Italien. Nach langem Ringen haben die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die rechte Lega eine Regierung gebildet. Das Kapital hat einen neuen Diener. Von Gernot Trausmuth.


Die Wahlen im März waren wie ein Erdbeben, bei denen die Parteien, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Stützpfeiler einer jeden Regierung gebildet hatten, schwere Verluste hinnehmen mussten. Die Masse der WählerInnen wollte Berlusconis Forza Italia und noch mehr die Sozialdemokratie (Partito Democratico) bei diesen Wahlen abstrafen. Gründe dafür gab es genügend: hohe Arbeitslosigkeit, Pensionsreform, Abbau von Arbeitsrechten, Kaputtsparen der Bildung usw. Die Linke hat in den vergangenen Jahren keinen ernsthaften Widerstand gegen diese Politik des Spardiktats geleistet und ist heute ein politischer Nullfaktor in Italien. So standen der extremen Rechten in Form der Lega und noch mehr der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) der Weg frei, sich als „soziale Heimatparteien“ in Stellung zu bringen. Mit scharfer EU-Kritik und den Versprechen, dass „für die Ausländer bald das ‚schöne Leben‘ vorbei sein würde“ und stattdessen das Motto „Die Italiener zuerst“ gelten würde, nährten sie bei Millionen von der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise frustrierten WählerInnen die Hoffnungen auf einen Wandel zum Besseren.


Für das Establishment in Rom läuteten da die Alarmglocken. Einen weiteren Sargnagel konnte die krisengeschüttelte EU nicht brauchen, schon gar nicht in einem der größten Mitgliedsstaaten mit einer latenten Banken- und Schuldenkrise, die wie ein Damoklesschwert über dem System hängt. Der Staatspräsident zog da in letzter Sekunde die Reißleine und demonstrierte den beiden neuen Regierungsparteien, wer tatsächlich das Sagen hat: die sogenannten „Märkte“!


Die Botschaft des Kapitals und seiner Wortführer ist angekommen, und die Regierung aus M5S und Lega weiß seither, was sie zu tun hat. Schon die Ministerliste zeigt sehr gut den Charakter der Regierung: Ein Ultraliberaler, der für die Weltbank gearbeitet hat, als Wirtschaftsminister; der Außenminister war schon mehrfach Mitglied von „Expertenregierungen“, die das Spardiktat knallhart durchgezogen haben, der Europaminister war Generaldirektor der Industriellenvereinigung und Aufsichtsrat in diversen Banken. Dazu kommt ein Familienminister mit einem Weltbild aus dem 19. Jahrhundert, eine Verteidigungsministerin, die als Managerin eines Rüstungsunternehmens im Irak- und Afghanistankrieg gute Geschäfte gemacht hat usw. Als Krönung wurde Matteo Salvini, Chef der Lega, Innenminister, der für einen harten Kurs in der Asylpolitik und die Ausweitung des Polizeiapparates steht.


Was wurde aber aus den sozialpolitischen Wahlversprechen der M5S? Das Gerede von einem „souveränen Italien“, das das Joch der EU abschüttelt, ist längst verhallt. Von einer Streichung von Teilen der Staatsschulden ist keine Rede mehr, von einer Rücknahme der letzten Pensionsverschlechterungen, wie eine automatische Anhebung des Pensionsantrittsalters, keine Spur. Auch am verhassten Arbeitsmarktreformpaket Jobs Act und an den Dekreten, die eine Prekarisierung der Arbeitsverträge erlauben, will man festhalten. Für die Einführung des versprochenen Grundeinkommens gibt es im Staatshaushalt kein Geld. Dafür soll zugunsten der Superreichen eine Flat Tax eingeführt werden, die durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer finanziert werden soll – sprich Umverteilung von unten nach oben.
Das ist das Programm der Industriellenvereinigung, und damit wird diese Regierung sehr bald schon in Widerspruch zu den Erwartungshaltungen ihrer Wählerschaft geraten. Was bleibt, ist die rassistische Propaganda und die ständige Angstmache. Doch selbst mit der harten Asylpolitik kann die Lega dort fortsetzen, wo die Vorgängerregierung angesetzt hat. Mitte-Links hat schon den Boden für den Rassismus aufbereitet und ordentlich gedüngt. Die Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen wurden von ihrbeschlossen. Und dieser Rassismus gegen „die Illegalen“ hat wie bei uns die Funktion, die inländischen ArbeiterInnen von den wahren Ursachen der sozialen Krise abzulenken und sie zu spalten, damit sich kein Widerstand gegen die Kapitalpläne entwickeln kann. Die Rechten sind auch nicht gegen die Migration. Sie wissen ganz genau, dass der italienische Kapitalismus billige Arbeitskräfte benötigt. So hat Salvini kurz nach dem Mord an Soumayla Sacko, einem gewerkschaftlich organisierten Erntehelfer in Süditalien, öffentlich die Lockerung der Gesetze gegen die illegale Anstellung von Erntearbeitern, die meist afrikanischer Herkunft sind, angekündigt. Die Rechten sind letztlich nur die Diener des Kapitals.


Doch die sozialen Ursachen für das politische Erdbeben bei den letzten Wahlen verschwinden durch die Erhöhung der „Heimat“, der „Nation“ und der „heiligen Familie“ noch nicht. Die Massen werden nach Antworten auf die Krise, die Arbeitslosigkeit, die Prekarisierung verlangen. Die Regierung aber wird bald schon für alle sichtbar ihre populistische Maske ablegen und das Programm des Kapitals durchziehen.
Die größte Stärke der Regierung liegt darin, dass die reformistische Linke und die Arbeiterbewegung in Form der Gewerkschaften politisch völlig orientierungslos sind. In Italien wird die Notwendigkeit einer neuen politischen Führung deutlich. Statt Appellen an die „nationale Einheit“ und die „Einhaltung der Verfassung“ braucht es eine Linke, die auf die Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten und die Methoden des Klassenkampfes setzt. Die Herausbildung einer revolutionären Strömung in der Arbeiterklasse und der Jugend, die das zum Programm machen kann, ist die entscheidende Aufgabe in dieser Periode.

Gewerkschaft geht anders

Die italienischen Gewerkschaften haben jahrelang den Regierungen bei allen Konterreformen den Rücken freigehalten. Der Widerstand gegen die Pensionsreform, den Jobs Act oder gegen den Lohndruck waren mehr als handzahm. Die Last der Krise wurde dadurch zur Gänze auf den Rücken der Arbeiterschaft abgeladen. Der Versuch der Gewerkschaftsführung, durch sozialpartnerschaftliche Konsenspolitik durch die Zeiten der Wirtschaftskrise zu kommen, hat die Bewegung als Ganzes stark geschwächt.


Derzeit laufen die Vorbereitungen auf den Kongress der CGIL, des größten linken Gewerkschaftsverbandes. Die Gewerkschaftsführung zeigt keine Anzeichen von ihrem bisherigen Kurs abzuweichen. Unter dem Motto „Erringen wir uns alles zurück“ sammeln sich nun die Linken in der CGIL. Ihr alternatives Kongressdokument geht von der Prämisse aus, dass die Gewerkschaften ein Programm benötigen, dass von den realen Bedürfnissen der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen und PensionistInnen ausgeht und das die Verursacher der Krise, die Banken und Konzerne die Krisen zahlen lässt. In jedem Konflikt, von der Restrukturierung von Krisenbetrieben bis zur Frage der Finanzierung des Sozial- und Gesundheitssystems, müssen die Gewerkschaften konsequent die Interessen der Arbeiterschaft vertreten. Und wenn das mit den Interessen des Kapitals nicht in Einklang zu bringen ist, dann muss die Eigentumsfrage gestellt werden.


Mario Iavazzi, ein Vertreter der Gewerkschaftslinken in der Nationalen Leitung der CGIL und Anhänger unserer Schwesterzeitung „Rivoluzione“, bringt es auf den Punkt: „Es ist klar, dass uns das nicht geschenkt wird, schon gar nicht von der Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega. Wenn wir unsere Interessen verteidigen wollen, müssen wir die Unternehmer dort treffen, wo es ihnen wirklich wehtut. Dazu gibt es nur ein Mittel, den Arbeitskampf.“


Einst war das italienische Proletariat für seine Kampffähigkeit international berühmt. Die CGIL-Führung hat aber das Kampfmittel Streik so schlecht eingesetzt, dass es seinen Sinn eingebüßt hat. Mit symbolischen Protesten in der Hoffnung, so wieder an den Verhandlungstisch zu kommen, ist in Zeiten einer schweren Krise dem Kapital nicht beizukommen.
Inhaltlich setzt das linke Dokument die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und die Umverteilung der Arbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie den Kampf gegen prekäre Arbeit und für ordentliche Löhne in den Mittelpunkt. Außerdem lehnt es Sozialabbau, Privatisierungen und die Gesetze zur Spaltung in Inländer und Ausländer entschieden ab.
Um die Gewerkschaft wieder zu einem Kampfinstrument zu machen, braucht es die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse, wenn es darum geht, Forderungskataloge zu beschließen und Arbeitskämpfe zu organisieren. Nur echte Gewerkschaftsdemokratie kann der Gewerkschaft den nötigen Sauerstoff zuführen, den es braucht, um den Kampf für ein schönes Leben in Würde für alle führen zu können.

(Funke Nr.165/Juni 2018)


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