Italien. Amazon ist der Marktführer was den Onlinehandel anbelangt und berühmt-berüchtigt für seine miesen Arbeitsverhältnisse. In Deutschland und erstmals auch in Italien nutzte die Gewerkschaft den umsatzstarken „Black Friday“ für Kampfmaßnahmen. Sonia Previato berichtet vom Amazon-Streik in Piacenza.
Amazon hat seit sechs Jahren ein Logistikzentrum in der Nähe von Piacenza, mittlerweile mit einer Stammbelegschaft von 1600 Angestellten („blaue Karten“) und weiteren rund 2000 „grünen Karten“ (so nennt man die LeiharbeiterInnen und die KollegInnen mit befristeten Arbeitsverträgen) zur Abdeckung von sogenannten „Saisonspitzen“. In Wahrheit gibt es solche Spitzen längst schon über das ganze Jahr, wie ein Kollege erklärt: „Es fängt mit dem Versand der Schulbücher an, dann kommt Halloween, dann die Cyber Week mit den Sonderangeboten, dann Weihnachten, und wenn es keine Feiertage gibt, dann lässt sich das Unternehmen etwas einfallen, um den Umsatz zu beflügeln. Wir arbeiten dadurch ständig unter Druck, wobei die „grünen Karten“, die dieselbe Arbeit wie wir machen, sehr leicht rausgeschmissen werden können.“
Das Betriebsgebäude selbst wirkt durchaus einladend, es gibt eine Klimaanlage, und die Vorgesetzten waren bis vor nicht allzu langer Zeit sehr dahinter, die Belegschaft zu motivieren. Bei der Verlautbarung der guten Unternehmensergebnisse in der Belegschaftsversammlung wurden die Anwesenden aufgerufen, sich selbst zu applaudieren. Irgendwann brachten aber einige KollegInnen den Mut auf, Fragen zu stellen. Daraufhin wurden diese Versammlungen nicht mehr einberufen. Wer ein Problem hatte, wurde angehalten sich an den unmittelbaren Abteilungsleiter zu wenden. Auf die Frage, um welche Probleme es sich dabei handeln würde, antwortete uns ein Kollege:
„Per Gesetz darf ein Paket maximal 20 kg wiegen. Ich arbeite bei der Verteilstation, wo die Pakete auf die einzelnen Förderbänder verteilt werden. In 8 Stunden hebe ich rund 3000 Stück. Wenn ich mal aufs Klo muss, dann sagt mir der Vorgesetzte, dass ich kein Recht auf eine weitere Pause habe. Die 30-minütigen Pausen, die vorgesehen sind, wollen sie, dass wir in der Früh bei Schichtbeginn gleich konsumieren, wenn noch weniger Arbeit ist. Wir bräuchten die Pause aber später, um uns ein wenig erholen zu können. In der Zeit vor Weihnachten haben wir letztes Jahr 14 Tage lang Mörderschichten gefahren, die Nachmittagsschicht dauerte dann oft bis um Mitternacht, und die Morgenschicht begann um 4.30 Uhr und ging bis nach 14 Uhr. Einmal, als ich bis Mitternacht in der Bude war, da hat es geschneit, bis ich da das Auto vom Schnee befreit hatte und daheim war, konnte ich nur eine Stunde schlafen, dann musste ich wieder in die Arbeit. Ist doch klar, dass man da krank wird.“
Ein anderer Kollege berichtet:
„Seit Jahren mach ich nur Nachtschichten, an sechs Tagen die Woche. Sonst hab ich kein Leben mehr. Ich hab mittlerweile Schlafstörungen, und das bei einem Lohn von gerade einmal 1400 Euro. Jetzt wollen sie ein neues Schichtmodell einführen: 10,5 Stunden und das ohne Pausen. Dann würde die Arbeitswoche am Samstag in der Früh enden, und am Sonntagabend würde ich wieder reinkommen. Es ist verrückt nur an die Produktivität zu denken, wir gelten nicht als menschliche Wesen. Mit unserer Arbeit machen sie Milliardenprofite, selbst wenn sie die Arbeitszeit auf 6 Stunden reduzieren und die Löhne erhöhen würden, würden sie noch immer genügend Kohle machen, aber stattdessen? Für Nachtarbeit oder den Sonntag bekommen wir gerade einmal einen Zuschlag von 15%. Für unsere Arbeit bekommen wir einfach keine Anerkennung.“
Die Amazon-Beschäftigten haben vor eineinhalb Jahren begonnen sich gewerkschaftlich zu organisieren. Das war kein einfacher Schritt, weil viele Angst vor diesem Schritt hatten, wie uns ein Kollege berichtet: „Wenn du dich beschwerst, dann sagt dir der Vorgesetzte höchstens 'Wenn es dir nicht passt, kannst du gleich gehen. Draußen warten genug andere auf den Job.' Viele sind auch gegangen, aber die Zeit der Erniedrigungen sind vorbei.“
Die Fachgewerkschaften im Handel gelten als nicht besonders kämpferisch. In der jüngeren Vergangenheit haben sie in wichtigen Betrieben sehr schlechte Betriebsvereinbarungen abgeschlossen und sind den Interessen der Handelskonzerne sehr entgegengekommen (u.a. Sonntagsarbeit, 24-Stunden-Schichten). Bei Amazon war der Druck der Belegschaft aber letztlich so groß, dass sie aktiv werden mussten. Der Streik am Black Friday war ein Erfolg, hat doch mindestens die Hälfte der Stammbelegschaft die Arbeit niedergelegt. Obwohl der Streik schon Tage zuvor angekündigt worden war und Amazon einen Teil der Ware umleiten konnte, gab es spürbare Verzögerungen bei der Zustellung. Entscheidend ist in den Augen der KollegInnen aber, dass mit diesem Streik eine neue Phase bei Amazon begonnen hat. Dies gilt vor allem für die rund 200 meist sehr jungen Angestellten, die ab 5 Uhr in der Früh den Streikposten gebildet haben. Sie werden auch bestärkt dadurch, dass zeitgleich bei Amazon Deutschland Streiks stattgefunden haben und sie nicht allein in ihrem Kampf dastehen.
Sie fordern einen Kollektivvertrag und spürbare Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen, mehr Pausen und höhere Löhne. Dieser Arbeitskampf bei Amazon steht erst am Anfang, aber er kann zu einem Referenzpunkt für ganz viele Belegschaften werden, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiten müssen.