23.000 € hat Frankreichs Präsident Macron in seinen ersten drei Amtsmonaten nur für Make-Up ausgegeben. Das stößt vielen sauer auf. Jetzt bestellt er Gummischrot und Tränengas im Wert von 22 Mio. €. Was versprechen die ersten 100 Tage der Macron-Präsidentschaft für die nahe Zukunft? Von Caspar Oertli („Der Funke“ Schweiz - JUSO Zürich)

Frankreich hat einen turbulenten Wahlkampf hinter sich. Nach der Hollande-Präsidentschaft schenken viele Franzosen den staatlichen Institutionen nur noch wenig Vertrauen. Der neue Präsident steht noch vor dem gleichen Frankreich mit den gleichen Problemen. Fast jedeR zehnte Franzose/Französin ist arbeitslos und die Wirtschaft ist gekennzeichnet von einem Export-Defizit von 48,1 Milliarden €.

In der „historische Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich steht der Haussegen schief, genau aus diesem Grund: Deutschland hat einen Export-Überschuss von 234 Milliarden €! Die Weichen für diese Entwicklung wurden in den 1990ern gestellt. In Deutschland haben zwischen 1995 und 2012 die Investitionen in die (industrielle) Produktion um 40% zugenommen, während sie in Frankreich um 5% abgenommen haben. Frankreichs UnternehmerInnen glauben selber nicht mehr an ihren Produktionsstandort. Seit 1980 (bis 2007) gingen 1.9 Millionen Arbeitsplätze – rund ein Drittel – in der Industrie verloren.

Die Französische Bourgeoisie verlangte von Hollande genau das gleiche wie heute von Macron: Lohnkosten reduzieren, Arbeitsmarkt flexibilisieren, Unternehmenssteuern senken, Staatsausgaben kürzen. Dass der sozialdemokratische Präsident schlussendlich genau das umsetzte, führte zum Fiasko der SP bei den Wahlen vom letzten Frühling.

Der traditionelle bürgerliche Kandidat – François Fillon – diskreditierte sich mit mehreren Korruptionsaffären selber. Der Fall war das Sahnehäubchen auf dem generellen Vertrauensverlust in Parlament und Präsidenten. Durchsetzen konnte sich schlussendlich der Senkrechtstarter Emmanuel Macron, zynischerweise Ex-Minister der verhassten Hollande Regierung. Doch schauen wir sein Wahlresultat genauer an, denn von Triumph kann keine Rede sein.

Im ersten Wahlgang machte Macron nur gerade 24% der Stimmen. Die geeinte republikanische Front aller Bürgerlichen (und linker) Parteien gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen sicherten ihm den Sieg im zweiten Wahlgang. In den Nachwahlbefragungen gaben jedoch 43% seiner WählerInnen an, in erster Linie gegen Le Pen gewählt zu haben.Seit diesem dünnen Wahlsieg versuchte der Präsident und die ihm ergebene Medienwelt das Bild einer stabilen und beliebten Präsidentschaft zu zeichnen. Dank dem Erfolg seiner Retortenpartei „La République en Marche“ bei den Parlamentswahlen war dies vorübergehend möglich. Macrons Koalition holte 361 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung. Diese stabile Mehrheit (über 60%) steht im starkem Kontrast zu seinem mageren Resultat im ersten Wahlgang und zeigt vor allem, wie wenig das Parlament die politische Polarisierung der Bevölkerung widerspiegelt.

Sein erstes eingelöstes Wahlversprechen ist ein „Gesetz zur Moralisierung der Politik“, gegen die parlamentarische Vetternwirtschaft à la Fillon. Das verlief nicht wie erhofft. Das Gesetz kostete die Regierung drei hochrangige Minister, welche allesamt in Skandale verwickelt waren: Veruntreuung von EU-Parlamentsgeldern, Immobilienskandale und Scheinanstellungen von Familienmitgliedern.

Die nächste große Offensive ist die erneute Reform des Arbeitsgesetzes. Sie wird zum ersten Prüfstein der Regierung, denn sie steht im Zentrum der wirtschaftlichen Zukunft des Landes. Während der Krise kennt das Kapital in Europa nur eine Antwort: Sich aus der Krise raus-exportieren. Um Marktanteile zurückzugewinnen muss billiger exportiert werden. Das geht nur über die Senkung der Lohnkosten. Die letzte Arbeitsmarktreform unter Hollande hatte das Land 2016 jedoch über drei Monate lang in Atem gehalten. Es gab über 13 gewerkschaftliche „Aktionstage“ mit hunderttausenden DemonstrantInnen. Trotzdem wurde die Reform per Vertrauensabstimmung durchs Parlament gepeitscht. Die Profitbedingungen sind das oberste Gebot der Bürgerlichen. Doch die Erfahrung war ihnen eine Lehre. Die neue Vorlage sieht deshalb vor, dass nicht mehr das Parlament den Gesetzestext bestimmt, sondern dass diese Kompetenz dem Präsidenten auf dem Verordnungsweg übergeben wird. Soviel zum Demokratieverständnis der Bürgerlichen.

Zwei große Gewerkschaften stehen der Reform unkritisch gegenüber. Nur die kämpferischere CGT mobilisiert zum ersten Aktionstag im September. Doch die Strategie von eintägigen Aktionstagen hat schon vor einem Jahr ihre Machtlosigkeit demonstriert. Dass es radikalere Massnahmen – unbefristete Streiks – braucht, wird den Basisgewerkschaftern immer klarer. Zu diesem Zweck haben sich regionale CGT-Sektionen (und kleinere Gewerkschaften) zur „Sozialen Front“ vereinigt. Durch diese Vernetzung an der Basis üben sie Druck auf die CGT-Führung aus und organisieren selbständig Aktionen.

In diesem Kontext zeigt sich, welche Schlüsselrolle Mélenchon, seine Bewegung „Rebellisches Frankreich“ und dessen ParlamentarierInnen spielen werden. Ihr Wahlkampf war von Massenwahlveranstaltungen gekennzeichnet und endete mit 7 Millionen Stimmen – nur 600'000 weniger als die Zweitplatzierte, Le Pen. Im Parlament erhielten sie aber nur 17 Abgeordnete. Ihre Interventionen zur Arbeitsgesetzreform im Parlament erhielten ein sehr großes Echo in der Arbeiterklasse. Die Parlamentsfraktion wurde zum politischen Attraktionspunkt der linken Opposition.

Nach 100 Tagen im Amt ist Macron bereits unbeliebter als Hollande und sogar als dessen rechter Vorgänger Sarkozy zum gleichen Zeitpunkt. Auch ein Viertel der eigenen WählerInnen ist mit seiner Amtsführung unzufrieden. Sein Make-Up bröckelt langsam ab. Mit der Arbeitsmarktreform wird er klar aufzeigen, dass er der Präsident der französischen KapitalistInnen ist und der Arbeiterschaft nichts zu bieten hat ausser Sozialabbau und die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Die 22 Millionen € Tränengas zeigen, mit welchen Mitteln der Moralpräsident seine Reformen durchzuboxen gedenkt.


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