Angesichts der größten Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg lassen die Herrschenden zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen in Gang setzen. Mario Wassilikos beleuchtet ihre Hintergründe.
Bisher flohen etwa 3,3 Millionen Menschen (Stand: 20. März) aus der Ukraine vor dem Krieg. Die EU aktivierte schon am 3. März die Massenzustromrichtlinie, die in Österreich bereits umgesetzt wurde. Zudem mobilisierte der heimische Staatsapparat zahlreiche Hilfsmaßnahmen – sogar ÖBB-Züge, die Flüchtlinge von der polnisch-ukrainischen Grenze abholen.
Ist die EU zum von ihr selbst propagierten Hort der Menschlichkeit geworden? Die Antwort: Nein! Diese neue Willkommenskultur hat einen gewaltigen Schönheitsfehler: Die Zielgruppe sind nur ukrainische StaatsbürgerInnen. Alle anderen Asylsuchenden bleiben weiterhin dem rassistischen Migrationsregime Österreichs bzw. der EU untergeordnet – auch jene, die aus der Ukraine flüchten. Das betrifft vor allem Menschen aus Afghanistan, Irak, Syrien und afrikanischen Staaten.
Das ist kein Zufall. Viele UkrainerInnen sind hoch qualifiziert. Laut ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher sollte ihre Arbeitsmarktintegration „im Prinzip viel einfacher“ sein. Die heimischen Betriebe empfangen die ukrainischen Kriegsflüchtlinge daher mit offenen Armen. Neben dem Gastgewerbe und der Hotellerie lechzt vor allem die österreichische IT-Branche nach Fachkräften. Dort können 24.000 Stellen nicht besetzt werden – in der Ukraine gab es 2021 290.000 SpezialistInnen in diesem Bereich. Viele von ihnen arbeiteten vor dem Krieg aus dem Homeoffice zu Dumpinglöhnen für europäische und amerikanische Firmen. Die UkrainerInnen stellen also ein profitabel ausbeutbares Arbeitskräftereservoir dar, in dessen Qualifizierung nicht viel investiert werden muss. Falls die Rechnung nicht aufgeht, können sie immer noch abgeschoben werden, da das Aufenthaltsrecht nur bis zum 3. März 2023 gilt – mit Option auf Verlängerung.
Zudem ist die Flüchtlingspolitik auch ein Instrument zur imperialistischen West-Integration der Ukraine, deren Arbeitskräfte, KonsumentInnen und Rohstoffreichtum europäischen Unternehmen besser verfügbar gemacht werden sollen. Für alle anderen vor Krieg, Hunger und Tod Fliehenden – von ÖVP-Innenminister Gerhard Karner zynisch als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet – heißt es jedoch weiterhin: „Das Boot ist voll!“
(Funke Nr. 202/22.3.2022)