Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron kann man nicht vorwerfen, dass er es scheuen würde die Jugend und die Arbeiterklasse zu konfrontieren. Der Widerstand gegen seine „Reformpolitik“ ist stark und anhaltend. Doch wie soll der Kampf weitergehen? Von Nicolas Lathuilière
Macron hat innerhalb von zwei Monaten eine Universitätsreform und eine Reform der nationalen Eisenbahngesellschaft (SNCF) im Parlament vorgelegt. In einem Fall soll der Hochschulzugang eingeschränkt werden, offiziell um den Zugang zu überlasteten Studiengängen gerechter zu machen und die Durchfallquote zu reduzieren. Im anderen geht es um eine Wettbewerbsöffnung des Schienenverkehrs und um das Ende des Eisenbahner-Status bei Neueinstellungen.
Der Protest der Studierenden hält an und die Auswirkungen der Hochschulreform sind bereits zu erkennen: Allen Versicherungen der Regierung zu trotz, handelt es sich eindeutig um eine soziale Selektion, die Arbeiterkindern den Zugang zur öffentlichen Hochschulausbildung erschwert.
Damit Frankreich weiterhin ein starker und innovativer Wirtschaftsstandort bleibt, muss laut Macrons „Projekt“ in den öffentlichen Dienstleistungen gekürzt und gespart werden. Reform der SNCF besteht nur darin, die Filetstücke des Unternehmens an private Investoren zu verscherbeln, die sozialen Rechte der EisenbahnerInnen stehen da im Wege.
Doch EisenbahnerInnen sind für ihren Kampfgeist bekannt und haben der vorangegangenen relativen Starre in der Arbeiterbewegung durch gut geplante und mächtige Streiks und Aktionen ein Ende gesetzt. EisenbahnerInnen und Studierende sind die dynamischsten KämpferInnen gegen Macron. Doch die zwei erwähnten Reformen sind letztendlich nur ein Teil der Regierungspolitik. Viele andere Sektoren sind nämlich auch direkt von „Reformen“ betroffen und wollen ihre Unzufriedenheit äußern und sich gegen die sozialen Angriffe zu wehren. Dies sowohl im öffentlichen Sektor, vor allem an den Krankenhäusern, wo Kürzungen stattfinden sollen, als auch im privaten Sektor. Die allgemeinen Sparmaßnahmen und die Arbeitsmarktreform (die den Kündigungsschutz lockert) bilden eine breite soziale Basis für eine starke Abwehrfront gegen Macrons „Modernisierung“.
Das haben die Gewerkschaften und linke Parteien gut erkannt. Alle wollen von der Situation politisch profitieren – jedoch mit unterschiedlichen Zielen und Methoden. Einige moderate Gewerkschaften, wie etwa die sozialdemokratische CFDT, beschränken sich auf ihre Rolle von „unpolitischen“ Verteidigern der Arbeitnehmerrechte bei Verhandlungen. Sie freuen sich über kleine Siege, selbst wenn diese die Hauptpunkte der Reformen unangetastet lassen und von Anfang an von der Regierung als „Zugeständnis“ vorgesehen waren. Dabei wollen sie nicht wahrhaben, dass selbst diese kleinen Zugeständnisse ein Resultat der starken Mobilisierung sind, und solche vorzeitigen „Abschlüsse“ nur der Demoralisierung und Spaltung der Bewegung dienen. Alle spüren, dass viel mehr erreicht werden könnte.
Die CGT, die größte Organisationskraft in der Bewegung, bewegt sich im Zwischenlicht. Ihre soziale Basis ist eindeutig dazu bereit den Kampf durchzuhalten und auszuweiten. Die Führung der CGT jedoch verharrt noch immer in der gleichen Taktik: Stärke zeigen, allerdings immer mit höchster Vorsicht um die Gesprächsbasis mit Macron nicht zu verlieren, und schlussendlich bei Verhandlungen „Kompromisse“ zu erzielen. Sie fürchte sich vor einer Politisierung der Protestbewegung, sowie der Radikalisierung der Forderungen bei massenhaften, großen Aktionstagen. Deshalb gab es ihrerseits keinen Mobilisierungsaufruf für die Großdemonstration vom 5. Mai, zu der der populäre linke Führer Jean- Luc Jean-Luc Mélenchon (France Insoumise) aufgerufen hatte.
Diese Haltung ist bedauerlich, insbesondere, weil weiter starkes Potenzial in der Mobilisierung steckt. Trotz polizeilicher Repression geht der Widerstand an den Universitäten weiter. Studierende streiken und blockieren Prüfungen, in einigen Fällen mit der Unterstützung von ArbeiterInnen. Die SNCF-Streiks verschärfen sich ab und an und werden nach Plan fortgesetzt: drei Tage arbeiten, zwei Tage streiken. McDonald’s-Filialen werden besetzt. Weitere Großdemonstrationen werden organisiert. Die Welle an spontanen Streiks in zahlreichen Branchen ebbt nicht ab… Das Wort Generalstreik ist in den aktivsten Teilen der Bewegung in aller Munde.
Am 22. Mai gab es einen Streik und eine Demonstration des öffentlichen Sektors. Am 26. Mai hat die vorerst letzte Großdemonstration stattgefunden, diesmal auch mit der Teilnahme der CGT. Diese Teilnahme wurde von der Basis in einer internen Urabstimmung durchgesetzt. Doch die Demo vom 26.5. war nicht so erfolgreich, wie die Vielfalt der teilnehmenden Organisationen es versprach. Ob es ein Zeichen der Ermüdung der seit Wochen anhaltenden Bewegung ist, wird von den Führungen nicht erwogen. Jedenfalls ist diese Tatsache ein weiterer Hinweis auf die Schwäche der bisherigen Strategie: verstreute Streiks, lang anhaltender Schachbrettstreik bei der SNCF, Aktionstage alle zwei bis drei Wochen, wobei sich die ganze Linke jedes Mal fragt, wer mitmachen darf oder nicht, etc. Der Kampf mit ständig angezogenen Handbremsen und die Unklarheit über das übergeordnete Ziel der Bewegung sind starke Faktoren für das bisherige politische Überleben Macrons.
Es ist allen klar, dass Macrons einzelne Angriffe einer Logik folgen. Hinter der angeblichen Modernität des jungen Präsidenten stecken das Kapital und das alte Modell des Liberalismus, der die Arbeitsbedingungen und den Lebensstandard der Arbeiterklasse zugunsten der Aktionäre verschlechtert. Frankreich ist weiterhin Weltmeister der Ausschüttungen von Dividenden. Die zögerliche und vereinzelnde Strategie der Gewerkschaftsführungen ist falsch und ineffizient. Die Streikenden verlieren ihre Löhne, ohne dass eine allgemeine Bewegung zum Sturz der Regierung angestrebt werden würde.
Um die Machtverhältnisse zu drehen und eine Chance zu haben, den Kampf zu gewinnen, muss ein Strategiewechsel durchgesetzt werden. ArbeiterInnen aus anderen Sektoren müssen massiv in die Streikbewegung einsteigen. Es gilt die Streikbewegung auszuweiten und konkrete Verbindungen zwischen den einzelnen Kämpfen herzustellen. Politische Diskussionen zwischen Studierenden und allen anderen Sektoren müssen intensiviert werden, um der Protestbewegung gemeinsam eine klare Perspektive zu geben. Die Gewerkschaftsführungen müssen dazu aufgefordert werden, die Streiks in möglichst vielen Sektoren zu koordinieren.
Die allgemeine „Anti-Macron“-Stimmung wird von einer breiten und sehr aktiven Protestbewegung geschürt. Jetzt ist es höchste Zeit, die Gelegenheit wahrzunehmen, um in die Offensive zu gehen: Gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung, soziale Unsicherheit und Rassismus kann man nicht vereinzelt kämpfen, sondern nur in einem vereinten Kampf der Arbeiterklasse um den Sozialismus.