Die Brexit-Zeitbombe tickt. Am 29. März 2019 soll Großbritanniens Austritt aus der EU besiegelt werden. Das Chaos spitzt sich zu – jeder der vielen Widersprüche hat das Potenzial, die Situation zu beeinflussen. Wer hier welche Interessen vertritt, erklärt Yola Kipcak.

 

Die derzeitige, konservative Tory-Premierministerin Theresa May versucht nunmehr seit zweieinhalb Jahren, die etlichen Widersprüche in ihrer Partei, im ganzen Land und zwischen der EU zu kitten – vergeblich. Die für den 11. Dezember angesetzte Abstimmung über den ausgehandelten Brexit-Deal musste sie verschieben, da sie dafür keine Mehrheit im Parlament findet. Die Tories sind gespalten zwischen Brexit-Verfechtern, die von einem mächtigen Großbritannien (GB) außerhalb der EU träumen, und Vertretern des Großkapitals, die den Brexit verhindern oder zumindest einen möglichst guten Deal für das Kapital sehen wollen. Zusätzlich setzen sie die eigene Koalitionspartei, die nordirische, rechte DUP, sowie die Labour Party (LP) unter Druck.
Als Theresa May 2017 Neuwahlen ansetzte, um mit einer größeren Mehrheit im Parlament besser agieren zu können, ging ihr Plan komplett nach hinten los. Die Tories verloren Stimmen und mussten sich in eine Koalition mit der DUP begeben, die mit ihren Eigeninteressen die Arbeit für May noch weiter verkomplizieren. Ein weiterer Schrecken für die Konservativen: Die LP unter Jeremy Corbyn gewann massiv an Stimmen dazu, indem sie mit einem Reformprogramm gegen Sparpolitik antraten – der reinste Albtraum für das Kapital. Die Angst vor Corbyn ist der einzige Grund, warum Theresa May überhaupt noch im Amt ist. Das Brexit-Chaos nähert sich dem Show-down.

Der Deal mit dem Deal

Der fast 600 Seiten umfassende Brexit-Deal ist der Versuch, den für die Kapitalisten sanftesten Austritt Großbritanniens aus der EU ab 29. März 2019 sicherzustellen. Im Wesentlichen sieht er vor, dass GB und die EU bis Dezember 2020 Zeit haben, Freihandelsabkommen u.Ä. abzuschließen. Bis 2020 sollen die gleichen Richtlinien für einen gemeinsamen Markt gelten wie bisher, sodass Unternehmen ungestört weiter Handel betreiben können. In dieser Zeit darf GB allerdings keine Handelsdeals mit Nicht-EU-Ländern ausverhandeln und hat zudem kein Stimmrecht innerhalb der EU. Der Deal erlaubt, dass die „Übergangsphase“ weiter ausgedehnt werden kann, ermöglicht also theoretisch ein „Weiterwurschteln wie bisher“.
Sollten aber keine entsprechenden neuen Abkommen abgeschlossen werden und die Übergangsphase auslaufen, gibt es den sogenannten „Backstop“. Dieser hieße, dass Nordirland weiter in der EU bleibt, aber zwischen Nordirland und GB gewisse Unterschiede in den Regelungen gelten. Dieser Backstop ist derzeit Hauptthema in den Verhandlungen, May hofft durch leichte Änderungen noch genug Stimmen für ihren Deal zusammenzubekommen. Beispielsweise ist die DUP gegen jegliche Unterschiede zwischen Nordirland und GB, außerdem wollen viele Tories, dass der Backstop nur temporär gelten kann, nicht als zeitlose „Sicherheitsmaßnahme“.

Ungewisse Zukunft

Es ist unmöglich vorherzusehen, was genau passieren wird. Selbst ein No-Deal Brexit ist nicht völlig auszuschließen. Das Großkapital und EU-Befürworter werden jedoch alles dafür tun, dies zu verhindern. Ihnen kommt dabei zugute, dass der europäische Gerichtshof nun entschieden hat, dass GB prinzipiell den EU-Austritt wieder zurückziehen könnte. Denn im Club der Kapitalisten Europas, der EU, kann derzeit keiner noch mehr Probleme gebrauchen – immerhin gibt es gerade Ärger mit Italien und ihrem Staatsbudget, eine Massenbewegung in Frankreich und eine instabile Regierung in Deutschland. No Brexit käme ihnen sehr gelegen. Zudem entschied kürzlich das britische Parlament darüber, dass es mehr Entscheidungsgewalt für das weitere Vorgehen bekommt, sollte der Deal niedergestimmt werden. EU-BefürworterInnen in allen Parteien hoffen, dass man beispielsweise mit einem zweiten Referendum den Brexit abwenden könnte. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die demokratisch für den Brexit gestimmt haben. Die Arbeiterklasse ist in der Frage des Brexit gespalten: Viele von ihnen haben für den Ausstieg aus der EU gestimmt. Seit Jahren hat diese Frage die krisengebeutelte Regierung und das Establishment im Griff. Indes haben sich die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und Jugend weiter verschlechtert. Tatsache ist, dass die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus weder innerhalb noch außerhalb der EU verbessert werden können. Reallöhne sind seit 2008 jährlich gefallen, mehr als in jedem anderen Zeitabschnitt der letzten 200 Jahre – kein Industrieland, außer Griechenland und Mexiko, sahen einen stärkeren Rückgang. Wachsende Armut, die Abhängigkeit von Lebensmittelunterstützung (Food Banks), unleistbares Wohnen, Stress und psychische Krankheiten sind zu einer Epidemie geworden.

Für eine sozialistische Labour Regierung!

Die LP unter Jeremy Corbyn steht gegen Sparmaßnahmen, für den Erhalt des Sozialstaates, Gratisbildung und für ein gutes Leben „für die Vielen, nicht die Wenigen“. Sie verspricht die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und Jugend nachhaltig zu verbessern. Die Rechten in der Labour Party werden jedoch bis hin zur Spaltung der eigenen Partei keine Mittel scheuen, Corbyn und sein Programm zu sabotieren. Wird eine Corbyn Regierung versuchen, dieses Programm umzusetzen, wird sich offen zeigen, dass weder die EU noch das gesamte britische Establishment auch nur eine kleine Abweichung von ihrem Spardiktat und den Interessen der KapitalistInnen zulassen werden. Die einzige greifbare Möglichkeit, das Brexit-Chaos im Interesse der Arbeiterklasse zu lösen, ist eine sozialistische Labour Regierung.

(Erschienen im Funke Nr. 169/Dezember 2018)


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