Einsparungen stehen im Land ebenenso auf der Tagesordnung wie der Zorn gegen die Regierung. Dies resultiert nicht nur im EU-weit grössten Konsum von Antidepressiva, sondern befördert auch den Klassenkampf, zeigt Martin Halder.
Meit Ende 2014 gibt es zum ersten Mal seit 27 Jahren eine rechte Bürgerblock-Regierung in Belgien, welche sich schnell durch Kürzungen und Konterreformen bei breiten Teilen diskreditierte. Der aktive Widerstand der ArbeiterInnen und der Jugend lies nicht lange auf sich warten. In den mehr als 1 ½ Jahren dieser Regierung wurden mehr als 20 landesweite Aktionen gewerkschaftlich organisiert, darunter den größten eintägigen Generalstreik seit dem zweiten Weltkrieg und zwei nationale Grossdemonstrationen mit 120.000 und 100.000 ArbeiterInnen.
Im November letzten Jahres (2015) verstummte die Bewegung etwas, da die terroristischen Angriffe des IS in Paris von vielen GewerkschaftsführerInnen als Argument hergenommen wurden, um Proteste zu unterbrechen. Ähnlich wie in Frankreich nutzte die belgische Regierung diese Gelegenheit, um die Rechte und Präsenz der Staatsmacht auszuweiten. Doch diese scheinbare Konfliktruhe hielt nicht lange, schon im Januar dieses Jahres streikten die EinsenbahnarbeiterInnen wieder an zwei Tagen.
Nach dem Terroranschlag in Brüssel vom 22. März versuchten die Herrschenden die aufbrechenden Konfliktlinien im Namen der nationalen Einheit zu überdecken, um erneut für Ruhe sorgen zu können. Eine Demonstration gegen Gewalt und Terror wurde unter dem Druck des Innenministeriums abgesagt, auf der anderen Seite gab die Polizei rechtsextremen Holligans die Erlaubnis zu marschieren. Es kam zur Störung einer Gedenkveranstaltung und zu Ausschreitungen gegenüber MigrantInnen.
In dieser angespannten Lage, durchzogen von Terror, Stärkung des Sicherheitsapparats und verstärktem Auftreten der Rechten verkündete die Regierung ihre neusten Einsparungspläne. Zu den Einsparungen zählen die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Elektrizität, die Steigerung des Pensionsantrittsalters auf 67, sowie die „Reform“ des Arbeitsrechts „Wet Peeters“, welches eine Erhöhung der maximalen Arbeitszeit von 38 auf 45 Wochenstunden bedeutet.
Darauf reagierten die Gewerkschaften mit einem neuen Aktionsplan. Es folgte am 24.05 eine Demonstration mit 80.000 ArbeiterInnen und am 31.05 mehrere Streiks der öffentlich Bediensteten. Darauf folgend wurde am 24.06 von der sozialistischen in Unterstützung von christlichen Gewerkschaften ein Generalstreik ausgerufen.
Die nächsten großen Mobilisierungen finden in der Zeit statt, in der die Konterreform des Arbeitsrechts im Parlament abgestimmt wird. Für den 24. September ist eine Grossdemonstration geplant und für den 7. Oktober rufen alle Gewerkschaften zum Generalstreik auf.
Zweifelsohne hatte das Erstarken der Bewegung in Frankreich, wo die Arbeiterklasse gerade gegen ähnliche Verschlechterungen kämpft, einen motivierenden Effekt auf die belgischen ArbeiterInnen. Die sich zuspitzende Lage und sich verschärfende Austeritätspolitik führen dazu, dass gewisse Schichten eigene Schlüsse ziehen und sich radikalisieren. Dies sieht man vor allem im unterfinanzierten Gefängnisbereich Belgiens sehr gut. Ende April streikten die Gefängniswärter gegen Einsparungspläne, welche vorsehen, dass 10 % der Belegschaft entlassen werden und die Verbleibenden für elf statt zwölf Monatgehälter weiterarbeiten. Nach einem eintägigen Streik beschlossen die unterfinanziertesten Gefängnisse in einen unbefristeten Streik zu treten, der in manchen Gegenden bis heute, also inzwischen länger als zwei Monate, anhält.
Dies zeigt, dass die ArbeiterInnen im Kampf um ihre nackte Existenz gewillt sind, bis zum Schluss zu kämpfen. Die Massen benötigt jedoch eine breitere Perspektive, als Aktionstag für Aktionstag, wie es das Mantra der jetzigen Gewerkschaftsführung ist. Um den Kampf gegen derartige Verschlechterungen wirklich gewinnen zu können, muss das Kapital offensiv herausgefordert werden. Dies verlangt die Forderung nach einem unbefristeten Generalstreik, sowie eine Palette an Kampfformen, die von Betriebsbesetzungen bis zur ArbeiterInnenkontrolle reichen. Eine derartige Methodik hätte in der aktuellen Situation eine Bewegung zu folge, welche den Rahmen des Kapitalismus sprengt. Gerade weil die im kapitalistischen Staatsapparat verankerte Gewerkschaftsführung daran kein Interesse hat, können sie nur eine Aktion nach der anderen anbieten, ohne den Klassenkampf zuzuspitzen. Die Aufgaben von MarxistInnen ist es nicht beim Minimalprogramm und dessen Kampfmöglichkeiten stehen zu bleiben, sondern aufzuzeigen, dass es eine revolutionäre Bewegung braucht, die mit dem Kapitalismus bricht.