Frontex. Während die Flüchtlingsströme nicht abreissen, kommt es immer wieder zu Kritik der Europäischen Grenzschutz Agentur. Doch Frontex ist nur Ausdruck der europäischen Politik argumentieren Bruno Pegrowitsch und Agnes Friesenbichler.

Nach der erneuten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer, wo von Jahresbeginn bis Mitte April 1600 Menschen beim Fluchtversuch ertrunken waren, war die EU gezwungen zu handeln. Wer sich davon ein generelles Umdenken in der Asyl – und Migrationspolitik Europas erhoffte, wurde enttäuscht. Die Vorschläge gleichen einer zunehmenden Verschärfung der Strategien, die schon in den letzten Jahren diskutiert und teilweise praktiziert wurden: Kampf gegen Schlepper (auch mit militärischen Mitteln), Vereinheitlichung des Asylsystems, Verstärkung des Grenzschutzes und der damit Verbundenen Überwachung (Stichwort Fingerabdrücke) und die Einrichtung von Auffanglagern in Afrika.

Der Vorschlag, Flüchtlinge nach einer Quote auf die EU-Länder aufzuteilen, die sich nach Einwohnerzahl, BIP, Arbeitslosenrate und der durchschnittlichen Zahl von Asylanträgen und freiwillig aufgenommenen Flüchtlingen zusammen setzt, ist umstritten. Generell müssen hierbei Großbritannien, Dänemark und Irland nicht mitmachen, da sie im Bereich Justiz und Sicherheit einer Ausnahmeregelung unterliegen. Andere Länder wie Ungarn, Tschechien, Slowakei, die Baltischen Staaten, Polen und Frankreich lehnen ein solches Konzept ab. Aber auch Länder wie Spanien und Portugal stehen einem solchen Vorschlag, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in den eigenen Ländern, sehr skeptisch gegenüber. Allein Deutschland, Österreich und Italien begrüßen eine solche Quotenregelung.

Der ultimative Kompromissvorschlag, der nun am Tisch liegt, ist, nur AylwerberInnen, die WIRKLICH Anspruch auf Asyl haben, also de-facto nur Kriegsflüchtlinge, auf die Länder aufzuteilen. Andere Asylsuchende sollten weiterhin das Asylverfahren im Erstaufnahmeland durchlaufen. Statt einer anständigen Reform, handelt es sich hierbei nur um den üblichen Zirkel an Vorschlag – Ablehnung – Kompromiss und „Verschlimmbesserungen“, der die EU seit Jahren charakterisiert.

„Grenzenloses Europa“

Der Versuch eine gemeinsame Europäische Asylpolitik zu etablieren, weist eine lange Vorgeschichte auf. Zwar werden in den Gründungsverträgen der europäischen Gemeinschaften Asylfragen nicht explizit erwähnt, jedoch beinhalten sie, neben der Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, den Verkehr der ArbeitnehmerInnen und bildet somit den Beginn einer Regelung für Arbeitsmigration.

In den 70ern zeichnete sich schon eine engere Zusammenarbeit in polizeilichen und Sicherheitsfragen ab, z.B. die sogenannte Trevi-Gruppe, die sich anfangs die Bekämpfung des Terrorismus auf die Fahne schreib, jedoch schnell auch für Migrationsfragen eingesetzt wurde. Hier zeichnet sich schon die folgenschwere Verbindung zwischen Kriminalität, Sicherheit und Asylfragen ab, die in den westlichen Staaten in den letzten Jahren zunehmend an Relevanz gewann.

Auch gilt diese Gruppe als Vordenkerin des Schengenabkommens, ohne dem ein gemeinsamer europäischer Raum unter kapitalistischen Bedingungen nicht als möglich erachtet werden konnte. Ziel dieses Vertrages war der Abbau von Binnengrenzen um somit die materiellen, rechtlichen und steuerlichen Hindernisse zu beseitigen.

1990 kam es zu einem weiteren Abkommen, dem sogenannten Schengenerdurchführungsabkommen, das sich zum Ziel setze den Grenzschutz operativ sowie personell zu vereinheitlichen und in Asyl- wie Polizei- und Justizfragen zusammenzuarbeiten. Das Schengenersystem schuf die Voraussetzungen für die Öffnung der Binnengrenzen.

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Ebenfalls 1990 wurde das Dubliner Abkommen abgeschlossen, das (abgesehen von Dänemark) alle damaligen EG-Staaten unterzeichneten. Das Dublin Abkommen ist kein Verteilungsmechanismus sondern regelt nur die Zuständigkeit. Das Land in dessen Gebiet einE AsylsuchendeR als erstes einen Fuß setzt (one State only-Prinzip) , ist für dessen Verfahren zuständig. Das hat zur Folge, dass Länder an der EU Außengrenze permanent überlastet sind, und ihre – meist schlecht ausgebauten – Asylsysteme versagen. So kam es in den äußeren Mitgliedstaaten der EU zu einem sogenannten Asylfrust, der sich negativ auf die Anerkennungszahlen und Verfahrensqualität auswirkte und eine vehemente Abschottung der Grenzen zur Folge hatte. Teilweise musste von Abschiebungen in EU-Länder wie Griechenland, Ungarn oder Italien schon Abstand genommen werden, weil sich die Situation dort prekär und menschenrechtswidrig darstellt.

Fast gleichzeitig folgte Anfang der Neunziger das Konzept der sicheren Drittstaaten und eine Reihe von Rückübernahmeabkommen. Letztes bedeutet dass in Länder wie beispielsweise die Türkei, Menschen die aus diesem Land geflüchtet sind, wieder dorthin zurückgeschickt werden.

Die Drittstaatenregelung erlaubt die Rückführung von Flüchtlingen in sogenannte sichere Drittstaaten wo ihr Leben nicht unmittelbar bedroht ist. All diese Regelungen wurden mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam in die EU Verträge übernommen.

Auch dem Libyschen Diktator Gadafi wurde mit einem „Freunschaftsvertag“ mit Italien der mit einigen Millionen Euro versüßte Auftrag erteilt, Flüchtlinge schon im eigenen Land abzufangen, bevor sie sich auf den Weg nach Europa machen. Ähnliche Abkommen gab es auch mit anderen Nordafrikanischen Diktatoren, die neben der Flüchtlingsproblematik auch wirtschaftliche Interessen sichern sollten.

Festung Europa

Ein Ergebnis dieser zunehmenden Koordination war Frontex, die europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der europäischen Union. Hautaufgabe von Frontex ist die verstärkte Zusammenarbeit beim Grenzschutz. Dieses Ziel verfolgt die Agentur mit verschiedenen Methoden.

Eine Methode ist die Verbreiterung der Grenze. Was früher ein Grenzbalken mit dazugehörigem mies gelaunten Zöllner war, ist heute eine kompliziertes Netzwerk aus Kooperationen, Überwachung, Analysen und Maßnahmen. Zwar gibt es noch den klassischen Grenzschutz, jedoch wurde dieser zunehmend in Dritt- oder Anrainerstaaten ausgelagert, während es gleichzeitig zu einer Ausweitung des Grenzregimes nach Innen kam. Das Märchen vom „grenzenlosen Europa“ wird somit ad absurdum geführt. Ziel ist eine zunehmend perfektionierte Überwachung des gesamten EU-Gebietes und darüber hinaus, um die Flüchtlingsströme zu kontrollieren, zu regulieren und unerwünschte Flüchtlinge „rückzuführen“.

Bekannt ist Frontex vor allem für seine jont-operations, die von Mitgliedstaaten angefordert werden müssen und für die meist Personal und Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden muss.

Im Rahmen dieser Einsätze kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverstößen wie Rückführung ohne Möglichkeit der Stellung eines Asylantrages, oder das Verschwinden von Flüchtlingen in Nordafrikanischen Gefängnissen und Lagern. Vor der Spanischen Küste wurden Flüchtlingsbooten Triebstoff und Proviant abgenommen. Auch von illegale Pushbacks, bei denen Flüchtlinge die schon europäischen Boden betreten hatten wieder zurück verfrachtet wurden, oder in Seenot geratene Flüchtlingsboote nicht gerettet wurden, wird häufig berichtet. Der Grenzübertritt wird oft mit Gewalt verhindert, Menschen durch Schüsse zurückgedrängt oder in den Minenfeldern an der Türkisch-Griechischen Grenze zerfetzt.

Gleichzeitig kommt es an Landgrenzen zur vehementen Abschottung mittels meterhohen Zäunen aus Stacheldraht, wie in Bulgarien und Griechenland. Wenn heute beklagt wird, dass Flüchtlinge in winzigen, seeuntauglichen Booten über gefährliche Routen versuchen nach Europa zu kommen und somit ihr Leben riskieren, darf nicht vergessen werden, dass ein wesentlicher Grund dafür die zunehmend restriktive Handhabung des Asylgesetzes und die immer effizientere Überwachung der Land- und Seegrenzen ist. Verantwortlich dafür – für tausende Tote an Europas Grenzen – sind die Institutionen der Europäischen Union und die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die die Büchse der Pandora, die sie selbst mit ihrer Politik der Ausbeutung und imperialistischen Abenteurer geöffnet haben, nun nicht mehr schließen können und dies verzweifelt mit Zwang versuchen.

Die Lüge von der Flüchtlingsflut

In Europa und vor allem in Österreich ist es beinahe schon Mode geworden von den Medien und Rechtspopulistischen Politikern in einem hysterischen Tonfall vor der „großen unbewältigbaren Flüchtlingsüberschwemmung“, die Europa gerade heimsuche, gewarnt zu werden. Doch wischt man diese Panikmache die einem tagtäglich vorgelabert wird mal vom Tisch, und betrachtet die tatsächlichen Ausmaße der weltweiten Flüchtlingsströme, stellt man fest, dass nur ein Bruchteil der Flüchtlinge Europa als Zeil hat. Die meisten Flüchtlingsströme, nämlich 86%, verbleiben in der sogenannten Dritten Welt oder sind Binnenflüchtlinge. Die größten Aufnahmeländer weltweit sind momentan Pakistan, Iran, Libanon, Jordanien und die Türkei.

Front – Ex?

Frontex wird immer wieder als Buhmann der Europäischen Grenzpolitik herangezogen. Der ewige Kreis an Vorwürfen, von Frontex als Koordinator, hin zu den beteiligten Mitgliedstaaten und wieder zurück zu Frontex ist eine Beschäftigungstherapie gut gemeinter aber fehlgeleiteter Philanthropie.

Sowohl das Vorgehen von Forntex, als auch das der beteiligten Mitgliedstaaten ist nur die Konsequenz einer EU Politik, die die Asylfrage einzig und allein als innen- bzw. außenpolitische Frage begreift. Der Zeitpunkt zu dem diese politische Ausrichtung besiegelt wurde reicht noch vor die EU Gründung zurück. In den 80ern wurden z.B. in Österreich Asyl- und Migrationsfragen vom Sozialministerium ins Innenministerium verschoben. Österreich hat seither jede Verschärfung des Asylrechts mitgetragen oder ist sogar mit „gutem“ Beispiel vorangegangen.

Nur die Forderung aufzustellen Frontex aufzulösen ist völlig unproportional zur Dimension des Problems. Vielmehr bracht es eine komplette Umwälzung des paneuropäischen Projektes. Die Bewegungsfeinheit von Menschen sollte prioritär auf jeden Fall vor dem freien Kapitalverkehr stehen. Ein Europa in dem Menschenleben mehr zählen als imperialistische und Kapitalinteressen ist auf kapitalistischer Grundlage nicht möglich. JederR der/die sehen kann, sieht, dass der Mythos vom grenzenlosen demokratischen Europa eine Illusion bleiben wird, solang er auf der Basis dieser Wirtschaftsunion begründet bleibt.


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