Diese Worte des altgriechischen Dramatikers Euripides treffen in Bayerns Politik im Moment voll und ganz zu. Florian Keller berichtet über das politische Erdbeben, das sich bei den Landtagswahlen am 14. Oktober abzeichnet.

Das flächengrößte deutsche Bundesland mit fast 13 Mio. Einwohnern wird außerhalb seiner Grenzen gerne belächelt. Im Norden Deutschlands ist der sprichwörtliche bayerische Konservativismus ein Anlass, über den sich Bierzelt-, Brezen-, Bauern- und FC Bayern Witze machen lassen, aber auch der Kopf geschüttelt wird. Doch das überwiegend ehemals agrarisch-kleinbürgerlich geprägte Bundesland, das nach einer kurzen und heftigen revolutionären Erhebung nach dem ersten Weltkrieg umso sicherer zum Hort der Reaktion in Deutschland wurde und das über Weimarer Republik, Nazizeit und frühe Bundesrepublik auch blieb, existiert nicht mehr. Bayern ist mittlerweile ein modernes, industriell geprägtes Land, in dem Weltkonzerne wie BMW oder Siemens den wirtschaftlichen Takt angeben.

Als Überbleibsel dieser Zeit gibt es die bayerische CSU. Im generellen wirtschaftlichen Aufschwung, mit einem demagogisch-sozialen Anstrich und vor allem mit einer Opposition der SPD (und später den Grünen), die sich immer in erster Linie als die „besseren Konservativen“ präsentieren wollten, konnte sie eine jahrzehntelange Dominanz bewahren. Sie ist aber in Wirklichkeit erst in zweiter Linie eine Partei, vor allem aber ein Kompromiss zwischen der traditionellen Elite auf dem Land, dem nach oben strebenden Klein- und Mittelbürgertum auf der einen sowie dem milliardenschweren Großkapital auf der anderen Seite.

Die Ersteren bekommen über eine Parteistruktur, die man am ehesten mit der Mafia vergleichen kann, zuverlässig Posten und Pöstchen im bayerischen Staatsapparat zugeschanzt, um darüber immer wieder in Konflikte zwischen verschiedenen Machtcliquen und Regionalfürsten mit wechselnden Bündnissen zu verfallen, die eher an die Feudalzeit erinnern als an einen modernen Staat. Die Letzteren dagegen finden die stabilsten, und damit mitunter geschäftsfreundlichsten politischen Bedingungen in ganz Deutschland vor: Die CSU regiert seit einem ganzen Menschenalter (1962) ohne Koalitionspartner, de Facto als Staatspartei. Nur zwischen 2008 und 2013 musste sie sich die völlig willfährige FDP als Koalitionspartner mit ins Boot holen, was schon damals eine große Krise in der Partei auslöste.

Rechtsruck der CSU

Diese Dominanz droht jetzt, endgültig zu zerbrechen: In den Umfragen fällt die CSU seit Monaten, das traditionelle Mindestziel der absoluten Mehrheit scheint mittlerweile unerreichbar. Schon bei der Bundestagswahl vor einem Jahr hat die CSU mit knapp 39% einen massiven Rückschlag erlitten, der größte Wahlgewinner war die rechte AfD. Die CSU-Granden sind darüber in heller Panik, in der sie bereit sind, alles und jeden zu Opfern, um nur die absolute Mehrheit zu erhalten. Das kostete letztlich Horst Seehofer als Ministerpräsidenten den Kopf. Er wurde als Innenminister nach Berlin abgeschoben (In Bayern in etwa vergleichbar mit Beförderung in die EU) und seinen Platz nahm Markus Söder ein. Gleichzeitig ging die Partei endgültig auf einen strammen rechtspopulistischen Kurs, und hoffte so, der AfD das Wasser abzugraben.

Das heißt auf der einen Seite, dass die CSU in Bayern selbst alle Register der rassistischen Demagogie und der „Law and Order“-Politik gezogen hat. Neben der Gründung einer eigenen Bayerischen Grenzpolizei wurde etwa ein neues „Polizeiaufgabengesetz“ (PAG) beschlossen, das eine massive Ausweitung der Macht der Polizei bedeutet. So dürfen jetzt etwa Menschen schon bei „drohender Gefahr“ für bis zu 3 Monate in Haft genommen werden - ohne richterlichen Beschluss!
Auf Bundesebene sind Söder, Seehofer und Co. auf einen Amokkurs gegangen, der unter allen Umständen „hart im Asylbereich“ sein soll, und damit die große Koalition immer wieder schwer erschüttert. Dabei sägen sie nicht nur am Stuhl der „eigenen“ Kanzlerin Angela Merkel, sondern nehmen eine Schwächung der Position des deutschen Kapitals in Kauf: Das wichtigste deutsche Gut bei einem härter werdenden Wettbewerb auf dem Weltmarkt, vor allem um in Europa den Kurs vorgeben zu können, ist die politische Stabilität. Das Ganze geht sogar so weit, dass der Chef des BDI (Bund Deutscher Industrie) es für notwendig hielt, offen Kritik an der großen Koalition zu üben, die eigentlich die Wunschregierung des Kapitals ist!

Doch das alles löst die Probleme der CSU nicht. Ganz im Gegenteil: Dieser scharfe Rechtkurs hat eine Gegenreaktion in der bayerischen Gesellschaft hervorgerufen, die so lange nicht mehr zu sehen war: Nicht nur verliert die CSU reihenweise Wähler, die diesen Kurs ablehnen, und steht so in den Umfragen teilweise nur noch bei 33%. Das würde bedeuten, dass selbst die Möglichkeit einer Zweierkoalition mit einer der CSU genehmen Partei sehr unwahrscheinlich wäre. Die CSU ist direkt zwischen Hammer und Amboss gefangen – in welche Richtung sie sich auch bewegt, der aufgestaute Druck in der Gesellschaft führt zu einer massiven Schwächung. Erwähnenswert ist hierbei, dass auch die zweite Partei der Großen Koalition auf Bundesebene, die SPD, als Teil des Problems wahrgenommen wird – insgesamt verlieren beide Parteien im Vergleich zur letzten Wahl über 20%!

Bayern kommt in Bewegung

Es hat in den letzten Monaten eine ganze Reihe von großen Demonstrationen gegeben, die sich explizit gegen die CSU-Politik richten. Am Anfang stand eine Großdemonstration gegen das PAG in München, bei der 40.000 Menschen teilnahmen. Es folgte die Demo „Ausgehetzt“ gegen den Rechtsruck (ca. 30.000) und noch einmal eine Demonstration gegen Rassismus am 3. Oktober mit 40.000 TeilnehmerInnen. Doch das waren jeweils nur die Spitzen des Eisberges, über den Sommer hinweg fanden dutzende kleinere Kundgebungen und Demonstrationen mit insgesamt zehntausenden TeilnehmerInnen in allen möglichen Städten Bayerns statt.

Im Zuge dieser Proteste bricht auch die soziale Frage auf: Nach einer Welle von Basisorganisierung haben im September über 10.000 Menschen unter dem Motto „Ausspekuliert“ gegen die völlig unerschwinglichen Mietpreise in München demonstriert. Quadratmeterpreise von über 16€ gehören mittlerweile zur Normalität! Das ist nur ein Vorgeschmack dessen, was Bayern in den nächsten Jahren erwartet: Die jahrzehntelang feste politische Betondecke bricht auf, und unter der Oberfläche kommt eine Gesellschaft mit einer starken Arbeiterschaft und sozialer Polarisierung zum Vorschein, in der ein sich zuspitzender Klassenkampf angelegt ist. Das „ruhige Hinterland“ des deutschen Imperialismus kommt unaufhaltsam in Bewegung!

(Funke Nr. 167/Oktober 2018)


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