Der Krieg in der Ukraine zeigt die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingeschlagene Orientierung und Funktionsweise der österreichischen herrschenden Klasse mit ihrer Speerspitze des Bankensektors in sehr großer Klarheit auf. Von Andreas Fuchs.

Neben den unmittelbaren ökonomischen und politischen Auswirkungen handelt es sich um ein Lehrbeispiel für Dialektik: Die Ereignisse zeigen auf, wie sich materielle Prozesse und Ideen in ihr Gegenteil verwandeln. Die Pflicht der SozialistInnen ist, in dieser Situation den Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse gegen jede nationale Idee, inklusive jener der SPÖ, der KPÖ und der Gewerkschaften zu verteidigen.

Die österreichische Bourgeoisie litt am Beginn der 1990er unter dem Problem, dass die österreichischen Lohnabhängigen in einer hochproduktiven Ökonomie Reichtum und Kapital erzeugten, das am österreichischen Inlandsmarkt nicht mehr profitabel eingesetzt werden konnte. Den Bewegungsgesetzen des Kapitalismus folgend, suchte sich das Kapital, geführt von seinen BesitzerInnen, den Weg zu jenem Einsatzort, der größere Profitraten versprach. Insbesondere das Bankkapital, d.h. die finanziellen Vermögenswerte, konnte aufgrund der relativ leichten Handhabbarkeit (es ist letztlich einfacher, einen Erlagschein auszufüllen, als eine Maschine ab- und wieder aufzubauen) die Grenzen des Nationalstaats in großer Geschwindigkeit überwinden.

Der Export von Kapital begann in den 1990ern mit zunehmender Geschwindigkeit. „Kapitalexport“ bedeutet, dass die Vermögenswerte (darunter: Sparvermögen) von österreichischen „AnlegerInnen“ an die Töchterunternehmen österreichischer Banken weitergereicht wurden und von diesen als Kredite an die lokale Wirtschaft ausgegeben wurden. In mehreren Ländern Osteuropas erreichten die österreichischen Banken (insbesondere die Erste Group Bank, die Bank Austria, die Raiffeisen Bank International und die Hypo Alpe Adria) einen wichtigen, in manchen Fällen sogar beherrschenden Marktanteil. Besonders gut lief das Geschäft dort, wo die österreichischen Banken als Kreditgeber für die in Bürgerkriegen handelnden lokalen Oligarchen auftraten (z.B. in Kroatien bzw. Bosnien) oder das soziale Problem der Häuslbauer-Kredite in Schweizer Franken aus Österreich an das noch ärmere osteuropäische Proletariat exportierten (Ungarn, Kroatien, Polen).

In anderen Ländern, die näher am Machtbereich der sich entwickelnden russischen Oligarchie lagen, entwickelten die österreichischen Banken einen – gemessen an der Größe bzw. Wirtschaftskraft Österreichs – für den lokalen Markt unbedeutenden, aber hochprofitablen Marktanteil. Insbesondere in Russland und der Ukraine wurde der Raiffeisenbank International vom Putin-Regime eine Marktposition eingeräumt, die für diese Länder unbedeutend klein ist, aber dem Raiffeisen-Sektor als zentralem Teil der österreichischen Bourgeoisie einen Import von überdurchschnittlichen Gewinnen aus dem für ihre Größe wesentlichen Kapitalexport brachten. Es ist diese Verbindungslinie, die das Putin-Regime der österreichischen Bourgeoisie hinwarf und die sich politisch in der Orientierung der österreichischen Bourgeoisie niederschlug. Unvergessen bleibt, wie Putin auf einer Versammlung der österreichischen Wirtschaftskammer mit Standing Ovations gefeiert wurde und wie die ehemalige Außenministerin Kneissl ihre Hochzeit zu einer Unterwerfungsveranstaltung für Putin umfunktionierte.

Der Krieg in der Ukraine zwang nun die österreichische Bundesregierung als ausführenden Arm der KapitalistInnen auf politischer Ebene einen Bruch mit Putin durchzuführen. Die Position des unbeteiligten (und „neutralen“) Dritten war nicht mehr durchzuhalten, weil Macron und Scholz unter dem Druck der USA Beschlüsse auf Ebene der EU erzwangen, insbesondere den Beschluss der Isolation der russischen Nationalbank und die Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Es setzte dies sofort die Schließung der in Österreich ansässigen Europa-Tochter der russischen Sberbank in Gang.

Die Position des österreichischen Bankkapitals ist nunmehr aber auch in anderen Ländern Osteuropas gefährdet, weil die Kriegshysterie, die in diesen Ländern aufgehetzt wird, die Verbindungen der österreichischen KapitalistInnen mit dem Putin-Regime offenlegen. Es ist unter diesem Druck, dass die Raiffeisenbank International den Rückzug aus Russland öffentlich überlegte. Tatsächlich handelt es sich um eine Schadensbegrenzungsmaßnahme: Die Profite aus dem Russland-Geschäft (die zuletzt ca. die Hälfte der Gesamtgewinne der RBI ausmachten) sind verloren, nun soll deswegen nicht auch noch der aus den osteuropäischen Werktätigen gezogene Profit verloren gehen.

Die Position der österreichischen SozialistInnen kann entlang folgender Linie festgelegt werden: Wir hatten kein Interesse daran, dass der österreichische Kapitalismus seinen Niedergang durch Kapitalexport nach und Ausbeutungsimport aus Osteuropa hinauszögert. Die österreichische Arbeiterklasse hatte kein Interesse daran, von der Mehrwertproduktion osteuropäischer Lohnabhängiger zu profitieren. Wir haben daher auch kein Interesse daran, in der jetzigen Situation die exportierten Vermögenswerte des österreichischen Kapitals „zurückzuholen“ oder im Falle ihrer Uneinbringlichkeit aus den Steuermitteln der österreichischen Lohnabhängigen zu ersetzen.

Daher: Keinen Cent für Waffenlieferungen, keinen Cent für Bankenrettungen, keinen Cent für die Einlagensicherung ohne direkte Verstaatlichung des gesamten Bankensektors!

(Funke Nr. 202/22.3.2022)


Investition österreichischer Banken in Osteuropa:

  • Russland: 17,0 Mrd.
  • Ukraine: 3,7 Mrd.
  • Tschechien: 113,0 Mrd.
  • Slowakei: 52,7 Mrd.
  • Polen: 9,0 Mrd.
  • Ungarn: 27,5 Mrd.
  • Kroatien: 23,3 Mrd.

(September 2021)



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