Seit beinahe drei Monaten ist das Land ohne Regierung. Das „1978er Regime“ steckt in einer massiven Krise. Dabei erwartet man sich in Brüssel die Umsetzung eines neuen Sparprogrammes. Von Ariane Vázquez und Martin Gutlederer.

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PSOE) und die konservative Volkspartei (PP) dominierten das massiv mehrheitsfördernde politische System Spaniens. Durch das starke Abschneiden der linken Podemos und der rechts-liberalen Ciudadanos, beides neue Parteien, die Ausdruck der Unzufriedenheit in allen politischen Lagern und Klassen der Gesellschaft sind, ist diese Machtbalance nun Geschichte. Das Problem der Bürgerlichen ist, dass es keine rechte Mehrheit im Parlament gibt und sich die nationalistischen Parteien Galiziens, des Baskenlandes und Kataloniens weigern, eine rechte Regierung zu unterstützen. Die PSOE verweigerte sich dem Angebot, gemeinsam mit Podemos eine Links-Regierung zu bilden und versuchte es mit Ciudadanos. Doch auch dieser Formation verweigerten die nationalistischen Parteien, die auf stärkere autonome Rechte und im Fall von Katalonien auf das Recht auf Loslösung von Spanien bestehen, ihre parlamentarische Duldung. Nunmehr herrscht großer Druck auf die PSOE, eine konservative Regierung zu unterstützen. Ein großer Teil des Parteiapparates scheint, dem europäischen Trend folgend, willig zu sein den Weg in den eigenen Untergang zu beschreiten. Ihr ultimatives Ziel und Zweck ist die Aufrechterhaltung der herrschenden bürgerlichen Ordnung.

Die Verkommenheit des Regimes

offenbart sich in der ausufernden Korruption. Schmiergeldkassen für öffentliche Vergaben sind eher die Regel als die Ausnahme und Blanko-Kreditkarten der mittlerweile verstaatlichten Pleitebank Caja Madrid für die politische Elite (inklusive die Vorsitzenden der Gewerkschaften UGT und CC.OO) erzürnen die von der Krise geplagten SpanierInnen. Es ist mittlerweile klar, dass die Korruptionsfälle keine individuellen Fehlleistungen sind, sondern integraler Bestandteil der Funktionsweisen der wirtschaftlichen Eliten und ihrer Parteien. Das bürgerliche Regime des spanischen Staates ist vollkommen degeneriert.

Erst vor kurzem wurden Whatsapp-Nachrichten zwischen Königin Letizia und Javier López Madrid, einer zentralen Figur in diversen Korruptionsskandalen, an die Öffentlichkeit gespült. Die Königin sprach darin dem „Geschäftsmann“ ihren absoluten Beistand aus.

Alle großen spanischen Zeitungen und Fernsehsender weigern sich über diese Zusammenarbeit von Monarchie und Mafia zu berichten, um so die Reputation der spanischen Monarchie zu schützen. Über Social Media weiß jedoch ganz Spanien um diese freundschaftliche Beziehung. Schlimmer noch hat der spanische Justizminister verkündet, er würde die Veröffentlichung dieser Whatsapp-Nachrichten juristisch verfolgen lassen, da es sich dabei unter Umständen um eine Verletzung der behördlichen Geheimhaltungspflicht handeln könnte. Anstatt die Verbindungen zwischen der königlichen Familie und  der organisierten Kriminalität offen zu legen, verfolgen sie jene Beamten, die diese skandalösen Verbindungen aufdecken.

PolitikerInnen, führende KapitalistInnen, Medien und die spanische Monarchie sind in einem engen Netzwerk verwoben. Der Vorsitzende der Volkspartei Rajoy hält dieses politisch reaktionäre und mit dem Franco-Faschismus verwobene Elite-Korruptionsnetzwerk zusammen. Sein Rücktritt wäre eine Voraussetzung dafür, dass die Volkspartei doch noch eine Koalitionsmehrheit mit Ciudadanos und/oder der PSOE zusammenzimmern könnte. Rajoy ist aber der „Pate“ der ehrenwerten konservativen Volkspartei, ohne den die Existenz der von Korruption zerfressenen Partei an sich gefährdet sein könnte.

Fallstrick Nationale Frage

Die „progressive Regierung“, der Versuch des PSOE-Vorsitzenden Sànchez mit Ciudadanos eine Regierung zu bilden war ein kurzlebiges Manöver. Als offensichtlich wurde, dass das gesamte demokratiepolitisch und sozial reaktionäre Gesetzeswerk der Regierung Rajoy von der „progressiven Regierung“ aufrecht erhalten werden würde, verweigerten sich Podemos und die nationalistischen Parteien jeglicher auch nur passiven parlamentarischen Unterstützung. Sánchez greift deshalb Podemos und deren Vorsitzenden Pablo Iglesias aggressiv an und wirft ihnen demagogisch vor, sie seien dafür verantwortlich, dass Rajoy weiterhin an der Macht sei, wobei umgekehrt die Sozialdemokratie an der Regierung die repressive Gesetzgebung der Konservativen verewigen wollte.

Podemos hat richtig gehandelt, sich diesem offenen Betrug entgegenzustellen. Die katalanischen, galizischen und baskischen Kleinparteien drängen immer mehr Richtung nationaler Selbstbestimmung und konnten so nur gegen eine Regierung unter Beteiligung der zentralistisch-spanischen Partei Ciudadanos stimmen. Die nationale Frage, die in Spanien längst begraben schien, dringt angesichts der Krise des Kapitalismus und des bürgerlichen Regimes wieder an die Oberfläche und verschärft die politischen Widersprüche.

Ausweg: Linke Regierung

Das spanische Kapital (die IBEX-35-Konzerne) und seine gleichgeschalteten Medienkonzerne machen massiv Druck, dass doch eine Form der Zusammenarbeit von PP-Ciudadanos-PSOE zustande kommt. Gelingt dies nicht, wird es im Juni Neuwahlen geben. Diese Situation wird von den Bürgerlichen gefürchtet, da es bei Neuwahlen aller Wahrscheinlichkeit nach es zu einer weiteren Stärkung von Podemos, die als einzige Großpartei für einen klaren Bruch mit Rajoy und seiner Politik steht, kommen wird.

Podemos legte ein Angebot eine linke Regierung, basierend auf der Rücknahme der Rajoy-Gesetzgebung unter Einschluss der Sozialdemokratie und der reform-kommunistischen Izquierda Unida zu bilden. Eine solche Regierung könnte mit der Unterstützung der nationalistischen Parteien rechnen, und hätte bereits eine parlamentarische Mehrheit. Führung und Apparat der Sozialdemokratie schlugen dieses von Podemos-Vorsitzenden Pablo Iglesias offensiv vorgetragene Angebot aus. Man rechnet damit, dass Neuwahlen bedeuten würden, dass eine von Podemos geführte linke Wahlkoalition die Sozialdemokratie deutlich überholen würde. Die Bourgoisie befürchtet dadurch eine weitere Chaotisierung der Politik, die die geforderten neuen sozialen Angriffe unter Beibehaltung demokratischer Verhältnisse unmöglich macht.

Die MarxistInnen von „Lucha de Clases“ unterstützen die von Pablo Iglesias vorgetragene Perspektive der Linksregierung vorbehaltlos. Was unsere GenossInnen argumentieren, ist, dass eine solche Orientierung nicht nur durch parlamentarische Taktik herbeiverhandelt werden soll. Wir argumentieren in Podemos und der Arbeiterbewegung Spaniens, dass es den Gegendruck der Massen auf der Straße braucht, um eine Regierung der Linken gegen den Willen der Bourgeoisie und des Parteiapparates der Sozialdemokratie durchzusetzen.

Wir argumentieren, dass die Podemos-Führung die Autorität hätte, bereits jetzt eine Kampagne gegen Austerität und das korrupte Regime zu lancieren. Eine solche Kampagne kann sich unmittlelbar auf zahlreiche soziale Bewegungen, die in den letzten Jahre Millionen von Menschen auf die Straße gebracht haben, stützen. Selbst die Gewerkschaften würden trotz ihrer bürokratischen Führungen, die sich mehrmals offensiv gegen die Massenbewegung stellten, in einer solchen Bewegung mitgerissen werden. Die durch eine solche Kampagne ausgelöste Stimmung würde auch die PSOE erfassen und entweder in eine solche linke Regierung zwingen oder aber die Partei entlang der sozialen Frage spalten, sollte sich die PSOE-Führung dafür entscheiden, sich gegen den Druck der Massen zu stellen. Dies würde wiederum zu einer massiven Stärkung von Podemos und IU bei den Neuwahlen führen. Das Scheitern von Sánchez ist der perfekte Anlass für eine solche Kampagne und kann Millionen von Jugendlichen, ArbeiterInnen und auch der Mittelklasse in ihrem Kampf gegen Austerität und Unterdrückung in Spanien, aber auch Europa mitreißen. Denn „Podemos con el Socialismo“: Mit dem Sozialismus können wir Austerität, politische und nationale Unterdrückung und das Joch des Kapitalismus endgültig beenden. Die Entwicklungen in Spanien tragen den Kern einer europäischen Revolution in sich.


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