Überall in Europa finden große Umwälzungen in der politischen Landschaft statt. Alte sozialdemokratische Parteien werden vernichtet oder völlig auf den Kopf gestellt, neue linke Parteien entstehen und zerbrechen wieder. Wir wollen hier die Entwicklungen in der Linken in drei europäischen Ländern genauer betrachten, analysieren und kritisieren.
Umwälzungen
Spanien. Nach der Angelobung einer konservativen Minderheitsregierung spitzt sich die Krise der PSOE immer weiter zu. Gleichzeitig finden rund um PODEMOS Auseinandersetzungen um den richtigen Kurs statt. Arturo Rodríguez berichtet.
Fast ein Jahr lang war es in Spanien nicht möglich, eine Regierung zu bilden, da stabile Mehrheiten für eine der beiden traditionellen Großparteien (Partido Popular – PP und Partido Socialista Obrero Espanol – PSOE) auch nach 2 Wahlterminen ausblieben. Die Krise der traditionellen Politik der kleinen Schritte und der Kompromisse, in einer Phase der wirtschaftlichen Stabilität entstanden, zeigt sich dabei vor allem bei der PSOE, die bei den beiden Wahlen ihre schlechtesten Ergebnisse seit dem Sturz des Franco-Regimes einfuhr. Dabei litt die Partei vor allem darunter, dass sie zu Beginn der Krise selbst Sparpolitik umsetzte und seitdem zwar formal in Opposition zur koservativen PP-Regierung unter Manuel Rajoy stand, aber ihr in der Praxis keinerlei Widerstand entgegensetze, sondern die Sparpolitik selbst mitverwaltete. 2014 sollte die Wahl von Pedro Sánchez zum Vorsitzenden das Image der Partei verändern und ihr ein volksnäheres, linkeres Image geben. Die eigentliche Macht in der Partei lag jedoch weiterhin im starken rechten Flügel.
Nach den letzten Wahlen im Juni stieg der Druck des Kapitals auf die PSOE gewaltig, in eine Koalition mit der PP einzutreten oder eine konservative Minderheitsregierung zu unterstützen. Die EU fordert weitere 15 Mrd. € an Kürzungen in den nächsten zwei Jahren – ohne eine starke Regierung, die weitere Angriffe auf die ArbeiterInnen fahren würde, drohte dem spanischen Kapitalismus eine Spirale aus politischer Instabilität und weiteren schweren wirtschaftlichen Verwerfungen. Gleichzeitig wäre auch eine Linksregierung rechnerisch möglich gewesen, indem die PSOE zusammen mit „Unidos Podemos (UP)“, dem linken Wahlbündnis, und einigen kleineren Regionalparteien in ein Bündnis getreten wäre – eine Option, die die Basis der Partei in der Arbeiterklasse bevorzugt hätte.
Eine Regierungsunterstützung der PP durch die PSOE kommt in dieser Situation einem politischen Selbstmord gleich, wie ihn die griechische Sozialdemokratie davor begangen hat. Sánchez widersetzte sich deswegen dem Druck des Kapitals und der Parteirechten einige Zeit, ohne jedoch dem Druck nach der Bildung einer Linksregierung aus der Basis nachzugeben, oder sie gar gegen diesen Druck zu mobilisieren. Die KapitalistInnen ihrerseits griffen schließlich zu den gröbsten Mitteln, um ihren Willen schließlich doch noch durchzusetzen: Pedro Sánchez berichtete in einem Fernsehinterview, wie er direkt von den Bossen des größten spanischen Medienunternehmens rund um die Zeitung „El País“ und des größten Telekommunikationskonzernes „Telefónica“ bedroht worden sei. Gleichzeitig startete ein parteiinterner Putsch der Parteirechten, indem die Hälfte des Parteivorstandes zurücktrat, woraufhin ein Gremium der regionalen Führungen einberufen wurde, bei dem Sánchez in der Minderheit war. Sánchez lehnte es auch hier ab, die aufgebrachte Parteibasis, die in mehreren Städten spontan vor den Parteizentralen demonstrierte, gegen die Rechte zu mobilisieren und trat schließlich zurück. Damit war der Weg frei für die Angelobung der PP-Minderheitsregierung.
Auch wenn letztendlich die Wünsche des Kapitals sich wieder einmal durchsetzen konnten: diese Vorgänge werden tiefe Spuren im Bewusstsein der Jugendlichen und ArbeiterInnen in Spanien hinterlassen. Die neue Regierung Rajoy steht in Wirklichkeit jetzt schon auf tönernen Füßen. Während der Angelobung demonstrierten vor dem Parlament in der Hauptstadt Madrid bis zu 100.000 Menschen gegen die neue Regierung, die sie als „illegitim“ bezeichneten. Dabei wurden Slogans aus der Zeit des antifaschistischen Kampfes und des Bürgerkrieges wiederbelebt, indem die DemonstrantInnen „Es lebe der Kampf der Arbeiterklasse“ und „Madrid wird das Grab des Faschismus sein“ skandierten.
Doch vor allem auch die Ereignisse innerhalb der PSOE werden ihre Wirkung zeigen. In den letzten Jahren konnte die Partei sich gerade bei älteren ArbeiterInnen außerhalb der größeren Städte wegen ihrer führenden Rolle im Widerstand gegen die Franco-Diktatur eine gewisse Basis bewahren. Indem sie sich jetzt an das Schicksal der PP mit der Unterstützung einer jetzt schon extrem unpopulären Austeritäts-Regierung kettet, wird diese Unterstützung auf eine harte Probe gestellt werden. Dies besonders da es mit „Unidos Podemos“ eine Alternative links der Sozialdemokratie gibt, die ihre Stärke auf eine ganze Reihe von Massenbewegungen gegen Kürzungen und Sparpolitik allgemein zieht.
Diese Formation war in den letzten Monaten immer wieder von Schwenken und Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung geprägt. Ein Teil der Führung rund um Íñigo Errejón steht für eine Orientierung auf die „politische Mitte“, um damit die „Mittelschichten“ zu gewinnen – eine Orientierung, die sich auch für die Wahlen durchsetzte. Dies gab der PSOE Raum die UP in Worten links zu überholen, was letztendlich verhinderte, dass das Wahlbündnis zur stärksten Kraft auf der Linken wurde. Aktuell findet wieder ein Schwenk nach links statt – der Parteivorsitzende Pablo Iglesias erklärt, dass Podemos jeden Generalstreik gegen die Regierung unterstützen werde, er beruft sich in seinen Reden immer mehr auf die Traditionen des Kampfes der spanischen Arbeiterklasse gegen den Faschismus und einige Abgeordnete der UP nahmen auch an der Demonstration gegen die neue Regierung vor dem Parlament teil.
Der Boden ist dafür bereitet, dass in einem weiteren Land in Europa ein gewaltiger Umschwung auf der Linken stattfindet und eine traditionsreiche sozialdemokratische Partei sich durch ihre Politik selbst vernichtet. Wie in Griechenland zuvor wird das bedeuten, dass eine Formation links der Sozialdemokratie beweisen wird müssen, ob ihr Programm besser dafür geeignet ist, in der Krise des Kapitalismus eine Alternative für die ArbeiterInnen und Jugendlichen zu schaffen. Das kann nur gelingen, wenn der Kampf gegen soziale Verschlechterungen konkret mit dem Kampf um die Überwindung des Kapitalismus verbunden wird.
Selbstaufgabe
Griechenland. Die Lehren aus der Syriza-Regierung, die als Kämpferin gegen das Spardiktat in Griechenland angetreten war und sich im Juli 2015 schließlich diesem unterwarf, analysiert Sandro Tsipouras.
Am 29. Juni 2015 kamen die Verhandlungen zwischen der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Eurogruppe auf der einen Seite und der Syriza-Regierung in Griechenland auf der anderen Seite um eine neue Kreditvereinbarung zum Stillstand. Premierminister Alexis Tsipras wandte sich mit einem Referendum an sein Volk, das sich am 5. Juli 2015 mit einer Mehrheit von über 60% für die Ablehnung des Spardiktates aussprach. Tags darauf unterwarf sich Tsipras den Erpressern. Seitdem führt die Syriza-Regierung die neoliberale Kürzungspolitik grausamer durch als jede Regierung vor ihr.
Die Situation in Griechenland ist von Massenelend gekennzeichnet. 48% der griechischen Haushalte leben unterhalb der Armutsgrenze. 50% der ArbeiterInnen verdienen weniger als 800 Euro im Monat. Nach Angaben der griechischen Nationalbank gab es von 2010 bis Ende 2015 im Privatsektor eine durchschnittliche Lohnsenkung von 20,7%. Die Löhne der ArbeiterInnen unter 25 Jahren fielen um 32%. In Griechenland findet ein sozialer Kahlschlag statt, wie ihn sonst nur Kriege auslösen.
Alexis Tsipras und seine Clique unterlagen der Illusion, es sei möglich, die Troika zu einer leichten Umgestaltung und Linderung ihres Austeritätsdiktats zu bewegen. Mit der Perspektive des Austritts aus dem Euroraum konfrontiert, unterwarf sich die SYRIZA-Regierung dann aber vollständig. Sie erreichte nicht nur keine Erleichterung der Schuldenlast, sondern wurde zur Unterzeichnung eines neuen Memorandums – einer weiteren Kreditvereinbarung mit den bisher schärfsten Sparauflagen – gezwungen, was die Staatsverschuldung noch einmal massiv erhöhte.
Parallel zur Auflösung des griechischen Staatswesens durch die Privatisierungen und die völlige Liberalisierung der Arbeitsbedingungen, vorgeschrieben von der Troika und durchgeführt von einer „linken Regierung“, die das Ende der Memoranden versprochen hatte, hat eine Stimmung der Resignation und des Zynismus in der griechischen Arbeiterklasse Einzug gehalten. Die ArbeiterInnen, die zuvor ihre Hoffnung auf eine Wende durch eine Syriza-Regierung gesetzt hatten, wurden bitter enttäuscht. Die „linke Plattform“, die bis Juli 2015 einige Minister stellte, spaltete sich ab, war jedoch wegen ihrer kampflosen Kapitulation und der inhaltlichen Alternativlosigkeit in den Augen der Meisten keine Alternative und verpasste einen Einzug ins Parlament. Andere wenden sich der traditionellen Kommunistischen Partei zu, die in den letzten Monaten in den Umfragen leicht hinzugewinnen konnte, aber wegen ihrer stalinistischen und extrem sektiererischen Ausrichtung das Vakuum im Moment nicht füllen kann.
Mit dieser massiven Enttäuschung ging die Säuberung in Syriza selbst einher und geht auch weiter. Den Kelch der Kapitulation, den die Führung rund um Tsipras im Juli 2015 angesetzt hat, muss sie jetzt bis zum letzten Tropfen austrinken. Nach mehreren Säuberungswellen wurde Anfang November eine neue Regierungsumbildung bekannt gegeben.
Dabei steht der Wunsch im Vordergrund, bis zum Ende des Jahres die anstehenden Reformen umsetzen zu können, um endlich die „Diskussion über die Schulden“ mit der Troika angehen zu können – denn eine (geringe, symbolische) Erleichterung der Staatsschuldenlast ist alles, was vom ursprünglichen Syriza-Programm geblieben ist. Dazu wurde beispielsweise Energieminister Panos Skourletis, der sich gegen einige Privatisierungen ausgesprochen hatte, von Giorgos Stathakis abgelöst, der bislang Wirtschaftsminister war. Neuer Wirtschaftsminister wird Dimitris Papadimitriou, ein bürgerlicher Ökonom. Auch Nikos Filis, der sich mit der orthodoxen Kirche angelegt hatte, indem er das Morgengebet in den Schulen abschaffen wollte, verliert seinen Posten als Bildungsminister – wohl eine reine Verzweiflungstat, um Syriza, die in Umfragen nur mehr bei 15% liegt (die konservative ND führt mit etwa 30%), bei konservativeren Wählerschichten beliebt zu machen.
Die politischen Lehren, die die griechischen ArbeiterInnen mit großen Opfern ziehen mussten, müssen aufgearbeitet werden. Tsipras und die meisten anderen ReformistInnen erklären, dass die Sparpolitik durch die bürgerliche Ideologie des Neoliberalismus hervorgerufen werde. Durch eine rationale Diskussion könne man die EU-Institutionen dazu bringen, von ihrer neoliberalen Ideologie abzulassen, und eine „vernünftigere“, „menschlichere“ Art, den Kapitalismus zu verwalten, durchsetzen. So argumentiert etwa auch Jeremy Corbyn, der Chef der britischen Labour Party.
Doch die Sparpolitik hat nicht ideologische Gründe, sondern ist in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch der Profiteure des herrschenden Systems, es zu stabilisieren. Um die wirtschaftliche Stabilität wiederherzustellen, werden die politische und soziale Stabilität systematisch geopfert – es bleibt dem Kapital aber keine andere Wahl. Deswegen reicht es nicht, die Sparpolitik abzulehnen. Es braucht ein Programm, das eine Alternative dazu aufzeigen kann und die Macht der Banken und Konzerne bricht.
Das geht nur, indem die großen Banken und Industriekonzerne von den ArbeiterInnen demokratisch und planmäßig zum Nutzen Aller verwaltet werden. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass Illusionen in die EU genauso gefährlich sind wie die Vorstellung, in der heutigen Zeit zu einem Kapitalismus auf nationalstaatlicher Ebene zurückkehren zu können. Wir MarxistInnen argumentieren deswegen für einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus und für die Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa.
Hoffnung?
GB. Wir beobachten in Großbritannien ein Revival der Labour Party (LP), was sie ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn, seinem Programm der Ablehnung der Sparpolitik und der Bewegung rund um ihn zu verdanken hat. Von Yola Kipcak.
Die einstige Großmacht vor der Küste Europas erfuhr in den letzten Jahrzehnten einen stetigen Niedergang ihrer Wirtschaft. Die Unzufriedenheit mit schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen drückte sich mangels einer linken Alternative in einem Zuwachs der rechtspopulistischen UKIP (UK Independence Party) aus, sowie in einem Hass auf das gesamte Establishment – eine Entwicklung mit offensichtlichen Parallelen zu Österreich.
Jeremy Corbyn schaffte es, Massen zu begeistern und die Mitgliederzahl der LP zu verdreifachen. Sein Geheimnis? Er sprach als einziger die soziale Frage offen an und machte sie zum Kernstück seines Programms. Seine Forderungen sind ausnahmslos alle sozialen Charakters: Wohnungssicherheit, Arbeitnehmerschutz, öffentliches Gesundheits- und Sozialsystem sowie Abschaffung der Studiengebühren, friedliche Außenpolitik usw. Zudem vertrat er im Parlament bei Abstimmungen stets konsequent seine Meinung und hat etwa gegen den Irakkrieg und Kürzungen gestimmt. Die Begeisterung, die seine Wahl zum Vorsitzenden erzeugt, beweist, dass die Gesellschaft aus (scheinbarer) Apathie und rassistischer Grundstimmung gerissen werden kann.
Für uns ist daher klar, dass MarxistInnen sich in Bewegung rund um Corbyn einreihen und ihn gegen die Angriffe der Rechten in der LP und der Gesellschaft allgemein verteidigen. In diesen Angriffen spiegelt sich nichts anderes wieder als der Wille, den Profiteuren des kapitalistischen Systems weiterhin ein ruhiges und beschauliches Leben zu ermöglichen – die Massenbewegung um Corbyn mit klaren Umverteilungs-Forderungen steht diesem Ziel im Weg. Doch gerade angesichts des Verrats von Syriza muss man anerkennen, dass es in der Krise des Kapitalismus nicht reicht, die soziale Frage einfach nur anzusprechen. Man braucht eine glaubwürdige Alternative, die bereit ist, mit dem System zu brechen, da die herrschende Klasse nicht bereit ist, ihren Reichtum und ihre Profite für „Soziales“ zu opfern. Deswegen wollen wir gleichzeitig Corbyns Programm auch kritisch unter die Lupe nehmen.
Corbyns wirtschaftspolitische Ansätze basieren vor allem auf folgenden Punkten: Reichensteuern bzw. Verhinderung von Steuerflucht. Letzteres soll allein 120 Mrd. Pfund einbringen. Außerdem sollen Staatsausgaben erhöht werden. Er nennt dies “People’s Quantitative Easing”, also die Ausweitung der Geldmenge durch die Bank of England, um damit Investitionen von 500 Mrd. in das Gesundheitssystem, Gemeindebauten, Energie, Öffentlichen Verkehr und Digitalisierung zu tätigen. Dadurch sollen nach seinen Berechnungen „eine Million Facharbeiterjobs und wirkliche Ausbildungsplätze“ entstehen, was wiederum die Nachfrage am Markt erhöhen soll. Trotz dieser Staatsausgaben sagt er, dass er das Staatsdefizit reduzieren will – aber nicht sofort. Er hofft also, dass seine Maßnahmen die Wirtschaft auf Vordermann bringen können und die Sparpolitik sich dann erübrigt. Als Vorbild sieht er laut Eigenaussage die 1970er Jahre des Nachkriegsaufschwungs.
Der soziale Inhalt von Corbyns Programm ist vorbehaltlos zu unterstützen: endlich einer, der die sozialen Rechte der Arbeiterklasse und der Armen in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung stellt! Das Alternativprogramm wird überall praktiziert: soziale Rechte nur als Restbestand nach der systemrelevanten Umverteilung zu den Reichen.
Falsche Analyse
In Corbyns Programm stecken aber auch eine Reihe gefährlicher Illusionen: Er hofft, durch vermehrte Staatsausgaben Jobs schaffen zu können und somit die Wirtschaft durch ein „Anstupsen“ des Staates wieder ins Laufen zu bringen. Diese Vorstellung, nach dem britischen Wirtschaftswissenschaftler John Meynard Keynes „Keynesianismus“ genannt, beruht auf einem falschen Verständnis des Charakters und der Gründe für Krisen im Kapitalismus. Es wird hier angenommen, dass ein Fehlen des Konsums der Massen der eigentliche Grund für Krisen ist. Diese Erklärung ist aber insgesamt falsch und auf jeden Fall sehr einseitig: Der Kapitalismus ist ein System der Konkurrenz, der ungeplanten und anarchischen Wirtschaftsentwicklung. KapitalistInnen produzieren nur für den Profit. Um den eigenen Profit erzielen zu können, müssen aber Konkurrenten auf dem Markt ausgestochen werden, um die eigenen Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Und kurz gesagt ist das nur dadurch möglich, dass die KapitalistInnen massenhafter in immer größeren Stückzahlen und damit billiger produzieren, mit immer größerem Kapitalaufwand und möglichst ohne mehr Geld für den Lohn von ArbeiterInnen auszugeben. Der Markt kann die produzierten Waren aufgrund dieser Dynamik früher oder später nicht mehr aufnehmen und es bricht eine Krise aus. Es handelt sich auch bei der jetzigen Krise um eine klassische Überproduktionskrise, deren Ursache im Reich der (Über-)Produktion, nicht der (Unter-)Konsumption von Waren liegt – also im Wesen des Kapitalismus selbst. Diese Krisen können dadurch, dass man nun Geld für den Konsum der Massen druckt, höchstens kurzfristig aufgeschoben, nicht aber gelöst werden – so schön diese Aussicht auch klingt.
Eine weitere gefährliche Annahme ist, dass die UnternehmerInnen hohe Besteuerungen kampflos akzeptieren werden. Der Versuch des „sozialistischen“ Präsidenten Hollande in Frankreich zeigt, dass die Ankündigung von Reichensteuern zu sofortigen Drohungen seitens der KapitalistInnen führt, das Land mitsamt ihrem Kapital zu verlassen. Das Beispiel Griechenlands zeigt auf, dass für einen Kapitalismus in der Krise selbst eine Ablehnung weiterer Einsparungen genug ist, um einen Streik des Kapitals mitsamt allen politischen Druckmitteln, die den Herrschenden zur Verfügung stehen, auszulösen. Höhere Steuereinnahmen von Reichen sowie höhere Löhne für ArbeiterInnen, wie von Corbyn gefordert, schneiden ebenfalls in die Profite der KapitalistInnen und „zwingt“ sie dazu, den Standort zu verlassen.
Antikapitalismus
Dieses Verständnis ist wichtig, da selbst eine große politische Bewegung, schnell an den tatsächlichen Verhältnissen zerschellen kann, wenn sich die Grundprämissen ihr Programm als utopisch herausstellt. Das heißt natürlich nicht, dass wir gegen höhere Löhne oder massiven sozialen Wohnbau sind – ganz im Gegenteil. Doch um diese soziale Verbesserungen durchzusetzen, muss man dies mit dem Bewusstsein machen, dass diese Reformen gegen den Willen und Interesse des Kapitals sind, anstatt sich vorzumachen, dass sie den Kapitalismus stärken würden. Eine Durchsetzung massiver sozialer Verbesserungen ist ohne Konfrontation mit der herrschenden Klasse um die Kontrolle über den gesellschaftlichen Reichtum denkunmöglich. Die internationale ArbeiterInnenbewegung muss aus den bitteren Erfahrungen Griechenlands diese wichtigen Lehren ziehen, sonst wird sie wieder und wieder unvorbereitet vor der Aggression der herrschenden Klasse zerschlagen werden. Die Zeche für diese Fehler müssen immer die ArbeiterInnen, die Jugendlichen und PensionistInnen bezahlen, deren Leben zerstört wird, um das System zu erhalten. Diese Lehren sind deswegen auch für Österreich wichtig, auch wenn die Entwicklung hierzulande noch nicht so weit fortgeschritten ist. Rosa Luxemburgs Ausspruch, dass die Menschheit vor der Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei steht, gilt deswegen nicht nur in Spanien, Griechenland und Großbritannien, sondern auch in Österreich!