Lange hat die CDU/CSU als stabilste konservative Partei Europas gegolten. Doch der offen ausgetragene Kampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) hat gezeigt, dass dieser zentrale Pfeiler des deutschen Kapitalismus von tiefen Rissen zerfurcht ist. Laschet hat sich durchgesetzt, doch die Stabilität ist dahin. Von Alexander Kalabekow, Funke Deutschland.

Dieses Jahr endet eine Ära, wenn Angela Merkel im September nach 16 Jahren ihr Amt als Bundeskanzlerin niederlegt. Sie sollte als Kanzlerin der Stabilität – als strenge, aber kümmernde „Mutti“ – in die Geschichtsbücher eingehen, doch auf den letzten Metern bröckelt die Fassade. Sie hinterlässt ihren Aspiranten auf das Kanzleramt ein krisengebeuteltes System und eine Partei, die auf allen Ebenen gespalten ist.

Krise der konservativen Parteien

Die Krise der CDU/CSU hatte mit der Flüchtlingskrise an Fahrt aufgenommen. Ab 2015 fuhr sie herbe Einbrüche bei den Landtagswahlen und auch bei der letzten Bundestagswahl ein. Zu Beginn vor allem auf Kosten der Alternative für Deutschland (AfD). Wichtige konservative Teile der traditionellen Wählerschaft wendeten sich von ihr ab und der demagogischen, sozialchauvinistischen und rassistischen AfD zu. Ab 2018 und insbesondere mit den Fridays for Future Protesten verlor die CDU zusätzlich an die Grünen. Ein vergleichbarer Prozess fand auch mit der bayrischen Schwesterpartei CSU statt.

Dieser Prozess der Polarisierung und Politisierung immer breiterer Schichten führt dazu, dass die traditionellen Parteien zunehmend einbrechen, weil sie keine Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme anzubieten haben. Im Gegenteil, sie sind Teil des Problems und deshalb suchen immer mehr Leute nach Alternativen.

Die Krise, in der die CDU/CSU steckt, ist ein Ausdruck der generellen Krise der bürgerlichen Demokratie. Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise und deshalb können die bürgerlichen Parteien überall keine substanziellen Zugeständnisse mehr an die Arbeiterklasse und an das Kleinbürgertum machen. Stattdessen setzten sie auf Austerität, Sozialabbau, Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, Sozialwohnungen und so weiter. Gleichzeitig subventionieren sie Unternehmen, während diese Standorte schließen und Arbeitsplätze abbauen oder vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse ausbauen.

Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere die Automobilindustrie steckte bereits 2019 in einer tiefen Überproduktionskrise. Die Corona-Pandemie spitzte diese jedoch enorm zu, vertiefte sie und breitete sie über die gesamte Wirtschaft aus. Zu Beginn der Pandemie und der Wirtschaftskrise konnte die CDU durch das Kurzarbeitergeld und verschiedene Auffangprogramme für kleine Unternehmen ihren Rückhalt im letzten Jahr vorläufig festigen. In den Umfragen stieg die CDU von 26 Prozent Ende des Jahres 2019 auf 40 Prozent im Frühsommer 2020. Die CDU/CSU geführte Regierung, mit Angela Merkel an der Spitze, erschien für breite Schichten als verlässliche Krisenmanagerin.

Diesen Vertrauensvorschuss verspielte sie aber im Zuge der zweiten Welle. Selbst in der dritten Welle gilt der Lockdown hauptsächlich für das Privatleben, während in den Unternehmen weitergearbeitet wird. An den Bildungseinrichtungen herrscht immer noch Chaos. Die Impfkampagne kommt erst jetzt wirklich ins Laufen. Dazu kommen die Skandale bei Maskendeals in den Reihen der CDU und CSU. All das erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit.

Führungskrise der CDU

So begann der Sinkflug der CDU/CSU in den Meinungsumfragen. Ende März dieses Jahres erreichte sie wieder 26 Prozent, während die Grünen sie langsam einzuholen schienen. Deshalb hielt sich Armin Laschet, der am 22. Januar 2020 zum neuen Bundesvorsitzenden der CDU gekürt wurde, lange bedeckt, ob er Kanzlerkandidat werden würde. Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden wäre das sein natürliches Recht gewesen.

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfallen löste seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer ab, die nach nur einem Jahr im Amt der Bundesvorsitzenden abdanken musste. Nach der Regierungskrise im Februar 2020 in Thüringen, bei der Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen von AfD, CDU und FDP gewählt wurde, war ihr Ende besiegelt. Sie hatte nicht die nötige Autorität in der Partei, verfügt über kein Charisma und konnte sich nicht aus Merkels Schatten lösen.

Armin Laschet

Bei der Wahl zum neuen CDU-Bundesvorsitzenden konnte sich Armin Laschet im Januar 2021 gegen Friedrich Merz durchsetzen. Dieser war von 2016 bis 2020 in Deutschland Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist für den weltweit größten Vermögensverwalter BlackRock. Wie Annegret Kramp-Karrenbauer kommt Laschet aus dem Merkel-Lager, auch er steht wie gehabt hauptsächlich für ein weiter so.

Seine Amtszeit begann mit zwei herben Niederlagen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Dort fuhr die CDU ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der BRD ein. In der öffentlichen Wahrnehmung der Pandemiebekämpfung wirkte Laschet als schwankend, da er sein Handeln im Sinne der Bourgeoisie und Unternehmen nicht gut verschleiern konnte. Im Unterschied dazu inszenierte sich Söder als vorantreibender Krisenmanager und verschleierte dadurch geschickt, dass in Bayern regelmäßig die höchsten Inzidenzwerte verzeichnet wurden und dass er häufig entgegen den Regierungsbeschlüssen handelte.

Die Frage des Kanzlerkandidaten war daher nicht sofort und eindeutig auf den Vorsitzenden der größeren Schwesterpartei gefallen. Nicht zuletzt wird es daran gelegen haben, dass Laschet aktuell einer der unbeliebtesten Politiker ist.

Markus Söder laviert sich an die Spitze

In einer Civey-Umfrage von Ende März gaben nur 10,3 Prozent der Befragten an, dass eine Kanzlerkandidatur von Armin Laschet ein Grund für sie sei, die CDU/CSU in der kommenden Bundestagswahl zu wählen. Dagegen sahen 53,3 Prozent Söder als einen Grund an. In derselben Umfrage attestierten 53,5 Prozent, dass sie Söder zutrauen, „das Land aus der Corona-Krise zu führen“, wohingegen Armin Laschet nur bei 5,9 Prozent dieses Vertrauen besaß. Andere Umfragen haben ähnliche Ergebnisse zu Tage befördert.

Der Bayrische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU, Markus Söder, hatte einen enormen Höhenflug in den Umfragen hingelegt. Vor allem, weil er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz während der ersten Welle der Pandemie stets neben der Bundeskanzlerin auftrat und in Worten ihre Entscheidungen mittrug, sogar meist als Hardliner auftrat. Regelmäßig setzte er sich als derjenige in Szene, der Entscheidungen der Ministerkonferenzen maßgeblich bestimmt habe und diese stets auch als Erster in Bayern umgesetzt habe. Dabei handelte er häufig entgegen seinen öffentlichen Inszenierungen und sprach von der Notwendigkeit strengere Maßnahmen umsetzen zu müssen, während er gleichzeitig Lockerungen durchführte. Im Unterschied zu Laschet wurden seine Schwankungen nie von der Presse aufgeblasen und gegen ihn genutzt.

Ein Wendepunkt

Am 11. April warf Markus Söder seinen Hut in den Ring. Er sei bereit Kanzler zu werden und seine „Verantwortung für das Land“ zu übernehmen. Völlig überraschend kam diese Entscheidung nicht. Ab Mitte letzen Jahres begannen die ersten Spekulationen in den Zeitungen und Talkshows darüber, ob Söder diese Ambitionen habe. Er selbst hielt sich bedeckt und spielte immer wieder dieselbe Tonspur ab: „Sein Platz sei in Bayern.“ Wirklich glaubwürdig war das nicht. Vor allem je näher die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten heranrückte.

Es folgte eine Woche, in der der vorher latente Machtkampf zwischen Söder und Laschet vollständig zu einem Bürgerkrieg zwischen der CDU und CSU sowie innerhalb der CDU ausartete. Am 12. April stellte sich das CDU-Präsidium relativ geschlossen hinter Armin Laschet. Eigentlich wäre damit alles entschieden gewesen. Aber Söder nutzte die Gunst seiner guten Umfragewerte und meinte, man müsse erst einmal in die Basis „hineinhorchen“, statt Entscheidungen in Gesprächen im „Hinterzimmer“ zu treffen.

Bürgerkrieg in der CDU

Söders Kalkül ging auf. Bei der Sitzung der Bundestagsfraktion am nächsten Tag folgte ein gründlich von der CSU vorbereiteter Showdown. Laschet wurde vor der Fraktion vor allem von CSU-Abgeordneten demontiert. Aber auch einige CDUler haben sich dazu verleiten lassen, sich gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden zu positionieren.

Daraufhin folgten jede Menge Anrufe und Mails, an die CDU-Verbände auf allen Ebenen. Eine Welle der Entrüstung ging durch die Basis. Je älter die Woche wurde, desto deutlicher zeigte sich, dass ein erheblicher Teil der CDU-Basis gegen den eigenen Parteivorsitzenden in Stellung ging. Nach und nach fielen dann auch führende Politiker der CDU um, so z.B. Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Er stellte sich hinter Söder, von dem er sich mehr Zugkraft in der Landtagswahl in seinem Bundesland am 06. Juni erhoffte. Auch in der Jungen-Union, der Jugendorganisation der CDU/CSU kippt die Stimmung deutlich Richtung Söder. Am Sonntag, den 18. April, veröffentlichte der Jugendverband ein Statement, wonach 14 Landesverbände der JU hinter Söder stehen würden. In den Tagen davor bekämpften sich CDU und CSU-Politiker gegenseitig in Talkshows.

Söder hatte alles notwendige erreicht. Er demonstrierte seine Macht, holte sich die notwendige Unterstützung über alle Ebenen der CDU hinweg. Dann legte er die vollständige Verantwortung für die Wahl des Kandidaten in die Hände des CDU-Vorstandes und sicherte nochmals zu, dass er sich der Entscheidung ganz ohne „Groll“ unterordnen würde. Geglaubt hat das zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich niemand mehr. Doch er konnte sich zurücklehnen und jede Entscheidung, als Sieg für sich deklarieren.

Ein Pyrrhussieg

Laschet wurde während einer langen Sitzung des CDU-Bundesvorstandes in der Nacht zum 20. April, zum Kanzlerkandidaten der Union gewählt. Er hatte wichtige Persönlichkeiten und Parteivereinigungen wie die Mittelstandsvereinigung hinter sich. Die wichtigen Kapitalverbände BDA und BDI waren auf seiner Seite, wenn sie auch nicht öffentlich Stellung bezogen. Söder ließ sich aber noch bis zum Mittag des Dienstags Zeit, um das Ergebnis offiziell bei einer Pressekonferenz anzuerkennen. Dabei streute er nochmals Salz in die Wunden und bedankte sich für die große Unterstützung, bei all denen, die ihm, dem Kandidaten der „Zukunft“ und des „Aufbruchs“, ihr Vertrauen ausgesprochen hätten.

Jetzt kann sich Söder nach Bayern zurückziehen und ist der eigentliche Sieger. Wenn Laschet Kanzler wird, wird Söder darauf pochen, dass es an seiner eigenen Popularität und Unterstützung durch ihn und die CSU gelegen hätte. Er wird darauf drängen, der CSU entscheidende Ministerien zuzuordnen. Wenn Laschet und CDU/CSU bei der Bundestagswahl im September verlieren, dann wird Söder den Finger tief in die Wunde drücken und behaupte, dass er alle gewarnt hätte.

Ein Richtungsstreit

Der Kampf um die Kanzlerkandidatur und die Diskussion über die Beliebtheitswerte der beiden Kontrahenten drückt einen tiefen Richtungsstreit in der CDU/CSU aus. Weil diese sogenannte Volkspartei oder Partei der bürgerlichen Mitte, kaum Zugeständnisse mehr machen kann und die Lebensverhältnisse der Massen seit den 90er Jahren immer mehr stagnieren und für viele sogar lange schon sinken, können sie nicht mehr weiterregieren wie bisher.

Dieses Regieren im Stillen, ohne aufzufallen, ohne sich von öffentlichen Stimmungen besonders treiben zu lassen, dafür steht Armin Laschet. Das wird in der Krise nicht mehr möglich sein. Söder steht für einen anderen Kurs, den der Demagogie und Inszenierung. Er steht dafür, die Stimmungen der Massen demagogisch auszunutzen, um die eigene Popularität und die der Regierung zu sichern. Diesen Weg einzuschlagen bedeutet, dass die Regierung und vor allem die Führungspersonen in den Mittelpunkt rücken. Ein ähnlicher Prozess ist in der ÖVP in Österreich mit der Ausrichtung der gesamten Partei auf ihren Vorsitzenden, Sebastian Kurz geschehen. Solche Regierungen werden instabil und für das Kapital unzuverlässig, auch wenn sie weiter dessen Interessen vertreten.

Ohne Demagogie werden die etablierten bürgerlichen Parteien und die kommenden Regierungen nicht mehr auskommen, denn wenn keine Verbesserung der materiellen Lebenslage der Massen möglich ist, dann müssen die Massen ideologisch beherrscht werden. Aber wie das Sprichwort besagt: „Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.“ Auch Laschet wird zwangsläufig darauf setzten müssen und dass er das kann, hat er bereits letztes Jahr in Aachen vor dem Continental Werk gezeigt, als er den „eiskalten Kapitalismus“ anprangerte. Söder hätte diesen Prozess jedoch enorm beschleunigt.

Die nächste Regierung

Vor allem wird die CDU/CSU bis zur Wahl die Pandemie in den Griff bekommen müssen, wenn sie die Kanzlerschaft verteidigen will. Beides ist aber noch längst nicht ausgemacht. So oder so, die Krise der CDU wird weiter gehen und schneller voranschreiten.

Egal wer am Ende die Wahl gewinnt, ob CDU oder Grüne, die nächste Regierung wird eine Regierung der Krise. Irgendwann wird sie die Kurzarbeitergeldregelungen aufheben müssen, was vielen den Job kosten wird. Die Pleitewellen kleiner Unternehmen werden kommen. Die Regierung wird sehr bald zur Schwarzen Null zurückkehren müssen, um die Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Die einzige Möglichkeit, die der herrschenden Klasse und ihren politischen Vertretern bleibt, mit der Krise im Kapitalismus umzugehen, werden weitere Sparmaßnahmen, die Anhebung des Rentenalters und andere Formen des Sozialabbaus sein.

Das wird unweigerlich die Arbeiterklasse in Bewegung setzen. Die Gewerkschaften und die LINKE müssen nun endlich aus dem Dornröschenschlaf erwachen und den Kampf gegen das Kapital und die Krisenregierungen organisieren.


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