In den letzten Wochen spitzte sich die Lage in der Ukraine dramatisch zu. Über die Hintergründe dieses Konflikts und was Linke über die Protestbewegung „EuroMaidan“ wissen sollten, schreibt Markus Berger.
Seit Ende November wird das Land von Massenprotesten erschüttert. Zentrum des Widerstands ist der Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew. Am 17. Jänner beschloss das Parlament Gesetze, die das Demonstrationsrecht stark beschnitten. Dies befeuerte erneut die Eskalation auf der Straße zwischen Polizei und DemonstrantInnen, so dass es zu den ersten Todesopfern kam und im Westen der Ukraine Regierungsgebäude und in Kiew das Landwirtschaftsministerium besetzt wurden. Nun ist in den Medien sogar schon die Rede von der Gefahr eines Bürgerkrieges (Wiener Zeitung, 22.1.14). Mittlerweile trat die gesamte Regierung zurück, doch die Proteste halten an. Präsident Janukowitsch zeigt sich in den letzten Tagen zum Teil kompromissbereit, doch die Opposition lehnte eine Regierungsbeteiligung ab.
EU oder Russland
Ende November begann die Chronologie des Aufstandes in der Ukraine, nachdem Regierung und Präsident ein über Jahre ausgehandeltes Abkommen zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit der EU auf Eis legten. Dieser Kurswechsel bedeutet eine Abkehr der Ukraine von der EU und eine Annäherung an Russland. Janukowitsch ist der Repräsentant der Oligarchen, die den Bergbau im Donbass kontrollieren. Sein Ziel ist es die Konkurrenzstellung zwischen der EU und Putins Russland auszunutzen. Er stellt sich im Wesentlichen auf die Seite, die ihm mehr bietet. Da hat Moskau derzeit die Nase vorn. Gleichzeitig haben die Oligarchen glänzende Geschäftsbeziehungen zur EU aufgebaut. Österreich spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle in den zwielichtigen Geschäften dieser Mafia-Kapitalisten.
Auf der anderen Seite der Barrikade steht eine Opposition, die sich im Wesentlichen aus drei Kräften zusammensetzt: 1. die Partei der inhaftierten Ex-Präsidentin und Anführerin der pro-westlichen „Orangenen Revolution“ Julia Timoschenko „Vaterland“ 2. die Partei des Boxers und Neo-Politikers Vitali Klitschko „Udar“ sowie 3. die rechtsextreme „Svoboda“ um Parteichef Oleh Tjahnybok. Ziel dieses Dreierbündnisses ist die Absetzung Janukowitschs, vorzeitige Präsidentschaftswahlen, der Aufbau eines „Rechtsstaates nach westeuropäischem Vorbild“ sowie die wirtschaftliche und politische Annäherung an die EU mittels Assoziierungsabkommen.
Bei diesem Konflikt zwischen Opposition und Regierung handelt es sich im Grunde um einen Kampf zwischen zwei Fraktionen der herrschenden Oligarchie, die sich nach dem Ende der Sowjetunion feuchtfröhlich bereicherte. Auf der einen Seite steht die korrupte Clique um Janukowitsch und auf der anderen Seite die kaum weniger korrupten Oligarchen der Opposition, die um politischen Einfluss im Staat ringen.
In Wirklichkeit bieten jedoch beide Seiten keine Lösung für das soziale Elend, den sinkenden Lebensstandard und die Arbeitslosigkeit. Das hat sich nach der „Orangenen Revolution“ deutlich gezeigt. Die wirtschaftlichen Probleme, an denen die ukrainische Bevölkerung heute zu leiden hat, sind eine Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion. So sank das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1991 und 1999 um 60%, was zu Massenarbeitslosigkeit, fallenden Lebensstandard und einer sinkenden Lebenserwartung führte. Heute steht die Arbeitslosigkeit bei 8.6% und die bisher häufige Abwanderung in die EU oder Russland für besser bezahlte Arbeitsplätze ist seit der Krise immer weniger eine wirkliche Option für die ukrainischen Lohnabhängigen. 25% des BIP stammen von Auslandsüberweisungen durch Auswanderer. Die Forderung nach einer stärkeren Orientierung auf die EU reflektiert vor allem die Frustration bei großen Teilen der Bevölkerung, welche seit den 1990ern unter der Verschlechterung des Lebensstandards leidet. Von einer EU-Integration erhoffen sich viele Arbeitsplätze, soziale Verbesserung etc., auch wenn angesichts der anhaltenden Krise in Europa eine solche Perspektive wenig realistisch erscheint.
Die Hoffnungen in die EU sind auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil es sich das europäische Kapital nicht mit Putins Russland völlig verscherzen möchte. Zu abhängig ist etwa die deutsche Ökonomie von den russischen Gas- und Öllieferungen. Die Interessen der ukrainischen Bevölkerung sind dem völlig untergeordnet.
In diesem Konflikt können wir jedenfalls weder die eine noch die andere Seite unterstützen.
Die extreme Rechte
Die Linke in der Ukraine ist politisch sehr schwach. Die Kommunistische Partei stützt die Interessen der herrschenden Oligarchen und gilt daher als Anhängsel der Regierung. Auch die Gewerkschaft verhält sich neutral zu den Protesten. Das ermöglichte erst den pro-westlichen Parteien und der rechtsextremen „Svoboda“ sich an die Spitze der Massenproteste zu stellen. Besonders die starke Dominanz rechtsextremer Elemente ist hierbei auffällig. Zusammen mit anderen Neonazigruppen („Rechter Sektor“) stellt Svoboda den bewaffneten „Selbstschutz“ der Bewegung dar. Die rechte Gewalt im Namen der „nationalen Revolution“ richtet sich aber nicht nur gegen die Polizei, sondern auch gegen Linke, GewerkschafterInnen und gegen LGBT-AktivistInnen. Die Rechtsextremen konnten bislang ungestört an Einfluss in der Bewegung gewinnen, es hat sogar den Anschein, als ob Svoboda die anderen Oppositionsparteien vor sich hertriebe. Dies wird daran deutlich, dass die moderate „Udar“ und „Vaterland“ eine Regierungsbeteiligung ablehnten, da sie sonst Einfluss auf die Protestbewegung zugunsten von Svoboda zu verlieren befürchteten.
Aber nicht nur die westlichen Regierungen scheint die Rolle faschistischer Kräfte in den Protesten nicht zu stören. So ergriffen eine Reihe von Intellektuellen - unter anderem der Pop-Philosoph der Linken Slavoj Zizek - in einem gemeinsamen Statement Partei für die EuroMaidan-Bewegung, die darin als bester Repräsentant des heutigen Europas und der europäischer Werte bezeichnet wird (Guardian 3.1.14). Kein kritisches Wort wird hier über die rechte Svoboda verloren, welche Kontakte zur NPD pflegt und auch mit der FPÖ Gespräche führte.
Die Masse der Bevölkerung steht heute vor der Wahl zwischen Pest und Cholera.