Am 8. März fand in Spanien der sogenannte „feministische Streik“ statt. Nachdem die kleineren Gewerkschaften CNT und CGT zu einem 24-Stunden-Streik der Frauen aufgerufen hatten, mussten ihnen die größeren Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT folgen und riefen ebenfalls eine Arbeitsniederlegung für zwei Stunden aus. Das Ergebnis war die größte Massenmobilisierung, die Europa seit Jahren gesehen hat. Von Sandro Tsipouras.

Die Streikbewegung

Ausgegangen war der Aufruf zu einem eintägigen Streik von der sogenannten „Feministischen Koordniation“, einem spanienweiten Bündnis feministischer Organisationen. Ursprünglich ging es darum, einen Aktionstag nur für Frauen zu organisieren, zu dem Männer explizit nicht eingeladen waren. Doch es sollte ganz anders kommen!

Beinah ein Drittel der Lohnabhängigen beiderlei Geschlechts legte in ganz Spanien die Arbeit nieder – sechs Millionen Menschen. Hinzu kam eine unabschätzbare Menge von Hausfrauen, die zu Tausenden symbolisch Schürzen aus den Fenstern hängten, um ihre Arbeitsniederlegung sichtbar zu machen.

Das ganze öffentliche Leben war lahmgelegt: Schulen und Universitäten waren geschlossen, der öffentliche Nahverkehr und die Eisenbahn auf ein Minimum reduziert. In 120 Städten kam es zu Massendemonstrationen von Frauen, aber auch Männern: Allein eine Million Menschen in Madrid, 200.000 in Barcelona, 100.000 in Sevilla, 50.000 in Bilbao und Granada. Im baskischen Vitoria-Gasteiz ging mit 70.000 Menschen über ein Viertel der Gesamtbevölkerung auf die Straße. In Katalonien wurden an zahlreichen Orten Straßenblockaden errichtet. Mit gewaltigen Demonstrationen auch in Malaga, Cadiz, Valencia, Asturien, Aragón, auf den kanarischen Inseln und den Balearen war die Bewegung in ihrer räumlichen Ausdehnung tatsächlich beispiellos für Spanien. Die massive Unterstützung von Seiten der Männer wurde auch in einer Umfrage sichtbar: 82% der spanischen Bevölkerung äußerten sich in Umfragen positiv über den Streik– was selbst in Spanien ein ungewöhnlich hoher Wert ist.

Frauenkampf und Kapitalismus

Die Forderungen der Frauen waren vielfältig. Sie demonstrierten nicht nur gegen die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, sondern auch gegen häusliche Gewalt, das Hausfrauenleben im Allgemeinen und sexuelle Belästigung. Die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau ist ein direktes Produkt des Kapitalismus und zieht einige weitere schwerwiegende Folgen mit sich: Weil Frauen in Spanien 23% weniger verdienen, geht typischerweise in einer Familie der Mann arbeiten. Weniger Arbeit führt zu weniger Pension: Die durchschnittliche Person für Frauen beträgt in Spanien 718,23 €, für Männer immerhin 1.140,40 €. Der Lohnunterschied und die allgemein größere Schwierigkeit für Frauen, Arbeit zu finden, verdammen die Frau in vielen Fällen zu finanzieller Abhängigkeit vom Mann, bringen sie innerhalb der Familie in eine benachteiligte Situation und führen so zu einer allgemeinen Verzerrung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Spannungen, die der Kapitalismus in die Familie hineinträgt, gipfeln nicht selten in Gewalt gegen Frauen. Durchschnittlich werden in Spanien 65 Frauen im Jahr ermordet und über 1.200 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht.

Die regierende, bürgerlich-konservative Partido Popular (Volkspartei) und die rechtsliberalen Ciudadanos machten auf ihre Weise klar, dass der Kampf um die Befreiung der Frau untrennbar mit dem Sturz der Bürgerlichen und ihres kapitalistischen Systems verbunden ist, indem sie erklärten, sie unterstützten zwar selbstverständlich die Frauenrechte, könnten sich dem Streik aber wegen seines antikapitalistischen Charakters nicht anschließen. Auch der Bischof von San Sebastián machte klar, auf welcher Seite der Barrikade er steht, indem er erklärte, der Streikaufruf sei das Werk des Teufels.

Rund um die Streikvorbereitungen war an vielen Orten die Frage debattiert worden, ob alle Frauen unabhängig von ihrer sozialen Klasse die gleichen Interessen hätten. Praktischerweise gaben die Frauen des Bürgertums selbst die Antwort, in dem sie sich im Vorfeld des Streiks in wochenlangen Schimpftiraden dagegen ergingen. Die Unternehmervertretungen gaben nicht nur ein Statement gegen den Streik heraus, sondern drohten gleich, die Streikenden mit Aussperrungen zu bestrafen. So wurde der Klassencharakter der Bewegung glasklar.

Es wurde offensichtlich: Der natürliche Verbündete der arbeitenden Frauen sind arbeitende Männer und nicht die bürgerlichen Frauen. Wie die Chefin der Ciudadanos und die Ministerinnen der PP-Regierung vorexerziert haben, sind die Frauen des Bürgertums in einer Position, in der sie Privilegien genießen und deshalb das bestehende System verteidigen. Als Unternehmerinnen und Politikerinnen sind sie selbst mitverantwortlich für die Unterdrückung der arbeitenden Frauen. Natürlich zögern sie nicht, sich auf arbeitende Frauen zu stützen, um mit ihrer Hilfe Maßnahmen wie Quoten und dergleichen umzusetzen, die ihre eigene Karriere in Politik und/oder Wirtschaft befördern können – sobald Arbeiterfrauen aber weitergehen und bessere Löhne oder Vergesellschaftung der Hausarbeit fordern, zögern sie genausowenig, die Maske fallenzulassen und ohne Skrupel die herrschende Ordnung zu verteidigen, die die arbeitende Frau unterdrückt, ihnen selbst aber Privilegien bringt.

Ohne Frauen keine Revolution!

Auch den Streikenden war sehr bewusst, dass ihre Forderungen direkt den Kapitalismus in Frage stellen. Einer der beliebtesten Slogans des Tages war: „Ohne Frauen keine Revolution!“ Auf der Demo in Barcelona wurde von einigen TeilnehmerInnen ein Vergleich zu 1917 gezogen. Andere Slogans waren: „Sie haben uns alles genommen, sogar die Angst“ oder auch „Beim Putzen hat keine Frau einen Orgasmus“. CNN berichtete von einer Neunjährigen, die erklärte, dass sie demonstriere, „damit alle Menschen gleich sind, wenn ich groß bin.“

Oft findet eine falsche Debatte über diese Fragen statt: Muss man Männer „aufklären“ bzw. dazu „erziehen“, weniger sexistisch zu sein, wie von FeministInnen oft behauptet wird? Oder kann sich das Bewusstsein erst ändern, wenn der Kapitalismus abgeschafft ist, wie oft Linke behaupten, die ihren eigenen Sexismus nicht konfrontieren können? Einen Mann nach dem anderen dazu zu bringen, dass er seinen Sexismus in den Griff bekommt, stößt schnell auf seine Grenzen, solang die herrschende Klasse ihre giftige Ideologie anwendet. Doch bei Streikbewegung wie am 8. März finden an einem einzigen Tag zwangsläufig tiefe Veränderungen im Bewusstsein von Millionen Männern und Frauen statt. Manchmal karikiert man die Haltung des Marxismus, als würden wir sagen: „Bis die Klassengesellschaft überwunden ist, kann sich gar nichts ändern!“ In Wirklichkeit ist es so, dass sich das Massenbewusstsein eben im Kampf um Rechte und Reformen zu verändern beginnt.
In der übrigen Gesellschaft werden diese Ereignisse einen Dominoeffekt auslösen. Der Streik vom 8. März ist zu einem Beispiel geworden, dem alle Teile der Arbeiterklasse folgen können. Die entscheidende Lektion ist die: Der einzige Weg, die herrschende Friedhofsruhe aufzubrechen, die sich nach dem Rechtsdrift von PODEMOS und dem Scheitern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung über Spanien ausgebreitet hat, ist, zurück auf die Straße zu gehen!

Es ist ohne weiteres möglich, auf der Basis, die am 8. März geschaffen wurde, eine Bewegung aufzubauen, die die Forderungen der verschiedenen Massenbewegungen der letzten Jahre zusammenfasst, die PP-Regierung stürzt und den Kapitalismus beseitigt. Das einzige, was fehlt, ist eine Führung, die dazu das Signal gibt.


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