Deutschland. Die vergangenen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben gezeigt, wie instabil das politische System in Deutschland geworden ist. Florian Keller analysiert die Situation.

Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren ein wichtiges Stimmungsbarometer für die seit 2013 herrschende Große Koalition aus SPD (Sozialdemokraten) und CDU/CSU (Konservative). Im Vorfeld wurden sie als ein Gradmesser für die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel bezeichnet.

Niederlage der großen Koalition

In allen drei Bundesländern musste die CDU zum Teil schmerzhafte Verluste hinnehmen, besonders in Baden-Württemberg. Das Bundesland war jahrzehntelang eine Hochburg der Partei, seit den frühen 50er Jahren stellte die Partei immer den Ministerpräsidenten. Nachdem sie diesen Posten bei den vorletzten Wahlen unter Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima das erste Mal an den Grünen Kretschmann abgeben mussten, stürzte die Partei jetzt noch einmal um über 10% auf den historischen Tiefstwert von 27% ab.

Auch die SPD fuhr insgesamt sehr schlechte Wahlergebnisse ein. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt halbierte sich ihr Stimmenanteil und sie hielt sich nur mit Müh und Not über 10%. Alleine in Rheinland-Pfalz konnte sie sich mit dem zweitschlechtesten Ergebnis seit den 50er Jahren auf niedrigem Niveau stabilisieren. Möglich war das auch nur mit einem scharfen Auftreten gegen Angela Merkel und auf Kosten der Grünen, die 2/3 ihrer Stimmen vor allem an die SPD verloren.

Die Partei „Die Linke“ konnte von alldem nicht profitieren, nachdem sie mit einer unentschlossenen und sanft reformistischen Rhetorik und Programmatik keine klare Alternative präsentierte, sondern im Gegenteil immer mehr auf eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der SPD in der Zukunft schielte.

Gewinner der Wahl war stattdessen die rechte AfD, die auf einer Welle der Hetze gegen Flüchtlinge und Terrorpanik sowie einer generellen Unzufriedenheit in allen drei Bundesländern viele Stimmen gewinnen konnte – obwohl sie programmatisch voll auf Linie des Kapitals ist und etwa (tief versteckt im Parteiprogramm) gegen den Mindestlohn ist. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde sie zur drittstärksten Kraft, in Sachsen-Anhalt sogar zur zweitstärksten Partei. Doch wie konnte es so weit kommen?

Wachsender Unmut

Vor allem die Wahlniederlagen der beiden Großparteien zeigen, dass die Propaganda vom „Krisengewinner Deutschland“ für breite Schichten der Bevölkerung immer weniger Anziehungskraft hat. Zwar stimmt es: Die deutsche Wirtschaft konnte sich tatsächlich, vor allem gestützt auf den Export, nach einem scharfen Einbruch 2009 relativ schnell wieder erholen und wächst seitdem, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Deutschland konnte als eines der wenigen Länder seine Staatsschulden in den letzten Jahren reduzieren. Doch die ArbeiterInnen profitierten davon kaum bis gar nicht. Im Gegenteil, die Erholung war nur auf Basis einer immer schärferen Ausbeutung möglich. Mittlerweile sind im Niedriglohnsektor in Deutschland 7,8 Mio. Menschen beschäftigt – ein Rekordwert in der EU. Werkverträge, Leiharbeit und eine „hire and fire“- Politik ziehen sich wie ein roter Faden durch die ganze Wirtschaft – bis hinein in die größten Industriebetriebe. Wie überall heißt es für die ArbeiterInnen, den Gürtel enger zu schnallen, um damit die Profite des Kapitals zu sichern.

Der wachsende Unmut darüber drückte sich 2015 in der größten Streikwelle seit über 20 Jahren aus. Von den Kindergärten über die Post bis hin zur Bahn brachen Arbeitskämpfe in den verschiedensten Branchen aus. Doch die Führung der Gewerkschaften war nicht gewillt, diese Kämpfe bis zum Ende durchzufechten und auf andere Branchen zu verallgemeinern. Wie in Österreich war ihnen der Erhalt der „Sozialpartnerschaft“ und der guten Beziehungen zur Regierung Merkel letztendlich wichtiger, schlechte Kompromisse waren das Ergebnis der meisten dieser Kämpfe.

Gleichzeitig kam das Flüchtlingsthema den Bürgerlichen in dieser Situation gerade recht, um den Blick vom Klassenkampf wegzulenken und die ArbeiterInnen und Jugendlichen zu spalten. Am klarsten war das bei Finanzminister Wolfgang Schäuble, zu sehen, der trotz eines Budgetüberschusses verkündete, für jeden für Flüchtlinge ausgegebenen Cent Einsparungen in anderen Bereichen durchzuführen.

Das Ziel der Spaltung anhand der Flüchtlingsfrage wurde erreicht, doch nur unter dem Preis der Destabilisierung der Regierung und des gesamten politischen Systems, bis hin zur regierenden CDU/CSU selbst. Während auf der einen Seite Angela Merkel die „Willkommenskultur“ verkörperte und damit den Wunsch eines wichtigen Teils des Kapitals, billige Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen, forderte und fordert der rechte Flügel rund um den bayerischen Minsterpräsident Seehofer ein „härteres Durchgreifen“. Die CDU/CSU fühlt mit der AfD Konkurrenz von rechts im Nacken, Panik macht sich deswegen unter diesen Verwaltern des Kapitals breit. Das erste Mal seit Jahren wird Merkel von Teilen der Partei offen in Frage gestellt. Das Abkommen der EU mit Erdogan zur Rücknahme von Flüchtlingen ist ein direktes Ergebnis nicht zuletzt dieses politischen Drucks. Doch zeigen die Vorgänge rund um Jan Böhmermann und die scharfe Kritik an dem Verhalten Angela Merkels, dass dieses Abkommen kein Garant für die Stabilisierung der Regierung ist.

Gerade der Aufstieg der AfD sorgt bei vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen für Angst vor einem Rechtsruck in der Gesellschaft und einem neuen Faschismus. Tatsächlich ist die AfD bei ihrem letzten Parteitag deutlich nach rechts gerückt, stützt sich punktuell auf eine Basis von Neonazis und Pegida-Anhängern und ist ähnlich wie die FPÖ in Österreich oder die Front National in Frankreich auch ein Deckmantel für faschistische Netzwerke, die sich so ungestört organisieren wollen.

Widerstand gegen sie zu organisieren, ist deswegen eine zentrale Aufgabe. Doch wie FPÖ und FN ist die AfD insgesamt keine faschistische, sondern eine ultra-reaktionäre parlamentarische Partei. Und gerade das Beispiel Frankreich zeigt, wie so eine Formation am besten bekämpft werden kann: Nachdem die FN nach den Anschlägen von Paris auf ein Allzeithoch geklettert war, hat ihr die jetzige Bewegung gegen die Reform der Arbeitsgesetzgebung das Wasser abgegraben und das Pendel in der Gesellschaft weit nach links gedrückt. Das ist auch Teil der Antwort in Deutschland: Um die AfD und den Verfall des Lebensstandards aufzuhalten, müssen Millionen Jugendliche und ArbeiterInnen für ihre sozialen Rechte und gegen das kapitalistische System über alle nationalen Grenzen hinweg in einer starken Bewegung mobilisiert werden. Dafür kämpfen die GenossInnen unserer Schwesterströmung „der Funke“ in der „Linken“, den Gewerkschaften und der gesamten Gesellschaft.


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