Seit 10. März demonstrieren aufgebrachte Jugendliche und Arbeiter in Albanien gegen die enormen Preissteigerungen in dem Land. Zuerst Hunderte, dann Tausende blockierten den Zugang zum Regierungssitz von Ministerpräsident Edi Rama in Tirana. Von Max Brym am 16. März 2022.
In den letzten Wochen ist der Ölpreis in Albanien um 50% gestiegen. Die Regierung rechtfertigt dies mit der Ukrainekrise. „Lüge, Lüge“ und „Betrüger“ hallt es mittlerweile durch viele Städte in Albanien. Die Proteste haben sich auf andere Regionen ausgeweitet und es kam zu mehreren Verhaftungen.
Der Krieg in der Ukraine ist ein billiger Vorwand für verschiedene Milliardäre, um sich zu bereichern. Shefqet Kastrati beispielsweise steht dem Ministerpräsidenten Edi Rama nahe; seine „Kastrati Group“ ist ein Big Player in vielen Geschäftssparten, doch vor allem am steigenden Ölpreis verdient Kastrati schamlos.
Albanisches Öl
Die Abhängigkeit von ausländischen Ölimporten ist direktes Resultat der kapitalistischen Profitwirtschaft.
Vor einigen Wochen wurde die albanische Ölförderung in Ballsh – dem Zentrum der Ölförderung Albaniens im Süden des Landes – im wahrsten Sinn des Wortes platt gemacht. Die Anlage wurde gesprengt. Zuvor wurde die Erdölraffinerie mehrmals privatisiert. Im letzten Jahr kam es zur Entlassung von knapp tausend Ölarbeitern, nachdem sie ein Jahr keinen Lohn erhalten hatten. Die Regierung Rama weigerte sich bis heute, den Arbeitern die ausstehenden Löhne zu bezahlen.
Nur die linke Organisation „Organizata Politike“ trat für eine Vergesellschaftung der Erdölförderung unter Kontrolle der Belegschaft ein. Arbeiter in Ballsh wollten die Sprengung der Anlagen Anfang Februar 2022 verhindern, wurden aber von bewaffneten Kräften des Staates abgedrängt. Damit machte sich Albanien absolut abhängig von ausländischen Öllieferungen.
Gut für Shefqet Kastrati: Das Monopol für die Verteilung und den Verkauf von Öl läuft über ihn.
Eigentlich hätte Albanien die Ressourcen, den eigenen Bedarf an Erdöl ohne Importe zu decken: Die bekanntesten Erdölfelder liegen in Ballsh und Patos, auch im Ionischen Meer vor der albanischen Küste werden Erdölvorkommen vermutet. Laut den vom albanischen „Monitor Magazine“ veröffentlichten Daten importiert Albanien etwa 600.000 Tonnen Öl pro Jahr. Die ehemalige Ölraffinerie in Ballsh deckte noch 2015 – trotz jahrelang verabsäumter Investitionen – etwa 58-60% des Ölbedarfs des Landes.
Es hätte bei einer Erneuerung und Wartung mit moderner Anlagentechnik viel mehr sein können. Nach Aussagen von Technikern und von verschiedenen Instituten hätten Investitionen nicht nur den Bedarf des Landes decken können, sondern auch Nachbarländer hätten davon profitiert.
Aber die Regierung privatisierte an ausländische Firmen, die keinerlei Investitionen tätigten, nur Öl verkauften und dann verschwanden. Und so wird nun das gesamte Öl des Landes aus dem Ausland importiert – kontrolliert vom Monopol des Oligarchen Shefqet Kastrati.
Foto: Twitter/Organizata Politike
Der Ölpreisanstieg führt direkt zu dem erschreckenden Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel. Die größeren Firmen sind auch hier in der Hand von Kastrati und dem reichsten Albaner und Vorsitzenden eines weiteren Mischkonzerns, Samir Mane. Sie profitieren doppelt – die Massen durchschauen das und sind zornig.
„Wir zahlen nicht, wir zahlen nicht.“
Das ist eine der zentralen Parolen bei den Protesten. Es wird sogar die Enteignung von Shefqet Kastrati lauthals gefordert. Eingefordert wird gleichzeitig die Offenlegung der Geschäftsbücher von Kastrati. „Kein Geld für ihre Krise“ – „Ich zahle nicht für Korruption“ – „Kein Geld für den Betrug“ wird gerufen.
Der Protest weitete sich von der Hauptstadt Tirana sehr schnell auf sechs weitere Städte in Albanien aus und nimmt die Form eines allgemeinen Protestes „gegen die Herrschaft der Oligarchen“ an. Außerhalb von Tirana kam es zu ziemlich brutalen Polizeiaktionen. In Tirana noch nicht, denn die Zahl der Demonstranten ist zu groß. Bei den Protesten stehen die Studenten Schulter an Schulter mit der in Albanien verbliebenen Arbeiterklasse.
Vor einigen Tagen erklärte ein Vertreter der linken Organisation „Organizata Politike“ unter tosendem Beifall in Tirana:
„Wir wollen erstens ein lebensnotwendiges Einkommen von 18.000 Lek pro Monat für jede Person in Albanien. 33% unserer Gesellschaft leben in absoluter Armut – das ist nicht hinnehmbar. Zweitens: einen Mindestlohn von 43.000 Lek pro Monat [350 Euro, Anm.]
Drittens: Systematische Lohnerhöhungen auf 100.000 Lek pro Monat. [806 Euro]
Viertens: Schaffung einer unabhängigen, bundesweiten Agentur zur Kontrolle und Festlegung einer Preisobergrenze für Öl und Energieprodukte.
Fünftens: Eine Unabhängige Untersuchung des Oligopols des Kohlenwasserstoffsektors und insbesondere des Bankrotts und der Zerstörung der Ölraffinerie in Ballsh.
Sechstens: 1% Sondersteuer auf Vermögenswerte, die 1.000.000 Euro überschreiten. Gewinn- und Dividendensteuer von 20% für Großunternehmen und Oligarchen. Die Regierung wird fallen!“
Es wird sich zeigen, ob „Organizata Politike“ bereits die Reife hat, dem albanischen Proletariat eine Führung zu geben. Innerhalb der Organisation wird fleißig Marx, aber auch Trotzki gelesen. Daneben sind aber mitunter auch postmoderne „Theoretiker“ beliebt. Es geht aber nur mit der Methode von Marx, Engels, Lenin und Trotzki – ein Žižek mit seinen oftmals amüsanten Witzen kann nicht helfen.
Für eine Perspektive der Arbeiterklasse
Ministerpräsident Edi Rama sprach vor zwei Tagen im Fernsehen zur Bevölkerung. Er versprach „sozialen Ausgleich“ und von irgendwelchen nicht näher benannten „sozialen Regierungsvorhaben“.
Diese Rede hatte keinerlei Wirkung. Die Situation radikalisiert sich zunehmend. Was uns die Realität zeigt, ist ein kämpferisches Bündnis von Arbeitern und Studenten.
Der Aufstand in Albanien zeigt, dass es im Rahmen der Krise des Kapitalismus immer wieder zu Aufständen kommt. In diesem Prozess muss die Arbeiterklasse eine eigenständige Position einnehmen.
Die Aufgabe von Marxisten ist es, ein sozialistisches Programm in die Bewegung zu tragen. Denn im Rahmen des Kapitalismus wird keine EINZIGE der völlig gerechtfertigten Forderungen zu halten sein.
Es lebe die Jugend und Arbeiterklasse – in Albanien und auf der ganzen Welt!