Die Inhaftierung des kommunistischen Rappers Pablo Hasél in Katalonien/Spanien hat eine neue Welle spontaner Massenbewegungen in ganz Spanien hervorgerufen. Die brutale Staatsrepression und der heftige Widerstand der Jugend stellen die Spitze eines weltweiten Prozesses dar. Von Moritz Hübler.
Die ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse führt weltweit zu Protesten und die Bürgerlichen reagieren zunehmend aggressiv auf jede Form von Widerstand. Polizeirepression gehört mittlerweile auch in demokratischen Staaten zur Norm. In Spanien ist diese Zuspitzung besonders stark ausgeprägt. Speziell für die Jugend ist die soziale Lage extrem prekär: 40% der Jugendlichen sind arbeitslos, nirgends sonst in der EU ist die Jugendarbeitslosigkeit höher. Gleichzeitig ist der Staatsapparat besonders reaktionär, durchzogen von institutionellen, persönlichen und politischen Kontinuitäten mit dem faschistischen Franco-Regime.
1978 transformierte sich das faschistische Regime unter der Führung des Bourbonen-Königs Juan Carlos unter dem Druck der revolutionären Massenbewegung zögerlich in eine Demokratie. Daher bezeichnen viele Jugendliche und linke AktivistInnen ihr Land und seine Institutionen als das „78er Regime“, ein Kompromiss mit dem Kapital, der sich für die Arbeiterklasse und die nicht-spanischen Nationen (Katalanen, Basken, Galizier) als Enttäuschung entpuppte.
Die Verhaftung des kommunistischen Rappers Pablo Hasél am 16. Februar legte ein neues Streichholz an das Pulverfass. Eine Welle von Massenprotesten breitete sich von Katalonien über ganz Spanien aus. In hunderten Städten und auch Dörfern wurde Nacht für Nacht demonstriert. Hasél wurde bereits im März 2018 wegen Beleidigungen gegen den oben genannten (Ex-)König Juan Carlos (der inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen im Exil ist) und des Aufrufs zur Gewalt zu zwei Jahren Haft verurteilt. Diese Haftstrafe sollte er im Februar dieses Jahres antreten.
Juan Carlos 2013 (fotoIrekia; CC-BY-2.0)
Repressalien gegen KünstlerInnen sind dabei in Spanien seit dem Aufschwung von Massenbewegungen im letzten Krisenjahrzehnt nichts Ungewöhnliches: Laut des Berichts „The State of Artistic Freedom 2020“ ist Spanien weltweiter Spitzenreiter bei Verfolgung systemkritischer KünstlerInnen, insgesamt 16 derartige Verurteilungen liegen aktuell vor. Im Jahr 2017 floh der linke, katalonische Rapper Valtònyc nach fünfjähriger staatlicher Verfolgung ins Exil nach Belgien, um einer dreijährigen Haftstrafe (für dieselben Delikte wie Hasél) zu entgehen. Hasél aber weigerte sich, sein Land zu verlassen und die Geldstrafen von 40.000€ zu bezahlen. Stattdessen verbarrikadierte er sich mit UnterstützerInnen in der Universität seiner Heimatstadt Lleida. Noch während seiner Festnahme rief Hasél dazu auf, sich nicht von der Repression unterkriegen zu lassen und sich zu organisieren. Tatsächlich wartete die Polizei extra mit dem Vollzug der Haftstrafe bis nach den katalanischen Lokalwahlen, um eine linke Mobilisierung zu vermeiden.
Die Polizei ist v.a. unter Jugendlichen verhasst, weil sie von den Herrschenden oft für soziale (etwa brutale Delogierungen) und politische Unterdrückung eingesetzt wird. Zudem stellen viele PolizistInnen, insbesondere in den Spezialeinheiten, ihre rechte, rassistische, frauenfeindliche und faschistische Gesinnung offen zur Schau. Viele der Uniformierten leisten ihren Dienst für die Reichen also gerne. Die größte Gewerkschaft unter PolizistInnen ist mit der neuen rechtsextremen Partei Vox verbunden.
Zuletzt prügelte die Polizei für Aufmärsche von Vox die Straße frei, während linke Demonstrationen direkt von der Polizei angegriffen oder mit Verweis auf Maßnahmen zur Eingrenzung der Corona-Pandemie verboten wurden. So durfte am Wochenende vor der Festnahme Haséls in Madrid eine Neo-Nazi Demo in Gedenken an die División Azul (ein Korps von spanischen Nazis die im Zweiten Weltkrieg im Krieg gegen die Sowjetunion kämpften) unter Polizeischutz stattfinden, während am gleichen Tag die konservative Stadtverwaltung eine linke Demo gegen Einsparungen im Gesundheitsbereich verbot.
Gentada a Barcelona a la mani #LlibertatPabloHasel pic.twitter.com/5S0LBeKfQE
— Jorge Martin (@marxistJorge) February 16, 2021
„Die Polizisten die damals unter Franco Leute ins Gefängnis sperrten, machen das jetzt als Richter im Nazi-onalen Gericht” – Hasél
Auch das Justizsystem hat eine klare Klassenzugehörigkeit. In Spanien gibt es zudem einen politischen Gerichtshof namens „Audiencia Nacional“, der 1977 direkt aus dem „Gericht für öffentliche Ordnung” (TOP), dem Rechtsorgan für politische Repression und Verfolgung der Franco-Diktatur, hervorgegangen ist. An diesem Gerichtshof wurde Hasél verurteilt und die zuständige Richterin ist eine rabiate Exponentin der reaktionären Volkspartei (PP), die die Nachfolgepartei des Franco-Regimes ist.
Der Klassencharakter des Rechtssystems sowie die Gewalt der Exekutive gegen soziale Proteste werden in liberalen Medien oder von ReformistInnen gern als negative Ausnahmen von der demokratischen Regeloftmals wörtlich als „strukturelles Problem”, dargestellt. Dieselbe Argumentation haben wir auch schon bei den Black-Lives-Matter-Protesten in den USA, bei den aktuellen Protesten in Frankreich oder auch den heftigen Corona-Strafen gegen Jugendliche in Österreich gehört.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Aus Sicht der bürgerlichen Klasse ist das Buckeln für die Reichen und Mächtigen und das Treten auf die Schwachen kein Problem, sondern im Gegenteil der Sinn des Staatsapparates: Wenn ein Gericht eine 98-jährige Frau wegen Mietschulden aus ihrer Wohnung delogiert, die Polizei diese Zwangsräumung exekutiert, und die gleichen Gerichte nichts gegen die Korruption im Staatsapparat unternehmen und KünstlerInnen wie Hasél, die dies anklagen, verurteilen, erfüllen Justiz und Gerichte damit ihre Funktion im Dienste der Herrschenden.
Um ihre eigenen Interessen der Mehrheit der Gesellschaft aufzuzwingen, den Status quo aufrecht zu erhalten und um das bürgerliche Eigentumsrecht zu schützen, benötigt die herrschende Klasse in letzter Konsequenz den Staat und sein Gewaltmonopol. Friedrich Engels bezeichnete den Staat deshalb auch als „eine besondere Formation bewaffneter Menschen zum Schutze des privaten Eigentums”.
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— Jorge Martin (@marxistJorge) February 16, 2021
Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die zunehmend exzessive Gewalt von Seiten des Staates ein Zeichen von Schwäche und schwindendem Rückhalt in der Bevölkerung ist. Seit der Wirtschaftskrise von 2008 sehen sich die Herrschenden mit immer mehr Massenbewegungen konfrontiert. Die Bürgerlichen aber haben keine Antwort auf die Krise, sie können sie nicht lösen.
Alles was sie tun können, ist ihre eigenen materiellen Privilegien zu verteidigen. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Medien, die oft von der „Gewalttätigkeit der Demonstranten“ aber nur selten über die strukturelle Gewalt des Kapitalismus an Menschen und der Natur schreiben. Dementsprechend muss auch an denen, die sich auf die Straße trauen, ein warnendes Exempel statuiert werden. Dass DemonstrantInnen in Frankreich oder Spanien Gliedmaßen oder Augen verlieren, ist eine Normalität geworden, welche mit einer starken Aufrüstung des Polizeiapparats einhergeht. Verhindert werden soll allein die Dokumentation dieser Polizeigewalt durch Handyvideos, in Frankreich hat der liberale Präsident Macron dazu gerade ein Gesetz eingebracht.
Spontanität und Arbeiterklasse
Die große Mehrheit der DemonstrantInnen, die tagelang ununterbrochen auf die Straßen gingen, demonstrierten nicht nur für die Freiheit von Pablo Hasél, sondern fordern auch eine generelle Verbesserung ihres Lebens. Immer größere Schichten in der Bevölkerung ziehen allgemeine Schlüsse über den Kapitalismus und sind offen für eine revolutionäre Lösung der Probleme.
Die Herrschenden nehmen diese verbreitete Stimmung wahr und versuchen daher die Proteste und die Anzahl der TeilnehmerInnen durch Propaganda und Repression kleinzuhalten. Besondere Angst haben die Herrschenden davor, dass Proteste einen politisch allgemeineren Charakter bekommen und in die Betriebe überspringen. Manche AktivistInnen geben diesem Druck nach, indem sie penibel darauf schauen, dass „ihr“ Protest isoliert bleibt, weil sie sich davon bessere Chancen für ihr wichtigstes Anliegen erwarten. Sie sagen dann: „Wir demonstrieren hier NUR für den Klimaschutz, NUR für die Lernenden einer Einrichtung, NUR gegen die Abschiebung dieser einen Familie, etc.“.
In der Hasél-Bewegung haben sich in zumindest zwei Städten (Lleida und Girona) Komitees gebildet, die offensiv den gegenteiligen Weg gehen: Sie organisierten Versammlungen, um möglichst viele Initiativen in den Protest einzubinden. Dies ist der Weg nach vorne, denn: „Freiheit für Hasél“ bedeutet Freiheit von aller Unterdrückung und Ausbeutung!
(Funke Nr. 192/17.3.2021)