Nach dem Zusammenbruch der italienischen Regierung im August hat sich eine neue Regierung aus 5-Sterne-Bewegung (M5S) und der Demokratischen Partei (PD) gebildet. Von Laura Höllhumer.
Ausgelöst wurde die Regierungskrise durch Matteo Salvini, damals Innenminister und Vizepremier, der, von guten Umfrageergebnissen getragen, in einem Moment der Selbstüberschätzung die alte Regierungskoalition aus M5S und seiner rechtsextremen Lega auflöste. Er erhoffte sich dadurch einen Sieg bei Neuwahlen, doch seine Rechnung ging nicht auf. Dies war jedoch nur der Auslöser für das Zerbrechen der Koalition – der wahre Grund für ihr Scheitern liegt in den zugrundeliegenden widersprüchlichen Interessen, die seit Monaten schwelen und sich in den letzten Wochen an verschiedenen Stellen entladen haben (bspw. Steuerreform, Haltung zur EU oder Infrastrukturprojekte wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon).
Unter dem Drängen des Kapitals, das in Italien wie auch international stabile Regierungen benötigt, koalieren nun die M5S und die PD, eine bürgerlich-liberale Partei mit pro-europäischer Ausrichtung, die die Interessen des Groß- und Finanzkapitals vertritt. Der vielleicht einzige einende Faktor dieser bis vor wenigen Wochen noch verfeindeten Parteien: Regierungsfähigkeit zum Wohle des Landes, d.h. im Sinne der kapitalistischen Klasse. Die Instabilität, vor der sich die Bourgeoisie in Zeiten immer akuter werdender Krisenerscheinungen des Kapitalismus so fürchtet, lauert allerdings auch in dieser widersprüchlichen Koalition. Der Wandel der kleinbürgerlichen 5-Sterne-Bewegung von der Anti-Establishment-Partei zur „Partei der Stabilität“ (Di Maio) löste Konflikte in deren Reihen aus. Währenddessen gab es schon 12 Tage nach der Regierungsangelobung eine Spaltung innerhalb der PD. Der ehem. Parteichef & Ex-Premier Matteo Renzi gründete mit etwa 40 Abgeordneten die Partei Italia Viva, welche die Koalitionsregierung mitunterstützt – noch.
Nach Monaten der rassistischen Hetze und repressiven Politik unter Salvini herrscht auch unter vielen linken ArbeiterInnen und Jugendlichen Erleichterung über das Ende der alten Regierung vor. Die Hoffnung, die neue Koalition könnte die Position Salvinis und der reaktionär-kleinbürgerlichen Lega schwächen, wird sich allerdings als Illusion herausstellen. Im Gegenteil: Zurzeit deutet alles auf einen Erdrutschsieg der Lega bei den nächsten Wahlen hin. Während die aktuelle Regierung unter Premier Conte eine Politik umsetzen wird, die weitere Verschlechterungen im Lebensstandard der Massen bedeutet, wird Salvini seine Position mit demagogischer Rhetorik stärken.
Es ist ein Fehler, diese Regierung als progressiv oder gar als links darzustellen, wie das in Italien viele „Linksintellektuelle“ tun. Das Regierungsprogramm verspricht zwar Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, wie einen Mindestlohn, allerdings nur unter der Prämisse, dass diese den Staatshaushalt nicht belasten. Das bedeutet, diese Versprechen sind nichts als heiße Luft. Auch in der Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen steht keine Abkehr vom bisherigen Kurs der Repression und Ausbeutung bevor.
Die einzige linke Kraft in Italiens Parlament, Liberi e Ugali, unterlässt es, den Kampf gegen diese Regierung zu führen und akzeptiert sie als „geringeres Übel“. Diese Position teilt sie mit der Gewerkschaftsführung, die nun doch auf eigenständige Mobilisierungen z.B. für bessere Kollektivverträge verzichtet, wodurch die Arbeiterklasse in der Defensive gehalten wird. Das meistgenannte Argument für diese Selbstaufgabe der Linken vor der Bourgeoisie lautet: Es gibt keine Alternative. Das stimmt nicht, der verengte Blick auf Politik im Parlament und das Unverständnis für die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Klassenkampf treiben sie zu dieser falschen Schlussfolgerung. Die massenhafte Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf um ihre Interessen bietet den einzigen Weg vorwärts im krisengebeutelten Italien. Fridays for Future und die antirassistische Bewegung sind erste Schritte in diese Richtung, an die es anzuknüpfen gilt. Um diese Kämpfe erfolgreich zu führen, ist eine Arbeiterpartei mit unabhängigem, sozialistischem Programm unerlässlich, die in der italienischen Politik heute völlig fehlt.
(Funke Nr. 177/1.10.2019)