Der jüngste Parteitag der britischen Labour Party zeigte, dass die von Jeremy Corbyn geführte Linksbewegung immer stärker wird. Ein Bericht von Felix Feldbern.
Anfang der 1990er Jahre erschien der Siegeszug des Kapitalismus über den „Kommunismus“ als Gewissheit. Damals rückte auch die Labour Party unter ihrem smarten Parteivorsitzenden Tony Blair weit nach rechts, was sich in seinen „New Labour“-Reformen manifestierte. Einer seiner größten innerparteilichen Triumphe war die Abänderung des Artikel IV („Clause IV“) der Parteistatuten. Der originale Wortlaut stammte aus dem Jahr 1917 und wurde unter dem direkten Eindruck der russischen Oktoberrevolution ins Parteiprogramm aufgenommen. Seitdem war auf jedem Mitgliedsausweis dieses Ziel der Labour Partei abgedruckt:
„den Hand- und Kopfarbeitern die vollen Früchte ihrer Arbeit zu sichern und die möglichst gleiche Verteilung derselben, was auf der Grundlage des Gemeineigentums an den Produktions- und Distributionsmitteln möglich ist, und das bestmögliche System der Volksverwaltung und –kontrolle einer jeden Industrie und eines jeden Dienstleistungsbereiches.“
Wofür steht Labour?
Dieser kurze Absatz, mit dem sich die Labour Party zum Sozialismus und zur Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden bekannte, war dem rechten Parteiflügel schon seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge.
Bereits 1959 wurde der erste Versuch unternommen, diese Formulierung abzuändern, doch erst Tony Blair gelang es 1995, aus dem Clause IV das Ziel der Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu streichen und ein vollständiges Bekenntnis zur kapitalistischen Marktwirtschaft durchzusetzen. Die Blairisten verfolgten damit das Ziel einer Umwandlung von Labour in eine liberale Partei.
Jedoch hat sich das Rad der Geschichte in den letzten 25 Jahren weitergedreht, und der Kapitalismus hat gezeigt, dass er weder Kriege, Krisen, Arbeitslosigkeit noch den Klimawandel stoppen, ja wie Millionen von britischen ArbeiterInnen wissen, nicht mal ein halbwegs würdevolles Leben ermöglichen kann. Die Wahl Jeremy Corbyns zum Parteivorsitzenden ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Vor zwei Jahren präsentierte Corbyn das radikalste Wahlkampfmanifest seit den 1950ern, in dem er sich u.a. für die Verstaatlichung der Eisenbahnen und der Wasser- und Energieversorgung aussprach. Trotz des Linksrucks der letzten Jahre darf aber nicht übersehen werden, dass noch zahlreiche KarrieristInnen aus den Blair-Tagen in der Partei Führungspositionen bekleiden und nur auf die passende Gelegenheit warten, um Corbyn in den Rücken zu fallen. Die Abspaltung von sieben Labour-ParlamentarierInnen im Februar dieses Jahrs hat gezeigt, wozu die Blairites fähig sind, wenn sie ihre Karrieren in Gefahr sehen.
Kampagne für Clause IV
Unter diesen Umständen haben die GenossInnen unserer Schwesterzeitung Socialist Appeal die Gelegenheit ergriffen und eine Kampagne zur Wiederherstellung der Clause IV in ihrer ursprünglichen Fassung von 1917 gestartet. Diese Initiative hat in den vergangenen Wochen große Wellen geschlagen und im ganzen Land ein starkes Echo gefunden. Sogar John McDonnell, Corbyns designierter Finanzminister, sprach sich offen für eine Politik auf der Grundlage des Clause IV aus.
Bei der Labour-Party-Konferenz in Brighton erhielt der Antrag die Zustimmung von 62% (!) der Delegierten aus den Bezirksparteien, was zum Ausdruck bringt, wie weit der Linksruck in der Parteibasis bereits geht. Durch die Stimmen der Gewerkschaften wurde jedoch verhindert, dass der Antrag schlussendlich eine Mehrheit fand. Dies spiegelt allerdings noch nicht die wahren Kräfteverhältnisse wider. In der Labour Party stimmen die mächtigen Gewerkschaftsdelegierten „en Bloc“ für die gesamte Mitgliedschaft ihrer jeweiligen Teilgewerkschaften. Doch einige Gewerkschaften (Post, Bäcker und Fast Food) unterstützen die Kampagne „Labour4Clause4“.
Auf alle Fälle ist es unseren britischen GenossInnen gelungen, sozialistische Ideen wieder in der britischen Arbeiterbewegung zu verankern. Nach Wochen und Monaten parlamentarischen Gerangels um den Brexit bot die Debatte um Clause IV endlich wieder die Möglichkeit, die Interessen der breiten Massen der Bevölkerung zu artikulieren, was sich auch in weiteren Reden und Resolutionen widerspiegelte – so wurden beispielsweise die 32-Stunden-Woche, ein Nationales Pflegesystem analog zum NHS und eine Ausweitung des öffentlichen Eigentums als Ziele formuliert. Corbyn beschrieb es treffend: „Unsere Partei muss für die 99%, nicht für die 52% oder 48%, da sein!“ und setzte damit die Klassenfrage, im Gegensatz zum Brexit, in den Mittelpunkt.
In den kommenden Klassenkämpfen und vor allem mit einem möglichen Wahlsieg von Corbyn wird sich die Frage der Umsetzung einer sozialistischen Politik und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ganz konkret stellen. Die Kampagne ist ein wichtiger Beitrag, die britische Arbeiterbewegung auf diese Auseinandersetzungen vorzubereiten.
(Funke Nr. 177/1.10.2019)