Russland steuert auf turbulente Zeiten zu. Auf Dauer wird das Regime von Wladimir Putin mit Polizeirepression gegen die wachsende Unruhe in der Gesellschaft nicht ankommen. Angesichts der zunehmenden Proteste gegen die Regierung, stellt sich immer dringlicher die Frage nach der Rolle der Kommunistischen Partei als größte linke Oppositionskraft.
Die globale Wirtschaftskrise macht auch vor Russland nicht Halt und resultiert in zunehmender Armut breiter Bevölkerungsschichten. In den letzten Monaten sahen wir rund um die Verhaftung des Oppositionsführers Nawalny eine Reihe von großen Protestaktionen, auf die das bonapartistische[1] Putin-Regime mit Repression und Massenverhaftungen antwortete. Es ist dennoch offensichtlich, dass in Russland die Bedingungen heranreifen, unter denen kommunistische Ideen wieder Massenunterstützung bekommen können. Das Wirtschaftsprogramm der liberalen Opposition würde die soziale Lage für die Massen weiter verschärfen. Damit stellt sich die Frage der Perspektiven für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), ist die KPRF doch bei weitem die stärkste politische Kraft auf der Linken.
Anstatt mit voller Kraft Opposition gegen das Putin-Regime zu betreiben, gibt die KP-Führung rund um Gennady Sjuganow am liebsten den Politberater für Putin, während der Parteiapparat vor allem damit beschäftigt ist, parteiinterne KritikerInnen zu bekämpfen. In Moskau wurden zwei linke Abgeordnete ausgeschlossen, in Perm wurde sowohl in der Stadtpartei wie auch im Komsomol (Nachwuchsorganisation der KP Russlands), der Kommunistischen Jugend, ein Putsch organisiert und die Adlaten des rechten Flügels in Führungspositionen gehievt. Am letzten Parteitag im April wurde das ZK der Partei von jeder Opposition gesäubert und die Macht des zentralen Apparates gegenüber lokalen Parteiorganisationen, Kandidaturen und Mitgliedern gestärkt, um die Partei besser unter Kontrolle der Führung zu halten.
Die Ursachen der Krise
Dieser krisenhafte Zustand der KPRF ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrelangen Politik der Parteiführung. Im Grunde ist dies alles darauf zurückzuführen, dass die KPRF seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor nunmehr drei Jahrzehnten nie die eigene widerspruchsvolle Geschichte aufgearbeitet hat.
Das Erbe der bürokratischen Degeneration ab den 1920er Jahren unter Stalin wirkt so bis heute nach und ist der Schlüssel für das Verständnis der gegenwärtigen Probleme der kommunistischen Bewegung in Russland.
Mit dem Ende der Sowjetunion war der Großteil der ehemaligen Staatspartei ins Lager der kapitalistischen Restauration gewechselt. Man könnte meinen, an diesem Epochenumbruch habe sich der Spreu vom Weizen getrennt. Doch in der kommunistischen Partei blieben weiterhin Kräfte dominant, die weniger für die Ideen der Oktoberrevolution von 1917 als vielmehr für eine Kontinuität bürokratischer Degeneration und stalinistischer Dogmen standen. Das Scheitern der Sowjetunion wurde oft mit kruden, nicht selten auch antisemitisch angehauchten, Verschwörungstheorien erklärt. Eine ernsthafte, historisch-materialistische Analyse der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen, die zum Zusammenbruch führten, blieb jedoch aus.
In der KPRF vereinten sich verschiedene ideologische Gruppierungen aus der ehemaligen Parteibürokratie. Viele von ihnen hatten ursprünglich die Perestrojka unter Gorbatschow unterstützt, gingen aber letztlich nicht so weit, offen eine kapitalistische Restauration zu befürworten. Der Restaurationsprozess und die Konsolidierung des bürgerlichen Regimes wurden allerdings widerstandslos hingenommen. Unter dem neuen Parteivorsitzenden Gennady Sjuganow wurde die Teilnahme an Wahlen und die Durchsetzung sozialer Reformen zur obersten Priorität erhoben. Nicht einmal, als die KPRF 1996 die Wahlen gewonnen hat, ihr der Wahlsieg aber durch Wahlfälschung gestohlen wurde, leistete sie Widerstand. Das bedeutete einen heftigen Rückschlag für die kommunistische Bewegung, die sich nach dem Ende der Sowjetunion neu formiert hatte. Die Basis war dadurch stark demoralisiert, was es der Bürokratie umso leichter machte ihre Position zu konsolidieren. Eine demokratische Kultur konnte sich in der Partei daher nie entwickeln. Korruption florierte dafür umso mehr.
Mit den von bolschewistischen Methoden des Parteiaufbaus hatte die KPRF nichts gemein. Je mehr sich die KPRF mit der neuen Bourgeoisie ins Bett legte, desto spürbarer wurde der Niedergang der Partei, der in einer Reihe von ungustiösen Phänomenen seinen Ausdruck findet:
- Die Einflussnahme von Businessmännern auf die Parteispitze wird immer offensichtlicher;
- Die Wahlprogramme sind offen reformistisch und die Partei präsentiert sich nicht als Arbeiterpartei
- stattdessen vertritt sie offen einen großrussischen Nationalismus;
- Die Partei ist in zunehmendem Ausmaß abhängig von Spenden superreicher Unternehmer;
- Mit Änderung des Parteistatuts wurde dem Präsidium des Zentralkomitees die Vollmachten des Parteitags übertragen;
- Eine Welle von Ausschlüssen und bürokratischen Repressalien richtet sich gegen kritische Lokalorganisationen der Partei und des Komsomol.
Es ist kein Wunder, dass sich die kommunistische Partei seit Jahren im Niedergang befindet.
Klassenfremde Einflüsse versus…
Im Zuge ihrer Entwicklung kam die Partei zwangsläufig unter den Druck bürgerlicher und kleinbürgerlicher Kräfte, der sich nicht nur von außen manifestierte, sondern auch in den eigenen Reihen der Partei und vor allem an der Parteispitze selbst. Vielleicht das beste Beispiel für diese klassenfremden Elemente haben wir in der Person von Wladimir Nikitin, der bis 2017 dem Präsidium des Zentralkomitees angehörte und die Gruppierung ‚Russkij Lad‘ (Russische Ordnung) gründete.
Nikitin ist ein typischer Karrierist, der vor allem durch die Orchestrierung bürokratischer Manöver gegen die sogenannten „Neo-Trotzkisten“ bekannt wurde. Seit Jahren wird jede Form linker Kritik am Kurs der Parteispitze damit begründet, dass man diese angeblich „neo-trotzkistische“ Gefahr bekämpfen müsse. Die Opposition wird dabei meist mit dem Vorwurf konfrontiert, sie lasse den nötigen großrussischen Nationalismus vermissen. Zum höchsten Prinzip erheben diese Leute die Idee von der „russischen Philosophie der Vollkommenheit“.
Dieser rechte Flügel steht in einem engen Bündnis mit der Clique von Sjuganow und ist die treibende Kraft hinter den Ausschlüssen klassenbewusster KommunistInnen. Lenin sagte: „Die Menschen waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu suchen.“ (Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus)
In diesem Sinne muss die Frage gestellt werden, welche Interessen hinter der Politik der Parteiführung stecken. In erster Linie geht es der Clique um Sjuganow um den Erhalt der eigenen Machtposition und der damit verbundenen Privilegien. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Kurs in den völligen Untergang der KPRF führt, wie man dies schon bei den einst starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich gesehen hat, die heute in der völligen Bedeutungslosigkeit ein Schattendasein fristen.
…revolutionäre Traditionen
Trotz alledem wäre es verfehlt zu glauben, die kommunistische Partei sei nichts anderes mehr als ein Appendix des Putin-Regimes, auch wenn die Sjuganow-Clique sich mit dieser Rolle durchaus selbstzufrieden begnügen würde. Immer noch hat die Partei zehntausende Mitglieder, die weiterhin kommunistische Positionen vertreten und sich den Bürgerlichen nicht unterordnen wollen. Vor allem im Komsomol wird der Ruf nach einem wirklich revolutionären Programm hörbar lauter.
Unsere GenossInnen von der IMT in Russland sind Teil dieses Prozesses und erklären, dass die Wiederentdeckung der besten Traditionen der Bolschewiki unter Lenin eine Grundvoraussetzung dafür ist, die kommunistische Bewegung in Russland wieder zu einer wirklichen Arbeiterpartei machen zu können. Dazu gehören der entschiedene Kampf für Parteidemokratie, eine konsequente Orientierung auf die Arbeiterklasse und ein revolutionär-marxistisches Programm.
[1] ABC des Marxismus: Was ist Bonapartismus?
(Funke Nr. 194/26.5.2021)