Seit dem 8. Jänner finden in Deutschland eindrucksvolle Warnstreiks der IG Metall statt, an denen sich bis Redaktionsschluss rund 960.000 Beschäftigte beteiligten. Grund sind die Tarifvertragsverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie, die mit rund 3,9 Millionen Beschäftigten bundesweit die wichtigste Industriebranche ist. Von Lukas Frank und Hans Gerd Öffinger.
Unter anderem fordert die IG Metall 6 % mehr Lohn, eine Angleichung der Löhne und Arbeitszeiten in Ostdeutschland sowie insbesondere die Option für Beschäftigte, für die Dauer von zwei Jahren die Arbeit auf eine „kurze Vollzeit“ von 28 Wochenstunden zu reduzieren. Danach soll der Anspruch auf Rückkehr in die tarifvertragliche 35-Stunden-Woche bestehen. Denn derzeit ist es nicht sicher, ob Beschäftigte nach einem Wechsel in die Teilzeit überhaupt wieder eine Vollbeschäftigung angeboten bekommen. Viele Frauen stecken so in der Teilzeitfalle.
Für alle, die eine „kurze Vollzeit“ in Anspruch nehmen, um Angehörige zu pflegen oder Kinder großzuziehen, wird als Teillohnausgleich ein Entgeltzuschuss von bis zu 250 Euro gefordert, um auch den unteren Lohngruppen diesen Wechsel zu ermöglichen. Auch SchichtarbeiterInnen sollen mal kürzertreten dürfen. Diese Möglichkeit soll im Laufe des Arbeitslebens öfter in Anspruch genommen werden können.
Demgegenüber steht das Angebot der Unternehmer, die 2 % mehr Lohn für 15 Monate und eine Einmalzahlung von 200 Euro bieten. Dafür wird jedoch verlangt, bei Bedarf die Arbeitszeit in den Betrieben zu erhöhen. Der Unternehmerverband Gesamtmetall lehnt jeglichen Teillohnausgleich bei kürzerer Wochenarbeitszeit ab und behauptet, dass die Metall- und Elektroindustrie „ein Wellnessbereich“ und der von der IG Metall geforderte Teillohnausgleich dann Geld fürs „Nichtstun“ sei. Angesichts solch zynischer Sprüche wissen die Beschäftigten allerdings, dass es in der Metall- und Elektroindustrie durchaus Wellnessbereiche gibt, doch diese liegen in den Vorstandsetagen und bei den Aktionären, wo nicht produktiv gearbeitet wird, während in den Fabriken harte Arbeit geleistet wird und die Arbeitshetze steigt.
Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist ein uraltes Anliegen der Arbeiterbewegung. Im Frühjahr 1984 kämpften westdeutsche MetallerInnen und DruckerInnen über sechs Wochen lang für den Einstieg in die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Seit Mitte der 1990er Jahre steht für sie die „35“ im westdeutschen Tarifvertrag. Dass jetzt wieder ein offensiver Kampf für eine generelle Arbeitszeitverkürzung geführt wird, ist absolut richtig und überfällig. Die Option auf 28 Stunden kann dabei nur der allererste Schritt sein.
Da die IG Metall auf Arbeitszeitverkürzung beharrt und die Kapitalseite dies in den bisherigen Verhandlungsrunden strikt abgelehnt hat, beschloss der IG-Metall-Vorstand unter dem Druck der Basis am 27. Jänner eine Ausdehnung der Warnstreiks auf 24 Stunden. Sollten sich die Industriellen dann immer noch nicht bewegen, so werde es eine Urabstimmung der Mitglieder über einen unbefristeten Flächenstreik geben, drohte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Damit ist die größte deutsche Streikbewegung seit vielen Jahren in greifbare Nähe gerückt.
Gute Konjunktur – starker Arm
Der Zeitpunkt für einen offensiven Arbeitskampf ist günstig. Es herrscht Hochkonjunktur in Deutschland. Die Unternehmer können sich die Forderungen der IG Metall mehr als leisten. Allein 2016 wurden Dividenden in der Höhe von 13 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet. Andererseits sind in Zeiten der prall gefüllten Auftragsbücher Streiks für die Unternehmer besonders kritisch. Enge Lieferketten und Just-in-time-Produktion machen die Industrie verwundbar. Die Unternehmer tun sich allerdings schwer damit, auf die Forderungen der IG Metall einzugehen.
Da zurzeit viele Stellen unbesetzt seien und ein Fachkräftemangel herrsche, käme nichts infrage, was das insgesamt verfügbare Arbeitszeitvolumen verringern könnte, so die Unternehmer. Gemauert wird vor allem auch gegen den Entgeltzuschuss, da sich die Unternehmen nicht finanziell für Kinder- und Angehörigenpflege verantwortlich sehen. Sicherheitshalber ließ Gesamtmetall ein juristisches Gutachten erstellen, um notfalls rechtlich gegen diese spezifische Forderung vorzugehen.
Doch auch die IG Metall tritt nicht unvorbereitet in diesen Arbeitskampf ein. Seit dem letzten Gewerkschaftstag Ende 2015 ist es möglich, Betriebe ohne Urabstimmung für 24 Stunden gezielt lahmzulegen. Eingeführt wurde dies auf Druck der Basis, die nach einer kampffähigeren Gewerkschaft verlangte. Viele wollen endlich „mal wieder richtig streiken“. Außerdem wird die Forderung nach teilweise bezahlter Arbeitszeitverkürzung für Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen medial als eine nachvollziehbare Antwort auf eine immer weiter alternde Gesellschaft wahrgenommen. Angesichts anhaltender Digitalisierung und Automatisierung findet die Idee von einer Aufteilung der Arbeit als Mittel gegen drohende Arbeitslosigkeit ein Echo.
Dennoch liegt bei den Forderungen der IG Metall auch ein Versäumnis vor. Anders als in den 1980er Jahren gibt es keine Forderung nach genereller Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich für alle – egal, ob in Form von Wochenstunden oder Jahresurlaub. Und wie immer werden von den kommenden erkämpften Verbesserungen ausschließlich die Festangestellten in den Kernbelegschaften profitieren, während die in der Metallbranche prekär Beschäftigten allein gelassen werden. Für Leiharbeitskräfte gilt ein separater Tarifvertrag mit der Zeitarbeitsbranche, über den gerade nicht verhandelt wird. Die Kluft innerhalb der ArbeiterInnen wird größer und ein Aufstieg in ein Festanstellungsverhältnis schwieriger. Das Kapital würde gerne LeiharbeiterInnen zum Streikbruch einsetzen.
Ein größerer Metallstreik könnte gesellschaftlich ausstrahlen. Seit Jahren staut sich viel Unmut an. Ein machtvoller Arbeitskampf in der größten Branche der Republik könnte das Ventil für eine klassenkämpferische Gegenbewegung sein und das gesellschaftliche Klima prägen. Ein gemeinsamer Kampf von ArbeiterInnen unterschiedlichster Herkunft ist die beste Antwort auf die Spaltungsversuche und den Rassismus der Bürgerlichen, Rechten und Ultrarechten.
Lehren für Österreich
Für Österreich gilt es, Schlussfolgerungen aus dem deutschen Arbeitskampf zu ziehen. Denn was es jetzt braucht, ist eine kampffähige Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). Mit dem Antritt von Schwarz-Blau hat der Angriff auf Rechte und Arbeitsbedingungen einen generalisierten Charakter. Um das abzuwehren, ist eine kampfbereite Gewerkschaft gefragt, die sich nicht damit zufriedengibt, politische Neutralität zu bewahren und nur in Einzelfragen mitzureden und dagegenzuhalten. Sowohl für die Aufrechterhaltung des Kollektivvertragswesens als auch im Umgang mit der aggressiven schwarz-blauen Regierung brauchen wir kampffähige Gewerkschaften und streikfähige Betriebe. Der kommende Gewerkschaftstag der PRO-GE bietet eine gute Gelegenheit, eine offene Debatte über die Stärken und Schwächen der vergangenen Jahre zu führen und die Weichen für die kommenden Auseinandersetzungen zu stellen. Abonniere „der Funke“, um unsere Vorschläge zu erfahren!