In den liberalen Medien der ‚vernünftigen‘ Bürger vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der Teufel des Populismus an die Wand gemalt wird, der die friedlichen, menschenrechtskonformen Grundgedanken der EU untergaben würde. Wir blicken unter die Oberfläche. Von Yola Kipcak.

Das friedensnobelpreistragende Staatenbündnis wird von U2 Sänger Bono zu einem Lebensgefühl erhoben („Europa ist eine Idee, die zum Gefühl werden muss“), während in den Medien der „Zerfall der Wertegemeinschaft“ beweint wird. „Die EU ist in Gefahr, weil der Nationalismus, der aus dem Osten kommt, nach Westen drängt, um sich mit den dort ebenfalls zahlreichen nationalistischen Strömungen zu vereinen“, schreibt die Frankfurter Rundschau etwa am 6.8. und bringt damit einen Gedanken, den viele sich selbst als mitte bis links verstehenden Menschen unterschreiben würden, zum Ausdruck.

Wenn die bürgerliche Presse vom „Populismus“ schreibt, meint sie in erster Linie Parteien und Regierungen, die sich gegen die EU aussprechen und in den meisten Fällen auch auf Rassismus und Anti-Migration setzen. So der ungarische Premier Viktor Orbán, die polnische Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS), die Alternative für Deutschland (AfD), die FPÖ und seit neuestem auch die italienische Regierungskoalition der Lega und der Fünf-Sternebewegung – letztere wird in der Presse gerne als „linkspopulistisch“ bezeichnet. Als Gegenpol gelten die Vernunft der Angela Merkel und die Innovation des liberalen Shooting-Stars, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Um die tieferliegenden Prozesse innerhalb der EU zu verstehen sind allerdings Populismus, Nationalismus und Menschenrechte denkbar unbrauchbare Konzepte – sie schaffen verwirrte und vage pro- und anti-EU Bilder, die über die eigentlichen Interessenslagen wenig aussagen.

Die Darstellung der pro-europäischen Kräfte oder der EU als Ganzes als menschenfreundlich und friedliebend zerschellt an der Realität, in der die imperialistische EU nie zögerte, mit Diktatoren zu kooperieren und auch selbst zur Waffe zu greifen. Der „Flüchtlingsdeal“ mit der Türkei, der dem diktatorischen Kriegstreiber Erdogan 3 Mrd. € zusicherte, um im Gegenzug Flüchtlinge in die Türkei abschieben zu können und die Grenzen dicht zu machen, ist nicht der erste seiner Art. 2010 sagte die EU-Kommission dem ehemaligen Lybischen Diktator Gaddafi 50 Mio. € zu, damit dieser weiterhin fliehende Menschen in Konzentrationslagern von der Einreise nach Europa abhalten würde. Ähnliche Deals im Umfang von 55 Mio. € bestehen mit Marokko und Tunesien. Die im September anberaumte Flüchtlingskonferenz der EU in Österreich hält den Ausbau von Massenlagern außerhalb der EU sowie die militärische Unterstützung bei der Abwehr der „Flüchtlingswelle“ in Griechenland, Italien und Nordafrika bereit. Unter österreichischem Ratsvorsitz möchte Verteidigungsminister Mario Kunasek einen Plan vorlegen, nach dem die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ausgeweitet und künftig nicht nur für das, was sich offiziell „Friedensschaffung“ bezeichnet, eingesetzt wird, sondern auch Migration und Grenzschutz umfassen soll – unter anderem durch Einsätze in Drittstaaten, etwa in Nordafrika. Seit Anfang des Jahres ertranken bereits 1500 Flüchtlinge im Mittelmeer, 850 alleine im Juni und Juli. Soviel zur Friedenszone Europa.

Der wahre Charakter der EU

Die direkten Vorgänger der EU, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1951) und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957) zeigen bereits in ihrem Namen deutlich, was ihr eigentlicher Zweck ist. Entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg ist es ein Wirtschaftsbündnis der imperialistischen Mächte Europas, die einzeln keine Chance gegen die Wirtschafts- und Militärmacht USA einerseits, und der stalinistischen Sowjetunion andererseits hatten. Sie diente auch dem Zweck, die ehemaligen Kolonien, v.a. Frankreichs und Großbritanniens, nunmehr nicht durch direkte Kontrolle, sondern durch wirtschaftliche Abhängigkeit auszubeuten und an sich zu ketten. Sie stellt somit einen Versuch dar, die engen Grenzen der Nationalstaaten, die für die riesigen Produktionsmöglichkeiten des Kapitalismus zu eng geworden waren, durch einen gemeinsamen Markt (für Güter und Arbeitskräfte) aufzuweichen. Die unterschiedliche wirtschaftliche Macht der einzelnen Mitgliedsstaaten wurde jedoch in diesem Bündnis der Ausbeuter keinesfalls ausgeglichen, im Gegenteil spitzten sie sich unter der Oberfläche weiter zu.

Deutschland erreichte mit wirtschaftlichen Mitteln das, woran es in zwei Weltkriegen gescheitert war: Dominanz über Europa. Die Expansion und Integration des europäischen Marktes wurde durch die gemeinsame Euro-Währung, auf die ab 1990 hingearbeitet wurde und die schließlich 2002 in 19 der 28 EU-Staaten eingeführt wurde, auf ein neues Niveau gehoben. Für einige Jahre, in der Boom-Phase, ging dieses Experiment, in dem unterschiedlich starke Wirtschaften in einer gemeinsamen Währung zusammengekettet waren, scheinbar gut. Deutschland konnte barrierefrei Waren und Kapital in den Rest Europas exportieren, ohne dass es durch etwaige Abwertungen anderer Währungen beeinträchtigt wurde. Im Gegenzug konnten in Ländern wie Griechenland oder Italien Euro-Kredite zu günstigen Bedingungen aufgenommen werden – nicht zuletzt um dieselben Waren zu importieren. Der Möglichkeit beraubt, die eigene Währung gegebenenfalls abzuwerten, um die eigenen Exporte zu stärken, beschleunigte das jedoch die Ungleichentwicklung innerhalb der EU. Ein Blick auf die Handelsbilanzen genügt, um diese darzustellen: In jedem Jahr seit 1952 exportierte Deutschland mehr Waren als es importierte, wobei der Warenexport-Wert alleine in den letzten 20 Jahren von 454 Mrd. Euro (1997) auf 1270 Mrd. Euro (2017) anstieg. Die Leistungsbilanz (die alle Importe und Exporte einrechnet) verzeichnet 2017 ein Plus von 270 Mrd. €. Allerdings – „die Gewinne Deutschlands sind die Schulden anderer. Ob die je zurückgezahlt werden, ist fraglich“, formulierte es das Handelsblatt (16.1.) richtigerweise. Die Top-10 Zielländer der deutschen Exporte waren im vergangenen Jahr mit Ausnahme der USA (Platz 1) und China (Platz 3) ausschließlich EU-Länder.

Perspektivlosigkeit der Bourgeoisie

Der Wirtschaftscrash 2008 brachte alle Widersprüche, die in Zeiten des relativen Wirtschaftswachstums verborgen waren, zum Vorschein. Um Banken, deren faule Kredite nun offensichtlich wurden, vor dem Bankrott zu retten sprangen die Staaten ein. Die schwächelnde Wirtschaft wurde mit Konjunkturpaketen versorgt. Die Folge: die Staatsschulden schossen in die Höhe. Und dieses Problem ist nicht etwa gelöst. Während Deutschlands Staatsschulden 2017 mit 64% knapp unter Vorkrisenniveau liegen, legten die meisten Länder der EU kräftig zu: Italien seit 2007 von 100% auf 132%, Spanien von 36% auf 98% und Frankreich von 65% auf 97%. Das Mantra lautete nun: Staatsschulden reduzieren, das heißt sparen bei Gesundheit, im Sozialbereich, bei der Bildung usw. Die Sparpolitik zerriss und zerreißt laufend das soziale Gewebe der Gesellschaften. Die bisher extremsten Auswirkungen sind am Beispiel Griechenlands zu sehen, dessen Lebensstandard durch EU-Sparauflagen einem Land im Kriegszustand ähnlich gemacht wurden. Während die Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren wieder leichte Wachstumstendenzen verzeichnet – ein Wachstum, das auf sehr extrem dünnen Eis steht – wurde dies nur auf Kosten einer enormen politischen Destabilisierung und eines absoluten sozialen Kahlschlags erreicht.

Politische Parteien und gesellschaftliche Institutionen, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs unantastbar schienen – von der katholischen Kirche bis hin zu demokratischen Vorgängen, die ausgehebelt werden, wenn es genehm ist (siehe z.B. Expertenregierung in Italien 2011-13), erodieren immer weiter. Traditionelle Arbeiterparteien sind die eigentlichen Retter des Sparregimes. Einige dieser Parteien wurden zu Randerscheinungen im politischen Spektrum (Sozialistische Partei Frankreichs – 6,1% bei den Parlamentswahlen 2017, die PASOK in Griechenland – 6,3% 2015 u.a.). Aber selbst im vermeintlich stabilen Deutschland geschehen unerhörte Dinge: Die absolute Mehrheit der CSU in Bayern steht vor dem Ende, weswegen ihr Vorsitzender, der deutsche Innenminister Horst Seehofer, im Lichte anstehender Landtagswahlen die mühsam gekittete Regierungskoalition auf Bundesebene riskiert und Merkel mit einer aggressiven „Grenzen-schließen-Politik“ unter Druck setzt. Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen, in denen die Eigenlogik politischer Machterhaltung die fundamentalen Interessen des Großkapitals durchkreuzt und somit die Instabilität des Systems weiter steigert.

In Italien scheiterten die Verhandlungen für die vom Kapital präferierte Regierungskoalition (Partito Democratico und Fünf-Sterne-Bewegung) und sieht sich nun mit einer schwerer kalkulierbaren Fünf-Sterne und Lega Regierung konfrontiert. Erstere haben mit dem Staatsbudget unvereinbare Sozialausgaben versprochen und schüren Anti-EU-Ressentiments – mit kräftigem Rassismus der Lega gepfeffert – um schon vorsorglich von ihren künftig zu brechenden Versprechen abzulenken.

Die Bourgeoisie hüpft von einem Brandherd zum nächsten – sie hat keine verlässliche, langfristige Perspektive mehr und kann auch keine nicht aufstellen. Das eindrücklichste Beispiel für die auseinanderdriftenden Tendenzen der EU ist zweifelsohne der Anstehende Austritt Großbritanniens aus dem Staatenbündnis.

Brexit

Der Brexit war von der herrschenden Klasse in Großbritannien weder gewollt noch erwartet. Sie unterschätzten den Hass eines großen Teils der Bevölkerung auf das Establishment und das ‚liberale‘ Geschwätz des „pro-EU“-Lagers völlig. Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU bedeutet den Verlust der zweitgrößten Wirtschaft der Union nach Deutschland (12% des EU-Bruttoinlandsprodukts), womit die EU als Ganzes ein kleinerer Wirtschaftsraum als die USA wäre. Die Folgen sind schwer einzuschätzen, aber insbesondere im Land selbst werden sie schwerwiegend sein. Theresa May, die nach Camerons Rücktritt den undankbaren Premierministerposten übernahm, steht nun von allen Seiten unter Druck. Sie hat die unlösbare Aufgabe, bis zum geplanten EU-Ausstieg am 29. März eine für den britischen Kapitalismus möglichst schadenfreie Brexit-Lösung zu verhandeln. 43% der Waren und Dienstleistungsexporte (318 Mrd. Pfund) Großbritanniens gehen in die EU. Wenn Zölle eingeführt werden, wird dies unberechenbare Konsequenzen für die Wirtschaft haben. Aller Behauptungen von Brexit-Anhängern zum Trotz gibt es keine kurzfristigen alternativen Handelspartner zur EU. Jeder Versuch eines möglichst „weichen“ Ausstieg-Deals wird nicht nur von Gegnern in der eigenen Partei bekämpft (Anfang Juli traten der Brexit-Minister David Davis und Parteitroll Boris Johnson aus Protest zurück), sondern auch von der EU abgelehnt: Schließlich soll kein weiteres EU-Land auf die Idee kommen, es GB nachzutun. Indes drohen prominente Firmen wie BMW und Airbus (zusammen ca. 14.000 Stellen in GB) bereits mit Abwanderung, sollten die Brexit-Bedingungen nicht klar geregelt sein. Einzig die Angst vor einer linken Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn ist das Schreckgespenst, das Theresa May derzeit noch an einem dünnen Faden an der Regierungsmacht hängen lässt. Die nächsten Wahlen – die angesichts der politischen Krise des Establishments verfrüht stattfinden werden – machen gerade eine solche Perspektive allerdings immer wahrscheinlicher.

Rolle des Populismus und der Flüchtlingskrise

In einer Krisensituation können Ereignisse eine Wirkung weit über ihre eigentliche Bedeutung hinaus entfalten, wie sich am Beispiel der Flüchtlingskrise zeigt. Die stetig sinkende Zahl der Flüchtenden wird von Regierungen und Parteien ausgeschlachtet, um damit politisches Kleingeld zu machen, die Arbeiterklasse zu spalten und von den realen Problemen abzulenken. Der Rassismus als Ideologie der Spaltung wird an den absurden und barbarischen Vorfällen vor der italienischen Küste deutlich, wo Rettungsschiffe mit nicht mehr als 100-200 Flüchtlingen (es gibt größere Schulausflüge) tagelang nicht anlegen dürfen, bis sich Länder dazu erbarmen eine Handvoll Menschen aufzunehmen. Der rechten Italien-Regierung wird etwa der „weltoffene“ spanische Premier Sanchez gegenübergestellt. Doch diese Unterschiede sind letztendlich zweitrangiger Natur und sind vor allem eine Theateraufführung für das jeweilige heimische Publikum (auf dem Rücken von tausenden Toten Flüchtlingen).

Denn blickt man unter die politischen Oberflächenphänomene, zeigt sich, dass ausnahmslos alle Regierungen der EU unter den Bedingungen des Kapitalismus in dieselbe Richtung gehen – in der Flüchtlingspolitik, aber vor allem in den großen, entscheidenden Fragen. Die Profitlogik bestimmt die Politik egal ob linksreformistisch (SYRIZA in Griechenland), ‚liberal‘ (Macron in Frankreich – siehe Artikel S. 10) oder rechts (Österreich): Massive Einsparungen bei der Arbeiterklasse bei gleichzeitigem Aushöhlen der Demokratie und Aufrüsten der Staatsgewalt durch höhere ‚Sicherheits’ausgaben. So versuchen sie, sich auf die nächste Krise vorzubereiten, die kommen wird wie die Nacht auf den Tag folgt.

Diese Krisenvorbereitung gestaltet sich jedoch komplizierter als gedacht. Um nach 2008 die Wirtschaft wieder anzukurbeln wurden einerseits, wie bereits erwähnt, vom bankrott bedrohte Banken gerettet. Gleichzeitig startete die Europäische Zentralbank (EZB) 2015 riesige Anleihen-Kaufprogramme („Quantitative Easing“): Dabei kauft (und deckt) sie Schulden, nicht zuletzt Staatsschulden von EU-Ländern, von privaten Banken, schafft so künstliche Nachfrage nach diesen Staatsanleihen und senkt deren Zinsen damit auch auf dem „freien Markt“. Von März 2015 bis Juli 2018 wurden so bereits 2,5 Billionen(!) € in den Markt gepumpt. Trotz des massiven Flutens des Marktes mit billigem Geld ist die EU-weite Investitionsquote nach wie vor niedriger als vor der Krise 2007. Der Grund ist, dass (trotz leichtem Wirtschaftsaufschwung) die Märkte übersättigt sind. Warum investieren, wenn überschüssige Produktionskapazitäten vorhanden sind? Stattdessen werden mit Vorliebe Spekulationsgeschäfte betrieben. Das Anleihen-Kaufprogramm wird mit Ende dieses Jahres voraussichtlich eingestellt. Doch der Leitzins der EZB, zu dem die Zentralbank Geld verleiht, bleibt voraussichtlich weiterhin bei 0,0%. Das bedeutet, dass bei einem weiteren Wirtschaftseinbruch der EU keinerlei Spielraum bleibt, um mit ihrer Geldpolitik der Krise entgegenzusteuern – im Gegenteil, mitten im „Aufschwung“ befindet sich die EU weiter im Krisenmodus!

Bisher war es daher das Ziel, insbesondere Deutschlands, die Leitzinsen der EZB anzuheben, wie es die US-amerikanische Notenbank dieses Jahr bereits getan hat. Dies war auch der Grund für Streitigkeiten zwischen Frankreich, Italien und Deutschland in vergangenen Jahren, denn die südeuropäischen Länder benötigen für die Stabilität in ihrem eigenen Land weiterhin das billige Geld. Angesichts der politischen Verwerfungen und des Auseinanderdriftens innerhalb der EU müssen die wirtschaftlichen Krisenvorbereitungen jedoch hintangestellt werden. Die EU repräsentiert einen Mann, der wachen Auges auf eine Klippe zurennt, aber nichts dagegen tun kann. Beim europäischen Wirtschaftselite-Event Forum Alpbach mahnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen daher auch, dass nicht die Migrationskrise das größte Problem der EU sei, sondern das „Aufflammen von nationalistischen Tendenzen“ und der „mögliche Bedeutungsverlust Europas im Verhältnis zu den Mächten USA, Russland und China“.

Während die EU damit beschäftigt ist, permanent ihre inneren nationalen Bruchlinien zu kitten, tickt die Zeitbombe des Marktes. Die Frage des Zerbrechens der EU wurde mit der Griechenlandkrise bereits 2012 als realistisches Szenario diskutiert. Sie wird sich in der nächsten Krise mit viel größerer Intensität aufdrängen. Alle finanziellen und wirtschaftlichen Probleme, die derzeit etwas in den Hintergrund gedrängt wurden, werden sich explosionsartig ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Die Perspektive ist klar: Auch wenn die Bürgerlichen keine Ahnung haben, wie sie sich von einem weiteren Crash erholen sollen, sie selbst werden die Zeche nicht bezahlen wollen. Das „Griechenland-Szenario“ kommt auf uns alle zu – sofern die Arbeiterklasse die Machenschaften der KapitalistInnen nicht stoppt. Nicht Populismus und nationalistische Politik treiben die EU auseinander, sondern der Widerspruch zwischen der nationalen Verfasstheit des Kapitals, das gleichzeitig einen supernationalen Markt braucht. Der Rassismus ist dabei die Ideologie, mit der den Massen Sand in die Augen gestreut werden und die Arbeiterklasse gespalten werden soll. Allem Gerede von „Populismus“ zum Trotz durchlaufen alle EU-Staaten denselben Prozess und verstricken sich dabei in einem Widerspruch nach dem anderen.

Klassenstandpunkt fehlt

Jedes Szenario im Kapitalismus bedeutet eine gründliche Zerstörung des Lebensstandards der Massen. Ein „zurück zum Nationalstaat“ ist eine völlig reaktionäre Forderung. In Zeiten des weltweiten Kapitalismus ist es illusorisch, etwa durch protektionistische Maßnahmen oder Rückkehr zu einer Nationalwährung ein besseres Leben gewinnen zu können. Der sich anbahnende, weltweite Handelskrieg zeigt, wie mit jeder Zollerhöhung folgeschwere Entwicklungen wie Dominosteine in Gang gesetzt werden können, die letztlich der gesamten Weltwirtschaft massive Schläge versetzen. Doch auch eine ‚soziale‘ EU ist unter kapitalistischen Vorzeichen illusionäres Wunschdenken, wie es die EU in Griechenland bereits eindrücklich vorexerziert hat. Im Krisenfall wird auch der letzte Schleier einer „menschenfreundlichen“ EU zerrissen, jede ihrer Institutionen wird genutzt werden, um die Angriffe auf die Arbeiterklasse zu intensivieren. Unter kapitalistischen Vorzeichen gibt es weder ein vor noch ein zurück.

Die gesamte geschichtliche Entwicklung drängt objektiv in Richtung des Umsturzes des Systems. Das entscheidendste Charakteristikum der derzeitigen Periode ist, dass im Moment noch keine politische Massenkraft der Arbeiterklasse diesen Systemwechsel auf die Tagesordnung stellt. Die Frage der sozialistischen Revolution ist aber keine ferne Zukunftsmusik, sondern stellt sich noch für unsere Generation. In Bewegungen weltweit testen die Massen derzeit politische Formationen. Viele Hoffnungen bestehen in linksreformistische Projekte wie „La France insoumise“ mit der Führungsfigur Jean-Luc Mélenchon oder der Labour Party unter Jeremy Corbyn. Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass, unabhängig von deren guten Willen und Absichten, ein revolutionäres Programm notwendig ist, welches mutig mit dem Kapitalismus bricht, wenn sie nicht so enden wollen wie SYRIZA in Griechenland. Der Funke und die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) stehen für die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa, der einzigen wirklichen Lösung, die der Todeskrise des europäischen Kapitalismus entgegengesetzt werden kann!

(Funke Nr. 166/August 2018)


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