Egal ob in Washington, Moskau, Kiew oder Wien, aktuell spricht nur noch die Kriegspartei. Die ArbeiterInnen aller Nationen können in diesem Gemetzel nur verlieren. Emanuel Tomaselli über die militärischen, wirtschaftlichen und ideologischen Kriegsschauplätze.
Die Nebelwand der täglichen Kriegspropaganda soll verbergen, dass mehrere Staaten und Kapitalisten-Gruppen (EU, NATO) Interessen an der Eskalation und Fortdauer des Krieges in der Ukraine haben. Die Behauptungen, dass Putin irrational und verrückt, dass das „Wesen der Russen todessüchtig“ sei, in Kiew hingegen das „Herz Europas und der Demokratie schlage“ etc. sind falsch. Sie dienen dazu, die Alternativlosigkeit des Krieges und der Aufrüstung zu behaupten. Die daraus abgeleitete Kriegslogik ist für einige wenige schrecklich profitabel, bedeutet für die Kriegsopfer aber mitunter das Ende des Lebens. Dabei machen wir InternationalistInnen keinerlei Unterschied zwischen Zivilisten oder zwangsverpflichteten jugendlichen Uniformierten unter Befehlsgewalt skrupelloser russischer und ukrainischer Generäle (und ihrer westlichen „BeraterInnen“). Der Krieg tritt allen Teilen der Arbeiterklasse als eine feindliche Menschenfressermaschinerie der Kriegsprofiteure aller Nationen entgegen.
Ein langer geopolitischer Konflikt
Der am 25. Februar begonnene Überraschungsangriff auf Kiew durch die russische Armee ist nach einem Monat gescheitert. Jetzt bereiten sich die Kriegsparteien auf einen langen Krieg vor. Die russischen Truppen wurden in den Südosten der Ukraine (Donbass) verlagert, wo sich die Hauptstreitkräfte der Ukraine von vornherein befanden. Der Westen liefert immer mehr und tödlichere Waffen. Diese Lieferungen sind ungenügend, um die russische Armee schnell zu besiegen, aber sie erfüllen das gemeinsame Kriegsziel der westlichen Staaten: die Schwächung Russlands. Die instrumentelle Haltung des Westens gegenüber der ukrainischen Bevölkerung und seinen Wehrpflichtigen ist blanker Zynismus. Wir MarxistInnen sind gegen jede Waffenlieferung, weil die Kiewer Kapitalisten und ihre Regierung keine Freunde der ukrainischen Arbeiterklasse sind.
Der Versuch, die traditionell auf Russland orientierte Wirtschaft der Ukraine exklusiv auf den EU-Binnenmarkt um zu orientieren und militärisch in die NATO zu integrieren ist in den vergangen 20 Jahren ein zentrales Ziel der Außenpolitik Brüssels und Washingtons gewesen. Der Konflikt darum wird seit 2014 in der Ostukraine auch militärisch geführt.
Ein Pentagon-Sprecher erklärte am 11.4. die militärische Situation so: „Wir können nicht feststellen, dass die neue Offensive schon begonnen hat, obwohl an dieser Stelle gesagt sei, dass im Donbass seit acht Jahren ein heißer Krieg herrscht, und dann noch der aktuelle bewaffnete Konflikt, der, während ich hier sitze und spreche, voranschreitet.“
Insbesondere die Ausweitung der NATO-Präsenz an den eigenen Grenzen war und ist für die Kapitalisten Russlands eine klar kommunizierte rote Linie. Das NATO-Militärbündnis ist kein Schachklub, sondern eine hocheffiziente Maschinerie, die in einer Vielzahl von Kriegen westliche Interessen militärisch durchgesetzt hat und eine klar anti-russische Ausrichtung hat. „So völkerrechtswidrig und furchtbar der Ukraine-Krieg ist, er steht doch in einer Kette vergleichbarer Kriege jüngeren Datums. Irak, Syrien, Libyen, Afghanistan - so neu ist das alles nicht“, kommentierte der ehemalige Sicherheitsberater von Angela Merkel knapp und klar im ZDF.
Der Interessensgegensatz zwischen dem global dominanten westlichen Imperialismus und dem schwächeren russischen Imperialismus ist die tatsächliche Ursache des Ringens um die Ukraine, der im Februar „nur“ in eine neue heiße Phase eingetreten ist.
Die inneren Vorbedingungen für den Krieg in der Ukraine ist die Ausschaltung der Arbeiterklasse als eigenständiger politischer Faktor. Unterdrückung, aber v.a. die nationalistische Spaltung der Arbeiterbewegung ermöglichten profitable Konterreformen (etwa die Ausschaltung des Kollektivvertragswesens) und führten zu einer anhaltenden politischen Apathie der Massen. Daraus können wir einen allgemeingültigen Schluss ziehen: Wo immer die Arbeiterbewegung eine eigenständige Position aufgibt, ist der Barbarei der Weg geebnet. Dieser Befund gilt in jedem Land der Welt: die Ablehnung der Kriegsanstrengungen und die Demaskierung der Kriegspropanda unserer eignen Herrschenden ist die erste Pflicht von klassenbewussten ArbeiterInnen. Der weitere Verlauf des Krieges wird die Aktualität dieser Lehre der Geschichte unterstreichen. Aller Kriegs-Gräuel und aller frisierter Kriegspropaganda zum Trotz halten wir MarxistInnen an der Perspektive fest, dass echter Frieden sich nur durchsetzen wird, wenn die Arbeiterklasse sich im weiteren Verlauf gegen ihre jeweilige eigene herrschende Klasse im eigenen Land stellt.
Diplomatische Lösung?
Die derzeitige Kriegssituation bedeutet, dass keine Kriegspartei einen raschen vollständigen militärischen Sieg erwarten kann, sondern vielmehr der Nachschub an Kriegs- und Menschenmaterial der entscheidende Faktor des „Kriegsglücks“ sein werden. Weil die Armeebestände überall rasch aufgebraucht werden, läuft die Umrüstung der Industrie auf Kriegsproduktion überall auf Hochtouren. Schon richten sich westliche PolitikerInnen auf Artillerieschlachten und einen „jahrelangen Krieg“ ein, während liberale Kräfte in Russland noch darauf hoffen, dass sich Putin mit einem „symbolischen Sieg“ im Mai zufrieden geben wird. Wir wissen es nicht, sehen aber wie die Kriegstreiber aktuell überall immer lauter schreien.
Seit Kriegsbeginn sind die Ukraine und Russland in ständigen Verhandlungen über eine Nachkriegsordnung. Anfang April berichtete der ukrainische Unterhändler Arachamija, dass der Entwurf eines Friedensvertrages bereits so weit sei, dass er „direkte Konsultationen der Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj erlaube“, dass ein Kompromiss zwischen den Kriegsparteien also greifbar war. Dies wurde von Putin bestätigt und am 20.4. verkündete ein Kremlsprecher ein fertig ausgearbeitetes Papier übergeben zu haben, was Kiew umgehend verneinte.
Die USA, GB und auch Frankreich lehnten exklusiv ukrainisch-russischen Gespräche als verfrüht ab und reklamieren für sich, Teil der „Lösung“ zu sein. „Die enge Einbindung GBs würde höchst geschätzt“, ließ Boris Johnson öffentlich wissen. Indem der Westen Waffen liefert und Kredite gibt, befestigt er im Todesreigen seine eigenen Profitinteressen in Kiew. Die harten Sanktionen gegen Russland und die Enteignung seiner Währungsreserven sichern dem Westen auch gegenüber Moskau ein Faustpfand. Die Ankündigung der USA (und in ihrem Windschatten der EU) verstärkt Sanktionsverstöße von Drittstaaten ins Visier zu nehmen, zeigt, dass Washington bereit ist, die Sanktionen als globale Waffe gegen alle Rivalen einzusetzen. Wir lehnen Wirtschaftssanktionen ab, weil sie Teil der Kriegsführung sind und zu enormen Extra-Profiten etwa der Energiekonzerne (der westlichen wie der russischen) auf Kosten der Allgemeinheit führen.
Kriegstreiber und Friedenstauben
Der extreme Flügel der europäischen Kriegspartei, meist Liberale und Grüne (sowie abgeschwächt CDU-Vorsitzender Merz) steht aktuell für die volle Eskalation des Krieges; sie verhöhnen und beschuldigen jene, die nicht unmittelbar die Panzer aus der Garage fahren lassen wollen, als Feinde der Demokratie. Besonderen Druck üben Washington und Kiew sowie ihre politischen Parteigänger in der EU dabei auf den deutschen Kanzler Scholz aus, der versucht die Lieferung von schweren Waffen ins Kriegsgebiet hinauszuzögern. Der Grüne Hofreiter macht Scholz deswegen sogar für den „Dritten Weltkrieg“ verantwortlich. Frieden schaffen mit vielen Waffen, diese Logik teilen kriegsbetrunkene ChauvinistInnen aller Länder, die Kurse der Kriegsproduzenten schießen in die Höhe. Die mit reichlich Medienförderung der Kriegsregierungen ausgestatteten „unabhängigen“ Medien (auch die liberalen und „grünen“ Blätter) schauen derweil vom hohen Ross der Pressefreiheit zu, wie die Regierungen im EU-Rat die ersten Zensurmaßnahmen in Form des Verbots von Russia Today im Namen der Unterbindung der gegnerischen Kriegspropaganda beschließen.
Die Kapitalisten einiger Mitgliedsländer der EU (Deutschland, Österreich, Ungarn) haben starke und profitable Wirtschaftsverflechtungen mit Russland und wollen mehrheitlich daher möglichst schnell „Frieden“, der ihnen schon bisher satte Extraprofite durch die Ausbeutung der ArbeiterInnen in Russland und der Ukraine bescherte. Zudem befürchten Industrielle in Deutschland und Österreich eine nachhaltige Schwächung des europäischen Standortes durch wegfallende Märkte und hohe Energiepreise. „Der Wohlstand Deutschlands beruht auf dem Handel mit Russland“, warnt etwa der Chef des Chemieriesen BASF.
Das NATO-Land Türkei, das einerseits die Ukraine mit Waffen beliefert und andererseits seit Jahren mit Russland im Kaukasus und Nahen Osten Einfluss-Zonen abtauscht, ist ein anderer Bremsfaktor im westlichen Imperialismus. Völlig undiplomatisch kritisiert Außenminister Mevlüt Cavusoglu: „Es gibt Länder in der NATO, die wollen, dass der Krieg weitergeht. Ihr Ziel ist es, Russland zu schwächen."
Sofern die Arbeiterklasse der kriegführenden Nationen, egal ob in Russland, im Westen oder in der Ukraine die eigenen Herrschenden nicht zwingen, aus dem Krieg auszusteigen, wird das Menschenschlachten vorangehen. Selbst wenn die Herrschenden sich gezwungen sehen den Krieg einzufrieren, wird dies kein Frieden sein. Die Ukraine wird zerstört und hochverschuldet sein, der Wirtschaftskrieg wird weitergehen, die Preise weltweit hoch bleiben, die Rüstungsindustrie wird neue Investitionsfelder finden.
Wir stehen für Internationalismus und haben keinerlei Vertrauen - in keine der kriegführenden Regierungen. Wir stehen für das Nein zum Krieg, Nein zu den Sanktionen – Nein zu allem was den Krieg verlängert: keine Kriegskredite, keine Waffenlieferungen! Nieder mit den Kriegshetzern aller Nationen - Für die Verbrüderung der Soldaten der feindlichen Heere! Es lebe der Internationalismus!
(Funke Nr. 203/22.4.2022)