Nach dem Wahldebakel vom 8. Juni waren die Konservativen unter Theresa May gezwungen, eine instabile Koalition einzugehen, um an der Macht zu bleiben. Unterdessen setzt sich die zunehmende Begeisterung für Jeremy Corbyn fort.

Die britischen Unterhauswahlen vom 8. Juni sind eine massiver Rückschlag für das konservative Establishment. Ursprünglich waren sie dazu gedacht, den konservativen Führungsanspruch zu stärken. Zunächst sah auch alles gut aus: die konservativen Tories lagen in den Umfragen 20% vor der Labour Party, die augenscheinlich in internen Streitereien aufgerieben wurde. Im Wahlkampf kam es jedoch anders. Als Vertreter derjenigen, die die Kosten der Krise auf dem Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter abwälzen wollen, wurden die Tories von Tag zu Tag verhasster. Im Gegensatz dazu schaffte es Jeremy Corbyn mit einem radikalen Programm, das sich klar gegen soziale Angriffe und Sparmaßnahmen positioniert, Millionen zu begeistern. Die Tories, die mit einer absoluten Mehrheit der Abgeordneten in die Wahlen gingen, sehen sich nun nur mehr mit einer knappen Mehrheit (2,4%) Stimmen und dem Verlust der Absoluten konfrontiert, während die Labour Party ihren Stimmenanteil auf 40% (+10%) erhöhen konnte.

Dies markiert ein weiteres Fortschreiten der politischen Trendwende, die sich spätestens mit dem Beginn der Finanzkrise 2008 ankündigte. Nach Jahrzehnten der Privatisierungen, Einsparungen und fallendem Lebensstandard ist Corbyn der Ausdruck des Zorns der Massen, die in ihm den glaubwürdigen Vertreter ihrer Interessen erkennen. Besonders in der Jugend, die zunehmend radikale und revolutionäre Schlüsse zieht, schlägt sein Programm Wellen: Erstmals seit langem stieg die Wahlbeteiligung bei den 18- bis 29-Jährigen an, über 60% von ihnen stimmten für Corbyn (über 70% der 18- bis 24-Jährigen). Die zentralen Forderungen von Corbyn, ein Mindestlohn von £10, Sicherung des öffentlichen Gesundheitssystems, keine Anhebung des Pensionsantrittsalters, jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen usw. setzen an den direkten Bedürfnissen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung an.

Das Programm der Konservativen demonstrierte hingegen in erster Linie die Unfähigkeit der bürgerlichen Politik, den breiten Massen noch irgendetwas bieten zu können. Auf die Frage einer Krankenpflegerin, warum sie seit 8 Jahren keine Gehaltserhöhung mehr erhalten hat, antwortete die Premierministerin, dass es nun mal keinen „magischen Geldbaum“ gebe. Im gleichen Sinne rechtfertigt sie weitere Kürzungen in allen sozialen Bereichen (Gesundheit, Wohnen, Bildung, Pensionen, usw.) und Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnen und Gewerkschaften.

Nicht einmal eine Woche nach der Wahl tun sich alle diese Abgründe auf eine besonders krasse Weise auf. Der furchtbare Brand im Grenfell Tower, der mindestens 80 Tote forderte, legt die ganze Verdorbenheit der bürgerlichen Klasse und des ganzen kapitalistischen Systems dar. Seit Jahren warnten lokale AktivistInnen vor den vielen Sicherheitsmängeln des Londoner Gemeindebaus, was sowohl die Hausverwaltung, als auch die konservative Bezirksregierung konsequent ignorierte. Im Zuge einer Renovierung wurde lediglich die Fassade verschönert, während im Inneren des Gebäudes nicht einmal offen liegende Gasrohre saniert wurden. Diese Maßnahme, die keinen anderen Zweck hatte als das umliegende Wohlstandsviertel vor dem Anblick einer Sozialwohnung zu erlösen, hatte neben Kosten von ca. 10 Millionen Pfund auch zur Folge, dass der Brandschutz de facto nicht mehr gegeben war. Im Gegenteil, die Kombination aus Bauweise und Verkleidungen aus leicht brennbarem Kunststoff wirkten als extreme Brandbeschleuniger. Den sonst so sparefrohen Konservativen ist die Aussicht der Reichen eine Investition wert, während ihnen das Leben derjenigen, die im Sozialbau wohnen, völlig egal ist. Schlussendlich sind die vielen Toten und Verletzten direkte Opfer des kapitalistischen Sparzwanges.

Nach dem Ausbruch des Brandes schaffte es die Regierung nicht einmal mit einer symbolischen Geste Betroffenheit zu heucheln, geschweige denn materielle Hilfe zu leisten. Die kurzfristige Bewältigung der Krise lag in der aktiven Solidarität der örtlichen Arbeiterklasse. Tausende strömten unverzüglich an den Ort der Katastrophe, um die Opfer mit Geld, Kleidung, Essen und anderen lebensnotwendigen Dingen zu versorgen. Unterbezahlte Feuerwehrleute riskierten ihr Leben in Einsätzen, die durch die massiven Einsparungen bei der Feuerwehr noch zusätzlich erschwert wurden.

Die Tragödie führte zu spontanen Protesten, die nicht nur die Sparmaßnahmen im Wohnbau kritisierten, sondern das ganze System in Frage stellten, in dem Reiche ihre Wohnungen leer stehen lassen können, und Arme, die durch das Feuer ihr Obdach verloren, auf der Straße schlafen müssen. Auch hier stellte sich Corbyn auf die richtige Seite und forderte konsequent die Enteignung leerstehenden Wohnraums, um sie den Opfern des Feuers zur Verfügung zu stellen.

Aber anstatt sich von solchen Kleinigkeiten ablenken zu lassen, waren die Tories damit beschäftigt mit letzter Kraft an der Macht festzuhalten. Nur Tage nachdem sie ihre Sparmaßnahmen damit rechtfertigten, dass es keinen „magischen Geldbaum“ gäbe, fanden sie noch 1,5 Milliarden Pfund im Budget, mit denen sie sich die Unterstützung der Democratic Unionist Party (rechte, protestantische Hardliner in Nordirland) erkauften. Doch diese Koalition, die im Parlament nur eine Mehrheit von zwei Sitzen hat, steht von Beginn an auf wackeligen Beinen und ist nur ein Ausdruck des verzweifelten Bedürfnisses an der Macht zu bleiben.

Der Wahlkampf, das Grenfell-Feuer mit seinen Folgen und die schamlose Koalition mit der DUP zeigen auf anschauliche Weise wofür die Tories stehen: Die Verachtung der Werktätigen, der Jugend und der Armen, die tagtäglich die Folgen der kapitalistischen Krise spüren, und die für deren Bewältigung die höchsten Opfer bringen müssen. Doch diese haben einen Ankerpunkt, um den sich ihr Widerstand dreht: Jeremy Corbyn und sein mutiges Programm. Dieser Enthusiasmus ist aus dem britischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Ob im Urlaub auf Ibiza, beim Glastonbury Festival, auf dem Corbyn eine flammende Rede hielt, oder spontan beim Bier im Pub, jedes Zusammentreffen der völlig politisierten Jugend und Arbeiterschaft birgt das Potenzial spontan einen „Oh Jeremy Corbyn“-Sprechchor anzustimmen. Den vorläufigen Höhepunkt bildete eine Massendemonstration am 1. Juli in London, bei der Hunderttausend TeilnehmerInnen ihren Zorn kundtaten und verlangten: “Tories Out, Corbyn In!”

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Dynamiken auch auf der politischen Ebene ausdrücken. Theresa May, die sich eine „strong and stable“ Regierung versprach, musste sich mit einer „weak and wobbly“ Koalition zufrieden geben, die bereits angezählt am Boden liegt. Die Initiative liegt klar bei der Corbyn-Bewegung, der sich Tag für Tag mehr Menschen anschließen, von denen viele zum ersten Mal in ihrem Leben die Bühne des politischen Geschehens betreten.


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