Großbritannien. Die Wahl von Jeremy Corbyn zum neuen Vorsitzenden der Labour Party ist Ausdruck der wütenden Massen gegen Austerität und das Establishment. Wie der Kampf bisher verlief, und wie er weitergehen muss berichtet Willy Hämmerle. 

Die Wahl von Corbyn stellt die gesamte politische Landschaft Großbritanniens auf den Kopf. Ursprünglich war gedacht, dass sich drei BlairistInnen den Labourvorsitz gemütlich ausschnapsen werden. Doch Jeremy Corbyns Spontankandidatur, die nur durch die Pfuscherei der rechten Bürokratie (vgl. Funke Nr. 136) möglich war, veränderte die gesamte politische Landschaft Britanniens. Der Parteiapparat hatte sich komplett verkalkuliert. Anstatt die Linke in Labour für eine weitere Periode zu schwächen, ist das genaue Gegenteil passiert: Jeremy Corbyn ist ein Schlag ins Gesicht für New Labour. Das von Tony Blair initiierte Projekt ist mit dem Irakkrieg, Studiengebühren, Antigewerkschaftspolitik und weitreichenden Privatisierungen assoziiert. Damit machte sich die Labour Party fast ununterscheidbar von den Konservativen. Labour wurde Tory-Light und bereitete dabei den Boden für einen radikalen Umschlag ins Gegenteil.

ABC – Anyone but Corbyn

Das Kapital und seine AgentInnen innerhalb und außerhalb der Arbeiterbewegung reagierten prompt mit einer mustergültigen Hetzkampagne. So viel Narrenfreiheit gegen einen Politiker gab es seit Hugo Chávez nicht mehr. Die VertreterInnen des Bürgertums demonstrieren uns wieder einmal aufs Neue was sie vom demokratischen Prozess halten, der zu ihrem Ungunsten entscheidet: Nichts.
Bereits wenige Stunden nach der Verkündung des Wahlergebnisses schreibt Premierminister David Cameron, dass „die Labour Party jetzt eine Gefahr für die nationale, ökonomische und familiäre Sicherheit“ sei. In der Hochburg des rechten Flügels innerhalb der Labour Party, der Parlamentsfraktion, sammelten sich diverse „Widerständler“, und sprachen offen von der Absetzung Corbyns, bevor er überhaupt gewählt war. Mandelson schreibt, die Wahl von Corbyn sei „ein Mittelfinger an die Bevölkerung“, Tom Harris betont die Notwendigkeit eines (politischen) „Attentäters“ und Chuka Umunna gründete mit Tristram Hunt eine parlamentarische Widerstandsgruppe („Labour für das gemeinsame Wohl“). Blair riet denen, deren „Herz für Corbyn schlägt“, zu einer Herztransplantation. Sein Vorgänger Kinnock schob die Schuld auf „bösartige TrotzkistInnen“.

Fast die gesamte britische Medienlandschaft hetzt auch nach Corbyns Erdrutschsieg weiter. Fast täglich wurde eine neue denunziationswürdige Facette an Corbyn entdeckt: Erst singt er die Nationalhymne nicht, dann ist er ein Sexist und Antisemit, zuletzt wagt er es für die Republik und gegen das Königshaus zu sein. Ein General kündigte an, dass es im Falle eines Siegs von Labour bei den Parlamentswahlen unter Corbyn „sehr reale Aussicht auf eine Meuterei der Armee“ gebe und, dass jeglicher Versuch aus der NATO auszutreten, Trident (das britische Nuklearwaffenprogramm) auszusetzen, oder die Größe der Streitkräfte zu verringern mit „sauberen oder schmutzigen“ Mitteln bekämpft würde. „Die Generalität würde es nie erlauben die Sicherheit des Landes zu gefährden. Man kann diese Verantwortung keinem Verrückten übergeben.“

Kurzum das politische Establishment und der Staatsapparat machten klar, dass sie sich nur solange ihre Klasseninteressen gewahrt sind an die Demokratie gebunden fühlen. Ihr gemeinsamer Versuch Jeremy Corbyn mit Dreck zu bewerfen macht diesen jedoch nur noch populärer. Ihr Projekt, die Linke zu schwächen, kehrte sich vollends in ihr Gegenteil. Nur innerhalb einer Woche nach dem Sieg von Corbyn traten über 60.000 Menschen in die Partei ein.

Eine neue politische Massenbewegung

Die Basis steht damit im krassen Widerspruch zum Labourapparat. Die Wahl Corbyns ist nur ein Schritt der Rückeroberung der Partei. Der nächste Tagesordnungspunkt muss es sein, den organisierten Kampf gegen den rechten Flügel aufzunehmen. Er selbst hält sich in dieser Hinsicht zurück und wiederholt die alten Slogans von „Einheit“ und der „großen Kirche“, in der jeder einen Platz habe. An einer kompletten Erneuerung des Parteiapparates und der MPs führt jedoch kein Weg vorbei. Jeremy Corbyn hat heute im Parlament nicht einmal genug Verbündete um sein Schattenkabinett zu füllen. Der Ruf nach Einheit darf nicht die Einheit der Bürokratie mit dem Kapital sein, sondern die Einheit der Partei mit der ArbeiterInnenklasse!

Die Initiierung der „Momentum“-Kampagne ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn Corbyn muss seine eigene politische Basis organisieren. Die beste Waffe gegen den rechtsdominierten Apparat ist die Basis, die Massen an enthusiastischen ArbeiterInnen und Jugendlichen, die in die Partei geströmt sind. Die Ziele von „Momentum“ sind:

  • die Errichtung von lebendigen Strukturen bis in jeden Winkel des Landes, um eine Massenbewegung für eine progressive Veränderung zu schaffen
  • Redemokratisierung der Partei
  • Kampagnen an Arbeitsplätzen organisieren

„Momentum“ bietet die Voraussetzungen um Labour wieder zu einem Instrument des Proletariats zu schmieden: Eine kämpfende Massenorganisation, die in der Lage ist gegen die Rechten innerhalb und außerhalb der Partei aufzutreten. Doch dazu ist es notwendig ein klares, sozialistisches Programm zu formulieren. Nur ein solches kann erfolgreich sein! Das Programm von Corbyn kann nur umgesetzt werden, wenn die Eckpfeiler der Produktion und des Bankenwesens verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle der Arbeiterschaft gestellt werden.


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