Am 16. April findet in der Türkei ein Referendum statt, in dem Präsident Erdogan sich eine immense Ausweitung seiner Macht absegnen lassen will. Florian Keller beschreibt die letzten Entwicklungen.

Ein wichtiges Faktum ist zu Beginn hervorzuheben: Wenn am 16. April die Menschen in der Türkei an die Wahlurnen gehen, stimmen sie nicht über eine Ausweitung der Macht von Präsident Erdoğan ab. In Wirklichkeit regiert Erdoğan schon jetzt mit quasi-diktatorischen Vollmachten. Nach dem Putschversuch letzten Sommer gilt der Ausnahmezustand, der es Erdoğan möglich macht, per Dekret zu regieren – zuletzt hat er diesen bis 19. April verlängern lassen. Wo das geschriebene Wort des Gesetzes nicht ausreicht, wurde eine sorgfältige Säuberung des öffentlichen Lebens und des Staatsapparates durchgesetzt. Und die Spitze der oppositionellen HDP sowie eine Reihe von ParlamentarierInnen wurden im November kurzerhand einfach verhaftet – und sitzen immernoch im Gefängnis, der Co-Vorsitzenden Yüksekdağ wurde darüber hinaus noch der Abgeordnetenstatus entzogen.

Bei dem Referendum am 16. April geht es also nicht wirklich um eine Ausweitung der Macht, die Erdoğan und seine AKP bereits jetzt besitzen. Doch diese Macht steht auf ziemlich wackeligen Beinen. Nur die Entfesselung eines Bürgerkrieges in den kurdischen Gebieten des Landes und das ständige Schüren der Angst vor Chaos, Terror und Unsicherheit stabilisierten die Alleinherrschaft der AKP. Seitdem ist keines der grundlegenden Probleme in der Türkei gelöst. Das türkische Militär steckt in Syrien in einem endlosen Krieg fest. Und die Wirtschaft kracht an allen Ecken und Enden – wo ein Loch gestopft wird, brechen zehn neue auf. Die Inflation hat beispielsweise mittlerweile 10% erreicht!

In dieser Situation braucht der Präsident mit den Ambitionen eines Sultans nicht nur Machtbefugnisse, sondern vor allem Legitimität in den Augen seiner Untertanen, um diese auch einzusetzen. Doch er könnte sich verrechnet haben – alle Umfragen sagen einen Sieg des „Nein“ im Referendum voraus. Eine tatsächliche Niederlage wäre ein großer Schlag gegen die Aura der „Unersetzbarkeit“, mit der er sich umgibt. Sollte er auf der anderen Seite versuchen, durch weitere Unterdrückungsmaßnahmen oder Wahlbetrug das Ruder doch noch herumzureißen, wäre das wiederum ein Fokuspunkt für die Wut gegen seine Herrschaft, die in letzter Zeit keinen offenen Ausdruck finden konnte.

Schon jetzt bekommt die „Nationale Einheit“ gewaltige Risse. Die Nein-Kampagne nimmt an Fahrt auf, obwohl der Wahlkampf der Regierungspartei und der offiziellen Medien groteske Züge annimmt, indem etwa Nichtraucherbroschüren eingestampft wurden, deren Titel aussagte, dass man mit einem „Nein“ alles richtig mache. Auch in den anderen, sonst sanft gegen Erdoğan auftretenden Oppositionsparteien brodelt es. Die rechte MHP, die im Parlament noch für die Durchführung des Referendums stimmte, findet sich aus diesem Grund in einer tiefen Führungskrise wieder. Auch in der kemalistischen CHP brodelt es – Viele hinterfragen die Linie des Vorsitzenden Kılıçdaroğlu gegenüber Erdoğan, der die Rhetorik der Nationalen Einheit voll übernommen hat.

Letztendlich wird Erdoğan in der einen oder anderen Form beim Referendum im April als Verlierer dastehen. Doch es wäre ein großer Fehler anzunehmen, dass er eine Niederlage einfach so akzeptieren würde, seine Machtfülle abbauen oder still und heimlich von der Bildfläche verschwinden würde. Für ihn steht zu viel auf dem Spiel – das hat schon seine Reaktion nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen 2015 gezeigt, wo er Neuwahlen ausrief und drohte, ohne einen Sieg seiner AKP würde das Land ins Chaos stürzen. Wir müssen die Wahrheit sagen: Das Referendum ist wichtig als Fokuspunkt für die Opposition gegen Erdoğan, aber letztendlich wird er durch eine revolutionäre Bewegung gestürzt werden müssen, um auch nur die grundlegendesten demokratischen Rechte zu bewahren oder herzustellen. Letztendlich ist auch die Diktatur Erdoğans nur ein Ausdruck der Sackgasse, in der der Kapitalismus in der Türkei steckt. Die korrupten Industriellen und SpekulantInnen mögen sich vielleicht nicht immer einig sein, aber eines ist klar: Sie können es sich alle nicht leisten, dass die ArbeiterInnen und Jugendlichen in der Türkei tatsächlich über ihr Schicksal bestimmen.

Deswegen ist es ein großer Fehler der Linken, alles diese Dinge nicht offen darzulegen. Viele bringen ein „Nein“ beim Referendum richtigerweise mit einer Darstellung der sozialen Problemen der Massen in Verbindung. Doch was weitgehend fehlt, ist eine ehrliche Perspektive über den 16. April hinaus: Die Linke müsste für eine revolutionäre, sozialistische Alternative argumentieren. Auf dieser Basis könnte eine Massenbewegung organisiert werden, für die ein Sieg des „Nein“ beim Referendum nur ein Startpunkt wäre. Sie würde die Basis für einen Sturz von Erdoğan und eine Beseitigung des Kapitalismus in der Türkei legen!


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