Reformen, die zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen und zu einer Abschwächung des Klassenkampfes führten. In den Entwicklungsländern war die Lage jedoch eine ganz andere.

In der Periode von 1948-73 lag die jährliche Wachstumsrate der Weltwirtschaft (basierend auf einem fixen Dollarpreis von 1990) bei 5%. Der Welthandel expandierte sehr schnell und nahm die Rolle eines Stimulus für die Entwicklung der Produktivkräfte ein. In derselben Periode stiegen die weltweiten Warenexporte um 7"4% und die der weltweiten Exporte von Industrieprodukten um 9"8%. Es handelte sich um eine ungebrochene Periode der kapitalistischen Expansion, die bis zur ersten ernsthaften Weltrezession von 1974 andauerte.

Das kapitalistische System hat es aber seither nie wieder geschafft, auch nur annähernde Resultate zu erzielen. Wenn wir uns die Wachstumsraten, die Profitabilität, die Arbeitslosenzahlen oder andere Indizes anschauen, dann werden wir in all diesen Bereichen Einbrüche sehen. Zwischen 1973 und 1998 lag die jährliche Durchschnittswachstumsrate der Weltwirtschaft bei 2"9%. In der Periode zwischen 1990-98, der Phase mit dem signifikantesten Wachstum seit 1973, lag sie bei 2"6%. Der Welthandel mit Waren wuchs zwischen 1973-98 durchschnittlich um 4"7%, der Welthandel mit Industrieprodukten um 5"9%. Zwischen 1990-98 waren die dementsprechenden Zahlen 6"5% bzw. 6"7%. (Diese Daten stammen von der WTO.)
Von diesem Wirtschaftswachstum hatte in erster Linie die herrschende Klasse profitiert, die ihre wirtschaftliche Stärke auf Kosten der Arbeiterklasse ausbauen konnte. Die ArbeiternehmerInnen hingegen werden zunehmend in eine wirtschaftlich unsichere Lage gedrängt. In den USA betrugen die jährlichen Reallohnzuwächse in der Zeit von 1959-73 2"9%, im Zeitraum von 1973-99 stiegen allerdings die Löhne real nur um 1"7% pro Jahr. Vergleicht man dies mit den Kennzahlen der 500 Unternehmen des US-amerikanischen S&P-Index, so zeigt sich, dass diese im Zeitraum von 1961-68 durchschnittlich eine jährliche Profitrate von 6"7% verzeichneten, während zwischen 1991 und 1999 dieser Wert auf 15"9% angestiegen ist. Diese Zahlen verdeutlichen die wirtschaftliche Polarisierung seit 1973. Die gesellschaftlichen Reserven des kapitalistischen Systems werden immer mehr aufgebraucht.

In der Periode nach 1945 war das Wachstum des Welthandels die wichtigste Lokomotive der Weltwirtschaft. In den letzten Jahren verlangsamte sich dieses Wachstum aber immer mehr. Der Welthandel wuchs im Jahr 2000 um mehr als 10%, 2001 aber nur noch um 1"5%, 2002 um 2% und auch 2003 um nicht viel mehr als 3%. In den vergangenen zwei Jahren erholten sich die Wachstumsraten wieder (2004: 5%, 2005: 8%). Wachstumsmotor dabei war v.a. die chinesische Wirtschaft. Allerdings hat sich die Rolle des Welthandels deutlich gewandelt. In den 1980er und 1990er Jahren wuchs der Welthandel um bis zu 15% jährlich. Heute zeigt sich hier eine sich ankündigende weltweite Überproduktionskrise.

Unter dem Druck des Kapitals

Unter den Bedingungen des kapitalistischen Aufschwungs war der Reformismus die alles dominierende Strömung in der Arbeiterbewegung, und im reformistischen Lager wiederum hatten die Rechten das Sagen. Der Druck des Kapitals wurde über die reformistischen Führungen auf die Arbeiterbewegung wirksam und besiegelte die reformistische Degeneration der Arbeitermassenparteien (der "kommunistischen, wie auch der sozialdemokratischen). Es herrschte die Illusion vor, dass der Kapitalismus all seine Probleme gelöst habe und dass Revolutionen ein für allemal der Vergangenheit angehören würden. Unter diesen Bedingungen war die marxistische Strömung über eine ganze geschichtliche Periode eine kleine, isolierte Minderheit.

Nun aber hat sich die Situation in ihr Gegenteil verkehrt. Das kapitalistische System ist altersschwach. Es hat sein Gleichgewicht verloren und wird dazu auch nicht mehr zurückkehren können. Wie wir schon in unserem letzten Weltperspektivendokument vorausgesagt haben, zerstört jeder Versuch, das ökonomische Gleichgewicht wieder herzustellen, das politische und soziale Gleichgewicht. Diese Tatsache können wir mittlerweile weltweit beobachten.

Der gegenwärtige Boom basiert auf sehr schwachen Fundamenten. Die ganze Welt ist abhängig von den USA und zu einem geringeren Ausmaß von China. Die derzeit sehr hohe Wachstumsrate in China ist aber auf die Dauer nicht zu halten. Was sich hier vorbereitet, ist eine ernsthafte Überproduktionskrise. Die US-Ökonomie ist so hoch wie noch nie zuvor verschuldet. In jedem anderen Land hätte solch eine Situation längst zu einer Rezession geführt. Nur die Tatsache, dass die USA die weltweit mächtigste und reichste Ökonomie darstellen, erlaubt es ihnen, diesen Weg fortzusetzen. Das kann aber nicht ewig so weitergehen.

Der Charakter des gegenwärtigen Booms ist durch nichts mit den Aufschwungphasen der Vergangenheit zu vergleichen. Im Gegenteil, dieser Aufschwung basiert einzig und allein auf höherer Ausbeutung in Form von längeren Arbeitszeiten, einer gesteigerten Arbeitsgeschwindigkeit und Einsparungen. Dies gilt selbst für die entwickelten kapitalistischen Länder. In den USA ist die heutige Generation die erste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die keine Verbesserung des Lebensstandards erwarten kann. Die Angriffe auf die Pensionen sind ein allgemeines Phänomen. Der Gedanke dahinter ist, dass wir solange arbeiten, bis wir tot umfallen. Das ist eine Rückkehr zum Kapitalismus im 19. Jahrhundert. Die lächelnde Maske des Reformismus wurde abgelegt, und zum Vorschein kam die hässliche Fratze des Kapitalismus. In der "freien Marktwirtschaft, herrscht wieder das Gesetz des Dschungels.

In allen Ländern nimmt die soziale Ungleichheit in einem ungeheuren Ausmaß zu. Die Reichen werden immer reicher, während ein zunehmend größer werdender Teil der Gesellschaft selbst in den reichsten Ländern in absoluter Armut versinkt. Das ist eine Folge des Prozesses der Kapitalkonzentration, wie er von Karl Marx beschrieben wurde. Die ReformistInnen vertraten die Meinung, dass diese Entwicklung der Vergangenheit angehören würde. Doch die Monopolisierung und die Konzentration von Macht und Kapital in den Händen einer kleinen Minderheit waren noch nie so ausgeprägt wie heute. Die Vorhersagen von Marx wurden Realität.

Das legt Schritt für Schritt die Basis für eine Stimmung der Unzufriedenheit, in der das System immer mehr hinterfragt wird. Dies gilt vor allem für die Jugend. Sowohl in den USA wie auch in Europa spiegelte sich dies in den massenhaften "Antiglobalisierungsprotesten, und den riesigen Demos gegen den Irakkrieg wider. Dies sind die ersten Symptome einer zunehmend revolutionären Tendenz in der Jugend. Über all dem hängt das Damoklesschwert einer neuen weltweiten Rezession.

Mit der Ausnahme von China sind die Wachstumsraten in den entwickelten kapitalistischen Ländern extrem niedrig. Die USA erreichten zwar eine Wachstumsrate von 3%, doch auch hier ist das Bild von ernsthaften Ungleichgewichten in Mitleidenschaft gezogen. Es ist äußerst ungewiss, ob die USA dieses Wachstum halten werden. Die Wachstumsrate in der EU liegt bei nur 1"8% (oder noch wahrscheinlicher bei 1"5%). Italiens Wirtschaft wächst gar nur um 0"2%. Das nennen sie einen Boom!

Die parasitäre Bourgeoisie

Marx wies immer darauf hin, dass die Bourgeoisie am liebsten "Geld aus Geld machen, würde. In der Vergangenheit entwickelte die Bourgeoisie die Produktionsmittel und spielte somit auch eine relative fortschrittliche Rolle. Das ist aber nicht mehr länger der Fall. In zunehmendem Maße versuchen die KapitalistInnen mit Spekulationsgeschäften schnelle Profite zu machen. Dabei ersparen sie sich die mühsame Produktion von Waren. Mit Ausnahme von China, wo es eine unvorstellbare Entwicklung der Produktivkräfte gegeben hat, haben die KapitalistInnen nicht mehr in dem Maße in die Produktion investiert wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Die Zahlen der Ausländischen Direktinvestitionen (FDI) für den Zeitraum 1999-2003 zeigen dies eindrücklich:

1999: 1.08 Billionen Dollar
2000: 1.38 Billionen Dollar
2001: 817 Mrd. Dollar
2002: 678.8 Mrd. Dollar
2003: 559.6 Mrd. Dollar.

Dies zeigt, dass es 2001 sogar einen Rückgang der Ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 41% gab. 2002 lag dieser bei 17% und 2003 nochmals 17%. Die Zahlen für die Ausländischen Direktinvestitionen in den USA gingen 2003 um 53% zurück. Das ist der größte Rückgang seit zwölf Jahren. In Zentral- und Osteuropa betrug der Einbruch der Ausländischen Direktinvestitionen 30%, in der EU 20% und in Japan 35%. China ist die Ausnahme und das Land mit dem größten Zustrom an Ausländischen Direktinvestitionen (Quelle: UNCTAD 2004 Report). In seinem Bericht für den September 2005 warnte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass "trotz des starken Wachstums der Unternehmensprofite, die Investitionen allgemein sehr schwach gewesen sind., Der IWF spricht sich dabei für einen Strategiewechsel aus: "Bis jetzt wurde das Weltwirtschaftswachstum durch den Anstieg des Konsums gestützt, es ist jetzt aber die Zeit gekommen, um wieder auf ein Wachstum umzustellen, das sich nicht auf dem Konsum sondern auf Investitionen basiert."

Auf ihrer Suche nach schnellen Profiten haben die KapitalistInnen vor allem auf Firmenübernahmen gesetzt, was fast immer in Fabrikschließungen und Personalabbau endet. In den ersten Monaten des Jahres 2005 wurde ein Anstieg solcher Übernahmen um 40% verzeichnet, was einem Gesamtwert von 1"657 Billionen Dollar entspricht. Der IWF versucht dies als eine "Skalenwirtschaft, die es ermöglicht die Fixkosten zu reduzieren, darzustellen. Euphemistisch wird dies als "kreative Zerstörung, bezeichnet. In Wahrheit ist daran nichts Kreatives zu entdecken. Es handelt sich vielmehr um eine moderne Form der Maschinenstürmerei, mit dem Unterschied, dass in der Frühphase des Industriekapitalismus ArbeiterInnen die Maschinen zerstörten und nun die KapitalistInnen es selber tun.

Selbst dort wo die KapitalistInnen große Profite machen investieren sie nicht in die Weiterentwicklung der Produktivkräfte in ihren eigenen Ländern. In einem Artikel, der vorsorglich auf den hinteren Seiten der Zeitschrift versteckt wurde, kommentierte "The Economist" in seiner Ausgabe vom 25. Februar 2006: "Heute aber boomen die Unternehmensprofite in Ökonomien wie Deutschland, die eigentlich stagnieren. Und wirklich überall blieben die Realeinkommen der ArbeiterInnen gleich und sanken sogar, obwohl die Profite steigen. […] Unternehmen in Europa verzeichnen schöne Profite […]. In den vergangenen zwei Jahren stiegen die Einnahmen pro Aktie der großen Konzerne in Deutschland um über 100%, in Frankreich um 50%, in Japan um 70% und in Amerika um 35%, obwohl dort das BIP schneller wuchs. […]

"Zweitens, und das ist viel beunruhigender, garantiert der Erfolg von Unternehmen längst nicht mehr das Prosperieren der heimischen Wirtschaft oder genauer gesagt der heimischen Arbeitskräfte. Fette Profite ermutigten in der Vergangenheit die Unternehmen zu Investitionen, ermöglichten höhere Löhne und die Anstellung von mehr ArbeiterInnen. Obwohl heute der Anteil der Profite am nationalen Gesamtvermögen der G7-Staaten ein historisches Hoch erreicht hat, waren die Unternehmensinvestitionen in den letzten Jahren ungewohnt schwach. Die Unternehmen weigerten sich ihre Belegschaften oder die Löhne in dem Maße zu erhöhen, wie dies in vergangenen Aufschwüngen der Fall war. In Amerika ging in keinem anderen Aufschwung seit 1945 ein größeres Stück des Kuchens an die Profite als jetzt., (Hervorhebung durch den Autor)

Anstatt die Produktionsmittel zu entwickeln, zerstören die KapitalistInnen weltweit Produktivkräfte. Hunderttausende Arbeitsplätze im produktiven Sektor wurden zerstört und hauptsächlich durch eine Expansion des parasitären "Dienstleistungssektors, ersetzt. Jene ArbeiterInnen, die ihre Jobs behalten, sind gezwungen länger, unter schlechteren Bedingungen und für weniger Geld zu arbeiten. Was wir sehen, ist eine wilde Unternehmeroffensive auf Kosten der ArbeiterInnen zur Steigerung der Profite. Dieses Phänomen können wir überall beobachten.

Nehmen wir nur einige Beispiele. In den letzten Monaten hat Telstar, Australiens führendes Telekomunternehmen, 12.000 Jobs gestrichen. Auch die Deutsche Telekom hat 19.000 Jobs eingespart. Der Pharmakonzern Merck kündigte einen dreijährigen Restrukturierungsplan an, bei dem 7000 Jobs abgebaut werden sollen. Volkswagen warnt davor, dass durch seinen Restrukturierungsplan 20.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. France Telecom hat ebenfalls den Abbau von 17.000 Arbeitsplätzen über die nächsten drei Jahre angekündigt. Es ließen sich noch viele andere Beispiele anführen. Streiks und Protestmaßnahmen sind die Folge. Nicht nur bei GM, sondern auch bei den New Yorker Verkehrsbetrieben. Die Boeing-ArbeiterInnen haben gegen die vorgeschlagenen Umstrukturierungen gestreikt. Andere werden folgen.

Was wird passieren, wenn es zu einer neuerlichen Rezession kommt? Eine schwere Rezession ist nur eine Frage der Zeit, wenn auch der genaue Beginn einer solchen Krise nicht punktgenau vorausgesagt werden kann. Die Folgen der kapitalistischen Krise sind bereits unter den heutigen Bedingungen spürbar. Die KapitalistInnen versuchen ihren Anteil am Mehrwert auf Kosten der ArbeiterInnen zu steigern. In jedem Land ist der Anteil der ArbeiterInnen am gesellschaftlichen Reichtum rückläufig, während jener der KapitalistInnen zunimmt.

Die KapitalistInnen haben ihre Profite einerseits durch höhere Ausbeutung und andererseits durch die zunehmende Expansion auf den internationalen Märkten und damit verbunden einer intensivierten internationalen Arbeitsteilung (oder "Globalisierung", wie sie es nennen) aufrechterhalten. Diese Tendenzen haben sich eine Zeit lang positiv auf die kapitalistische Entwicklung ausgewirkt. Das ist auch der Grund, warum die beiden weltweiten Rezessionen, die es seit 1987 gab, im Vergleich zu den vier tiefen Rezessionen in den vorangegangenen Jahren relativ mild ausgefallen sind. In der Wirtschaftswissenschaft ist jedoch die Vergangenheit kein Indikator für die Zukunft. Die Tatsache, dass die letzten beiden Rezessionen eher schwach ausfielen, sagt noch gar nichts über zukünftige Krisen aus. Im Gegenteil, alles deutet darauf hin, dass sich enorme Widersprüche auftürmen und den Boden für eine tiefe Rezession aufbereiten.

Die ernsthafteren bürgerlichen ÖkonomInnen vergleichen die heutige Weltwirtschaftslage gerne mit den frühen 1970ern, als die steigenden Erdölpreise (als Folge eines militärischen Abenteuers im Nahen Osten) die erste wirklich weltweite Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg auslöste. Der steigende Erdölpreis war nicht, wie VulgärökonomInnen behaupteten, die Ursache der Rezession, sondern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, der Katalysator, der alle Tendenzen, die bereits zuvor existierten, auf einen kritischen Punkt brachte.

Die Schwäche der US-Wirtschaft

Über Jahre und Jahrzehnte türmte sich Widerspruch auf Widerspruch. In den USA hat sich der sogenannte "Amerikanische Traum, - hart arbeiten und reich werden - als reine Mär erwiesen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt der amerikanische Kapitalismus für Millionen Menschen keinen Traum, sondern vielmehr einen Alptraum dar. Das tatsächliche Gesicht des US-Kapitalismus zeigte sich nach dem Hurrikane Katrina. Die Existenz einer Unterklasse von Armen im reichsten Land der Erde wurde lange Zeit sorgfältig vor der Weltöffentlichkeit verschwiegen. Es brauchte schon ein zufälliges Ereignis wie Katrina, um den tatsächlichen Charakter des US-Kapitalismus offen zu legen. Der Rest der Welt war geschockt. Tatsächlich aber sehen wir überall dieselben Entwicklungen, wie die Jugendrevolte in den französischen Vorstädten zeigte.

Um eine Rezession, deren politische und soziale Effekte sie fürchten, zu verhindern, hat die US-Bourgeoisie von einem kapitalistischen Standpunkt aus äußerst unverantwortlich gehandelt. Die RepublikanerInnen, die vormals für die Prinzipien "gesunder Finanzpolitik", ausgeglichener Budgets und eines starken Dollars standen, haben alle Vorsicht in den Wind geschrieben und verspielen das Familiensilber auf dem Roulettetisch. Das Ergebnis war ein massiver Anstieg der Kredite und ein noch nie da gewesenes Niveau der Staats-, Unternehmens- und Privatschulden. Kein anderes Land könnte dies durchstehen. Nur wegen ihrer Sonderstellung als die größte Supermacht der Erde können sich die USA noch halten. Doch diese Situation kann nicht ewig andauern.

Marx erklärte schon vor langer Zeit, dass die KapitalistInnen versuchen würden, durch den Einsatz von Krediten eine Krise zu vermeiden. Damit soll der Markt über seine natürlichen Grenzen hinaus ausgedehnt werden. Früher oder später aber muss sich der Prozess in sein Gegenteil verkehren. Die Schulden müssen samt Zinsen zurückgezahlt werden. Die Expansion auf Pump erweitert zwar kurzfristig den Markt, nur um ihn aber langfristig einzuschränken. Greenspan, der diese Politik verkörperte, ging nun in Pension. "The Economist" stellte in seiner Ausgabe vom 15. Oktober 2005 die Frage, "ob irgendein vernünftiger Mensch diesen Job annehmen würde?, Der Grund für diesen Skeptizismus liegt darin, dass der US-Kapitalismus auf schwachen Beinen steht. Greenspan hat seinem Nachfolger ein ordentliches Durcheinander und ein gewaltiges Budgetdefizit ("das Greenspan-Defizit") hinterlassen.

Die US-Wirtschaft liegt auf einem riesigen Schuldenberg. Früher oder später produziert jeder Berg Lawinen. Alle seriösen ÖkonomInnen geben zu, dass die USA in Wirklichkeit eine Blasenökonomie darstellen. Jetzt nimmt auch noch die Inflation in den USA wieder zu. Das weckt die Gefahr steigender Zinssätze. Doch einer der wichtigsten Faktoren zur Verlängerung des Konsumbooms in den USA (wofür Greenspan auch verantwortlich zeichnete) waren die historisch gesehen sehr niedrigen Zinssätze. Das hatte eine Ausdehnung der Kredite (und somit des Marktes) zur Folge, doch nur zu den Kosten einer schmerzhaften Krise in der Zukunft.

Greenspan schuf eine Situation, wo ein mehrfaches Anheben der Zinssätze notwendig geworden ist. Die Federal Reserve hat in den letzten 12 Monaten 8 Mal die Zinssätze anheben müssen. Doch selbst das war ein Fall von "zu wenig und zu spät". Damit wurde die Spekulationsblase nicht reduziert, sondern auch die Inflation blieb hoch und erreichte 2005 vier Prozent - die höchste Rate seit 1991. Die kurzfristigen Zinssätze sind somit in den USA höher als in Europa, was trotz der gewaltigen Defizite Geld anzieht. Früher oder später werden die hohen Zinssätze dem Konsumboom in den USA ein Ende setzen. Das wird gewaltige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Das europäische Kapital denkt jetzt schon über eine Anhebung der Zinssätze nach, obwohl die Wirtschaft in der EU kaum wächst.

Die Schwäche der US-Ökonomie kann an den großen Schwankungen des Dollars abgelesen werden. Der Dollarkurs ist, wie wir vorausgesagt haben, stark gefallen. Das kann auch kaum anders sein, wenn die USA ein Zahlungsbilanzdefizit von ungefähr 800 Mrd. $ haben. Was viel mehr überrascht, ist die Tatsache, dass der Dollar teilweise wieder an Boden gewinnen konnte. In den letzten Monaten waren es 14% zum Euro. Doch diese Situation kann nicht lange andauern, denn sie spiegelt nicht die Stärke der US-Wirtschaft, sondern vielmehr die Schwäche der europäischen Wirtschaft wider. Das kann sich jederzeit wieder umkehren, mit einem massiven Abfluss an Fremdwährungen und einem weiteren Fall des Dollars. Die Bürgerlichen sind darüber sehr besorgt. Jeder Schock, wie ein plötzlicher Anstieg des Erdölpreises, kann eine Abwärtsspirale an den internationalen Börsen auslösen, was zu Panik führen kann.

Früher oder später wird sich das reale Leben gegenüber den Spekulationen durchsetzen und die Spekulationsblase, die ihren Ausdruck in überbewerteten Immobilien und Aktien findet, zum Zerplatzen bringen. Unter den heutigen Umständen hätte ein Kollaps des Spekulationsbooms ernsthafte Konsequenzen für die Realwirtschaft. Vor allem würde er in eine tiefe Krise des Immobilienmarktes führen. Nachdem die Bauwirtschaft und damit verbundene Wirtschaftsaktivitäten (neben auf Krediten gestützter Konsum) das Grundelement hinter dem Boom in der US-Ökonomie darstellen, muss das zu einem scharfen Niedergang in der Realwirtschaft und einer kaum zu kontrollierenden Abwärtsspirale führen.

Bereits jetzt sehen wir sowohl in Europa wie auch in den USA die Zeichen einer Überproduktion bei Autos und Handys. Die Autoindustrie ist noch immer von enormer Bedeutung in den USA. Viele andere Industrien hängen direkt von ihr ab. Doch alle Autokonzerne stecken in einer tiefen Krise. General Motors steht vor dem Bankrott. Ford und Daimler-Chrylser stehen nicht viel besser da. Delphi, der größte Autozulieferbetrieb in den USA, ging Pleite. Alle großen US-Autokonzerne setzen auf Preisdumping. Im September 2005 gingen im Vergleich zum September 2004 die Autoverkäufe in den USA um 20% zurück. GMs Verkaufszahlen gingen um 24% zurück. Durch den Prepnmpf stiegen die Verkaufszahlen wieder, aber die Profite sinken. Das sind keine Anzeichen für einen Boom, sondern vielmehr Phänomene, die man aus einer Rezession kennt.

Ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivität spielt sich gegenwärtig nicht in der Produktion, sondern in Spekulationsgeschäften wie Börsengeschäften, Übernahmen und Immobilienspekulation ab. Davon profitiert die Ökonomie aber nicht und schafft keinen neuen Reichtum. Es handelt sich vielmehr um einen gewaltigen Blutsauger, der den von der Arbeiterklasse geschaffenen Reichtum herauszieht und in die Taschen einiger weniger Parasiten verschiebt. Als der letzte Spekulationsboom kollabierte, schworen sich die Bürgerlichen, es nie mehr soweit kommen zu lassen. Aber die dem System innewohnenden Gesetze bewirken immer wieder das ewige Auf und Ab der Konjunkturzyklen.

Natürlich gibt es in jedem Zyklus ein spekulatives Element. Ein Spekulationsboom im Immobiliensektor spielte eine wichtige Rolle im Boom vor dem Crash von 1929. Zuvor hatten wir die Südseeblase im 18. Jahrhundert und den niederländischen Tulpenskandal im 17. Jahrhundert. Doch die gegenwärtige Blase ist der größte Spekulationsboom in der Geschichte, größer als 1929 oder alles andere. Die Bürgerlichen werden diese Entwicklung noch schmerzlich bereuen. Sie legen gerade die Basis für eine ernsthafte Rezession. Die Prozentzahlen für den Anstieg bei den Immobilienpreisen international im Zeitraum 1997-2005 lauten wie folgt:

Südafrika: 244
Spanien: 145
Britannien: 154
Irland: 192
Italien: 69
Frankreich: 57
Belgien: 71
USA: 73
Deutschland: - 0.2

Obwohl das Wachstum der Immobilienpreise in den USA geringer ausfiel als in einigen anderen Ländern, so macht es doch einen großen Teil des Wachstums des US-BIP der letzten fünf Jahren aus. Um das Ausmaß des Problems darzulegen: die Blase an den Börsen in den späten 1920ern, knapp vor dem Crash des Jahres 1929, machte 55 Prozent des gesamten US-BIP aus. In den letzten fünf Jahren stellten die Konsumausgaben und der Wohnungsbau in den USA nicht weniger als 90% des gesamten BIP-Wachstums dar. Mehr als zwei Fünftel aller Jobs in der Privatwirtschaft seit 2001 standen in Zusammenhang mit dem Wohnbau. Diese Situation ist zutiefst alarmierend aus der Sicht seriöser bürgerlicher ÖkonomInnen.

Das Problem ist einfach: In der jüngsten Vergangenheit gab es eine enorme Kreditexpansion und Verschuldung. Das ist die Grundlage für den Konsumboom in den USA. Ein Hausbesitzer kann heute mehr Schulden haben als sein Eigentum wert ist. Auf diese Art hat der US-Kapitalismus den Markt weit über seine natürlichen Grenzen ausgedehnt. Das Problem ist allerdings, dass früher oder später diese Kluft wieder gefüllt werden muss. Der gegenwärtige Spekulationsboom wird, wie jede bisherige Blase in der Geschichte, zerplatzen und in eine Rezession führen.
Eine Immobilienkrise würde die Realwirtschaft ernsthaft betreffen. Die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten in den USA waren in der jüngsten Vergangenheit auf die eine oder andere Art und Weise mit der Bauindustrie verbunden. Ein tiefer Fall in der Bauwirtschaft würde die wichtigste Triebkraft des gegenwärtigen Booms in Mitleidenschaft ziehen. Die indirekten Folgen wären gewaltig, vor allem auf den Konsum. Die hohe Verschuldung der KonsumentInnen, bisher eine tragende Säule des Booms, würde den Markt enorm beschneiden und die Rezession, wenn sie einmal ausgebrochen ist, sehr tief ausfallen lassen. Je länger sich dieser Moment der Wahrheit hinauszögert, desto tiefer wird die Rezession sein.

Wie in jeder Rezession verkehren sich die Faktoren, welche zuerst die Wirtschaft nach oben geführt haben, in ihr Gegenteil. Ursache wird Wirkung und umgekehrt. Die Auswirkungen sind binnen kurzer Zeit auf dem Weltmarkt spürbar, und zwar als Folge der Globalisierung. Wenn die US-KonsumentInnen aufhören, Geld auszugeben, wo wird China dann seine Waren verkaufen? Wenn die chinesische Wirtschaft nicht mehr so schnell wächst, wird das Folgen für ganz Asien haben, weil der wichtigste Markt der asiatischen Volkswirtschaften China ist.

Protektionistische Tendenzen

Im Gegensatz zur Meinung vieler bürgerlicher ÖkonomInnen ist die Globalisierung kein Naturgesetz. Dieser Prozess kann wieder zurückgenommen werden, wie dies bereits in der Vergangenheit einmal der Fall war. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es schon einmal einen sehr weitreichenden Globalisierungsprozess. In mancherlei Hinsicht war dieser sogar bedeutender als der heutige. Auf alle Fälle gilt dies für die Bereiche Immigration und Arbeitsmärkte. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich diese Tendenz jedoch wieder zurück. Die Weltwirtschaftskrise wurde damals zu einer anhaltenden Depression, wobei die Last der Krise durch protektionistische Maßnahmen wie Währungsabwertungen usw. auf die anderen Staaten abgewälzt wurde.

Mit Protektionismus wird versucht, Arbeitslosigkeit zu exportieren. Im Fall einer tiefen Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit werden die wichtigsten kapitalistischen Mächte versuchen, ihre Probleme auf dem Rücken anderer Länder zu lösen. Die Spannungen zwischen Europa und den USA sowie zwischen den USA und China werden sich dann zuspitzen. Das ganze zerbrechliche Gebilde des Welthandels würde unter enormen Druck geraten, was den Boden für einen Neuaufschwung des Protektionismus und Handelskriege aufbereiten würde. Diese Perspektive ist in der gegenwärtigen Situation implizit vorhanden.

Die Bürgerlichen glaubten, dass die Globalisierung all ihre Probleme lösen würde. Sie meinten, etwas völlig Neues entdeckt zu haben. In Wirklichkeit war diese Entwicklung aber gar nicht so neu. Marx erklärte bereits im Dritten Band des Kapitals, wie die Entwicklung des Welthandels temporär eine Krise verhindern könnte, jedoch nur unter der Bedingung, dass eine noch größere Krise in der Zukunft aufbereitet würde. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Bürgerlichen den Weltmarkt in einem ungeahnten Ausmaß ausgedehnt. Dies hat zweifelsohne dem kapitalistischen System genutzt und erklärt auch die Milde der Rezessionen in der jüngsten Vergangenheit. Doch das Auftreten von China als einer neuen Wirtschaftsmacht schafft nun international neue Widersprüche.

Es ist gewiss keine Kleinigkeit wenn eine Milliarde Menschen dem kapitalistischen Markt zugeführt werden, wie dies nun im Fall von China passiert. China hat die Rolle eingenommen, welche die KapitalistInnen ursprünglich Russland zugedacht gehabt hätten. Es bot ihnen ein breites Feld für den Export von Kapital und von Waren, neue Märkte und Investitionsmöglichkeiten. Sie sahen in China nur einen Markt, sie verstanden aber nicht die langfristigen Auswirkungen dieses Prozesses, (wie überhaupt die KapitalistInnen dazu tendieren, nicht langfristig zu denken). Indem sie in China massiv investierten, haben sie einen mächtigen Industriegiganten und Konkurrenten geschaffen, der nun in einer Position ist, die KapitalistInnen auf den Weltmärkten ernsthaft herauszufordern.

Mit niedrigeren Arbeitskosten, moderner Maschinerie und einer hohen Produktivität wurde China zu einer herausragenden Kraft auf dem Weltmarkt. Der enorme Anstieg chinesischer Textilexporte nach Europa hat bereits zu einem ernsten Zusammenstoß zwischen der EU und China geführt. Letztlich wurde ein Kompromiss gefunden; das Problem ist aber alles andere als vom Tisch. Schuhimporte aus China in der EU nahmen in den ersten neun Monaten des Jahres 2005 im Vergleich zur selben Zeitspanne im Jahr 2004 um 300% zu. Der Ruf nach Importbeschränkungen vor allem aus Italien wird immer lauter. Dieser Konflikt ist aber nicht nur auf billige Textilien beschränkt. Dieser ökonomische Gigant hat nun sogar den USA den Rang als wichtigster Exporteur von High Tech-Produkten abgelaufen. 2004 exportierte China 180 Mrd. $ an High Tech-Produkten. Das US-Kapital hat bereits dagegen aufgeschrieen. Im US-Kongress ist eine zunehmend protektionistische Stimmung auszumachen. Die treibenden Kräfte sind Kongressabgeordnete, deren Wiederwahl angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit in ihren Bundesstaaten bedroht scheint. Charles Schumer, der lauteste Repräsentant dieser Gruppe, machte einen Gesetzesvorschlag, der die Einführung von Zöllen auf chinesische Importe in der Höhe von 27"5% vorsah. Er kam damit nicht durch, aber es zeigt, in welche Richtung sich dieser Konflikt bewegt.

Aus marxistischer Sicht ist die massive Entwicklung der Industrie in China eine fortschrittliche Entwicklung, weil es die Macht des Proletariats erhöht. Solange die Wirtschaft wächst und die Perspektive für eine bessere Zukunft besteht, werden die Massen bereit sein, die von ihnen verlangten Opfer zu bringen. Doch schon eine ökonomische Verlangsamung könnte die ganzen versteckten Widersprüche leicht an die Oberfläche bringen. Offiziellen Statistiken zufolge ist die Zahl der Massenproteste in China von 10.000 im Jahr 1994 auf 74.000 im Jahr 2004 angestiegen. Diese Zahlen sind noch nicht gewaltig, aber sie sind ein Indikator dafür, dass in China die Bedingungen für revolutionäre Entwicklungen heranreifen. Der Klassenkampf kann in China jederzeit an die Oberfläche treten.

Das phänomenale Wachstum der chinesischen Ökonomie hat seine Grenzen. Eine ernsthafte Rezession als Folge einer Überproduktionskrise in China steht bevor. Dann werden sich all die Faktoren, die die Weltwirtschaft scheinbar unermüdlich vorangetrieben haben, in ihr Gegenteil verkehren. Die Entwicklung hin in Richtung Kapitalismus und das Aufgeben der Planwirtschaft schafft die Bedingungen für eine massive Überproduktionskrise in China. Während China die Folgen der letzten beiden internationalen Rezessionen noch abgeschwächt hat, könnte es das nächste Mal durchaus einen gegenteiligen Effekt haben. In der Vergangenheit hat der Westen China nur als gigantischen Markt gesehen. Doch diese neu aufgebauten Fabriken in China stellen gewaltige Mengen an Waren her, die dann wiederum in den Westen exportiert werden. Genau das passiert heute bereits, und die USA sind in wachsendem Maße besorgt über diese Entwicklung.

Selbst um die kleinsten Märkte wird ein wilder Kampf geführt. Die Zukunft des Welthandels wird dadurch bedroht, und alle Versuche einer weiteren Liberalisierung werden dadurch unterminiert. Das erklärt auch das Scheitern der letzten WTO-Gipfel in Seattle und dann in Cancun. Dieselben protektionistischen Tendenzen können bei der Doha-Verhandlungsrunde über die Zukunft des Welthandels beobachtet werden. Daran sieht man, wie groß die Heuchelei ist, wenn die Kapitalisten von "freiem Handel, sprechen. Die starken kapitalistischen Ökonomien in Europa, Japan und die USA zwangen die schwachen Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika zu einer Öffnung ihrer Märkte mit dem Vorwand des "Freihandels". Dadurch wurden die Industrien in diesen Ländern stark geschwächt, ganze Nationen wirtschaftlich ruiniert und in eine Schuldenfalle getrieben. Doch wenn die armen Länder Freihandel in der Landwirtschaft fordern, was ihre Lage ein wenig erleichtern würde, weil sie für ihre landwirtschaftlichen Exportprodukte einen besseren Zugang zu den lukrativen Märkte in Nordamerika, Europa und Japan bekommen würden, wird ihnen sofort die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Im Juni 2006 lief die vom US-Kongress gesetzte Frist für die Doha-Verhandlungen ab. Es wurde aber bis jetzt kein Fortschritt erzielt. Es wird wie auf einer mittelalterlichen Pferdemesse herumgefeilscht. Der größte Streitpunkt blieb die Landwirtschaft, obwohl dieser Bereich nur 3% des weltweiten Gesamtoutputs und weniger als 10 % des gesamten Welthandels ausmacht. Die USA, Japan und vor allem die EU sind aber zu keinen nennenswerten Zugeständnissen bereit. Sie alle stellen die Interessen der Großbauern in ihren eigenen Ländern an die erste Stelle. Die US-Regierung subventioniert die eigenen Bauern mit 19"1 Mrd. $; die EU-Landwirtschaftssubventionen betrugen sogar 75 Mrd. $.

Der wachsende Protektionismus wird auch in der Zunahme bilateraler und regionaler Abkommen deutlich. 2004 gab es 206 solcher Abkommen, verglichen mit nur 89 im Jahr 1995. Diese bilateralen Abkommen, die vor allem von den USA stark forciert werden, sind ein Versuch an der WTO vorbei zu operieren. Die WTO wird von Washington als Hindernis zur Durchsetzung der eigenen Interessen gesehen. Doch andere Ländern folgen den USA. Zuletzt bereiteten China und zehn weitere südostasiatische Staaten ein Freihandelsabkommen vor, das 1"8 Mrd. KonsumentInnen betreffen würde. Das Ziel, das aber kaum erreicht werden kann, ist ein völliger Abbau der Zölle auf die meisten Waren bis 2010. China zielt darauf ab, in Asien eine wirtschaftliche Hegemonie aufzubauen. Dies wird zu einer direkten Kollision mit den USA führen, was nicht nur ökonomische sondern auch militärische Implikationen nach sich ziehen könnte.


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