„Das ist ein politischer Angriff!“ urteilt der linke Oppositionsführer Jean Luc Mélenchon, als am 16. Oktober um 7:00 in der Früh bewaffnete Polizisten unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung in seiner Privatwohnung auftauchen. Von Willy Hämmerle.
Gleichzeitig führte die Polizei weitere Durchsuchungen in den Büros seiner Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) und den Wohnungen mehrerer parlamentarischer Mitarbeiter durch.
Dass Mélenchon mit seiner Einschätzung völlig Recht hatte, zeigte der weitere Verlauf des Polizeieinsatzes. Zahlreiche Dokumente, die in keinem Zusammenhang mit den Ermittlungen stehen, wie etwa Strategiepapiere oder vertrauliche Sitzungsprotokolle wurden einkassiert, nicht einmal private Urlaubsfotos blieben verschont. Die Polizei verweigerte die Einhaltung grundlegendster demokratischer Standards, selbst Protokolle über die Konfiskationen wurden keine angefertigt. Die rechtliche Deckung erteilte ein williger „Freiheitsrichter“, ohne Gerichtsbeschluss, auf Basis des „Loi Perben II“ von 2004 – der französischen Variante der Gesetzeswelle gegen Terror und organisiertes Verbrechen.
Die darauffolgende Hetzkampagne der Medien rundet die Allianz der „Unabhängigen Institutionen“ sauber ab. Anstatt die skandalösen Machenschaften von Justiz und Polizei zu thematisieren, werfen sich alle Meinungsmacher, von den miesesten Schmierblättern bis zur respektablen Le Monde, ins Gefecht, Mélenchon in der öffentlichen Wahrnehmung weiter fertigzumachen. Sein Zorn über die Durchsuchungen – Wahnsinn; der Hinweis auf die parlamentarische Immunität – Hochmut. Wagt er es die Anschuldigungen zurückzuweisen, scheint es nur ein weiterer Beweis für seine Schuld zu sein. Die Strategie läuft nach dem Motto „wo Rauch ist, ist auch Feuer“, werden nur genug Vorwürfe herbeigeschafft, wird schon irgendwas hängenbleiben.
Für Macron und seine Regierung ist dies eine willkommene Atempause. Wegen seiner arbeiterfeindlichen Kürzungspolitik (siehe zB. Funke Nr. 163) ist er mit Streikbewegungen und stetig wachsendem Unmut in der Bevölkerung konfrontiert. Seine Zustimmungsrate, bei seinem Amtsantritt schon lauwarm, ist mittlerweile auf katastrophale 26% gefallen ist. Damit ist Macron unbeliebter als Donald Trump und Theresa May. Zuletzt manifestierte sich die Krise in der Regierung durch die Rücktritte mehrerer Minister. All dies nützt Mélenchon, der von fast 50% der Menschen in Frankreich als entschlossenste oppositionelle Kraft betrachtet wird.
Das sind keine Zufälle. Die Bürgerlichen können nicht mehr stabil regieren – sie werden aufgerieben zwischen den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Krisenbewältigung und dem Zorn der Arbeiterklasse, deren Lebensstandard immer weiter angegriffen wird. Der Bewältigung dieses Spagats stehen demokratische Standards immer mehr im Weg – und zwar nicht nur in Frankreich.
Weltweit schaffen Justiz und Polizei zunehmend politische Realitäten. Das sehen wir in Brasilien, wo in jüngster Vergangenheit führende Köpfe der Arbeiterbewegung weggeputscht und ins Gefängnis gesteckt wurden, oder in Großbritannien, wo, ideologisch vorbereitet durch die panische Presse, nun Ermittlungen gegen die Labour Party (aufgrund „extremistischer Hassverbrechen“) eingeleitet wurden. Überall macht sich die herrschende Klasse den Staatsapparat zunutze, um gegen die Arbeiterbewegung loszuschlagen und zerbricht dabei die Illusion von der unabhängigen Justiz, selbst in den demokratischsten Ländern. Dieser Tatsache werden keine besorgten Apelle gerecht – nur der entschlossene Kampf.
(Funke Nr. 168 / November 2018)