Jeremy Corbyn wurde mit dem 24. September zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres zum Labour-Vorsitzenden gewählt. Doch der Kampf für eine wirkliche Alternative hat damit erst begonnen. Yola Kipcak berichtet.

Das Ergebnis der Vorsitzendenwahl der britischen Labour Party (LP) bewies, dass der von den Medien, der konservativen Partei (Tories) und dem rechten Flügel in der LP (nach dem ehemaligen Premierminister Tony Blair als „Blairites“ bezeichnet) als „unwählbar” diffamierte Jeremy Corbyn nicht nur ein zweites Mal gewinnen, sondern sein Ergebnis von 59% bei der letzten Wahl im September 2015 auf 61,8% verbessern konnte. Dies zeigt, dass die Unzufriedenheit und die Polarisierung in der britischen Gesellschaft danach drängen, sich eine linke Alternative zu schaffen. Der höfliche und eher ruhige 67-jährige parlamentarische Hinterbänkler Jeremy Corbyn hat in seiner langen politischen Karriere immer konsequent seine Ansichten vertreten und wurde durch eine Reihe von Zufällen zu jenem Kandidaten, der diese Notwendigkeit ausdrückt. Zu Recht wird sein erneuter Sieg von seinen AnhängerInnen als Erfolg gefeiert. Denn er fand unter widrigsten Umständen statt: Seit einem Jahr führen sämtliche Medien eine regelrechte Hetzkampagne gegen ihn durch. Der rechte Flügel innerhalb der LP, vor allem rund um den LP-Parlamentsklub (PLP), versuchte mit allen Mitteln, ihn loszuwerden. Bei einem bereits monatelang geplanten Putschversuch, der mit einem Massenrücktritt aus dem Schattenkabinett im Parlament im Sommer begann, stimmte der Parlamentsklub anschließend zu 80% für ein Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden. Als Corbyn sich mit Verweis auf seine Mehrheit in der Basis weigerte zurückzutreten, stellte er sich schlussendlich Neuwahlen.

Seit Corbyn den Vorsitz innehat, hat sich die Partei mit 640.000 Mitgliedern fast verdreifacht. Doch nur 285.176 wählten schließlich. Die große Mehrheit davon wurde nicht etwa durch Desinteresse, sondern durch systematische Säuberungskampagnen des rechten Parteiapparats gegen die Parteilinke davon abgehalten. Einerseits wurde allen, die nach Dezember 2015 beitraten (offensichtlich unter Eindruck des neuen linken Kurses), das Wahlrecht aberkannt. Gleichzeitig fand eine breite Ausschluss- und Suspendierungsskampagne statt. Mitglieder wurde aufgrund einzelner Posts auf Facebook und Twitter angeklagt, Mitglied einer „Partei innerhalb der Partei” zu sein. Davon betroffen waren GenossInnen der IMT, aber auch Corbyn-UnterstützerInnen, die vielleicht vor mehreren Jahren einmal einen Beitrag der Grünen in den sozialen Medien geteilt hatten oder die Mitglieder des rechten Flügels „Blairites“ genannt hatten. Andererseits wurden die Kosten für sogenannte „registrierte Unterstützer”, an der Wahl teilzunehmen, von 3 auf 25 Pfund angehoben. Trotz dieser regelrechten Hexenjagd gewann Corbyn die Mehrheit in allen drei Kategorien: den Mitgliedern (59%), den registrierten UnterstützerInnen (70%) und den affiliierten Gewerkschaften (60%). Man kann nur ahnen, wie groß sein Vorsprung sonst gewesen wäre.
Der rechte Flügel wirft den Corbyn-AnhängerInnen rund um die Gruppe „Momentum” vor, trotzkistisch unterwandert zu sein und eine Partei innerhalb der Partei aufzubauen. Doch die Realität sieht genau umgekehrt aus: Die Rechten haben eine lange Geschichte der organisierten Opposition innerhalb der Partei. Der Kampf zwischen den linken und rechten Tendenzen um die Führung im Nationalen Exekutivkomitee (NEC), um inhaltliche Ausrichtungen und statutarische Regelungen („Dürfen Gewerkschaften wählen?” „Soll die Basis den Vorsitzenden wählen?”) war stets ein Kampf um die Kontrolle der Partei. Es ging immer letztendlich darum, ob die Partei als Systemerhalterin durch das Kapital instrumentalisiert wird oder die Arbeiterklasse mit ihr den Kampf um ein besseres Leben und damit gegen das System aufnehmen kann. Dabei war der rechte Flügel nachweislich heimlich und offiziell bestens vernetzt. In den 1950er und -60er Jahren vor allem von der CIA finanziert, übernahmen nach und nach britische KapitalistInnen die Rolle der GeldgeberInnen von Gruppen wie der „Manifesto Group” innerhalb der PLP, die 1974 spezifisch für den Kampf gegen die Linke in der Partei gegründet wurde, „Labour First”, Vorgänger der Blairites, gegründet 1988, oder „Labour Tomorrow”, 2016 ins Leben gerufen. Angesichts dieser traditionsreichen und ausgefeilten Taktik der Rechten steht Corbyns „Momentum” vergleichsweise nackt da – ohne (sozialistisches) Programm, demokratische Strukturen oder einen Plan dafür, wie es nach dem nun erreichten Sieg weitergehen soll.

Der Erfolg der Rechten in der LP hing immer von der Dynamik des Klassenkampfes in der Gesellschaft ab. So konnten die Blairites nach der Niederlage des großen Bergarbeiterstreiks und der gewaltigen Deindustrialisierung unter Thatcher sowie dem darauffolgenden Wirtschaftsaufschwung und dem Niedergang der revolutionären Linken rund um die Strömung „Militant” in den 1990er Jahren weiter gehen als je zuvor. Objektiv betrachtet ist dagegen heute die Zeit für eine starke Linke mehr als reif. Corbyn geht wie viele davon aus, dass es bereits 2017 Neuwahlen gibt. Die regierenden Tories sind vor allem anhand der Brexit-Frage tief gespalten. Corbyn will in den Wahlkampf mit einem linksreformerischen Programm und einer einigen Partei eintreten. In seiner Rede auf der jüngsten Parteikonferenz sagte Corbyn, er stehe für einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts” und „neue Formen des demokratischen, öffentlichen Eigentums”. Damit spielt er auf die „Clause IV” in den Parteistatuten an, in der sich die LP zur Verstaatlichung der Produktionsmittel und zum Sozialismus bekannte. Seit den 1960er Jahren hatten die Rechten versucht, sie abzuschaffen, und dieses Ziel 1995 unter Tony Blair erreicht. Corbyn trägt nun wieder offiziell die Debatte um Sozialismus in die Partei - auch wenn seine Wortwahl „Sozialismus des 21. Jahrhunderts” darauf schließen lässt, dass er in Anlehnung an Chavez und die venezolanische Revolution nur eine vage Vorstellung von Sozialismus hat. Sein Programm von Reformen, ohne den Kapitalismus anzugreifen, ist gerade unter den jetzigen Bedingungen der sich verschärfenden Krise utopisch. Doch allein die Mobilisierung dieser Hunderttausenden, die auf der Suche nach einer Alternative zum jetzigen System sind, ist ein gewaltiger Schritt vorwärts und bringt die Herrschenden zum Zittern.

Die KapitalistInnen mit all ihren Verbündeten in Politik, und Medien werden deshalb alles daran setzen, einen Labour-Sieg unter Corbyn zu verhindern. Ihre Lakaien innerhalb der Partei werden auch nicht davor zurückschrecken, die Partei zu spalten, wenn diese Gefahr größer werden würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Teile des rechten Flügels deswegen aus der Partei verabschieden. 1981 gründeten einige Rechte – unter ihnen Teile der schon erwähnten „Manifesto Group” – die Social Democratic Party. Obwohl die Rechtsabspaltung bald in der Bedeutungslosigkeit verschwand, verhinderte ihre Gründung unter wohlwollendem Applaus der Tories einen Wahlsieg der LP.

Die drängende Aufgabe besteht jetzt darin anzuerkennen, dass die Gräben in der Partei nicht überbrückbar sind. Der unmittelbare Kampf muss innerhalb der Partei mit aller Entschlossenheit geführt werden. So ist es etwa das demokratische Recht der lokalen LP-Gruppen, ihre ParlamentarierInnen neu zu bestimmen, wenn sie mit ihnen nicht mehr zufrieden sind – eine Forderung unserer Schwesterströmung „Socialist Appeal“, die an Beliebtheit gewinnt, jedoch von der Parteirechten (zu Recht) als Angriff auf ihre karrieristische Existenz betrachtet wird. Daher: Defend Corbyn! Fight for Socialism!


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