Seit neun Monaten tobt in der Ukraine ein reaktionärer Krieg zwischen dem Westen und Russland. Ein militärischer Sieg ist für keine der Seiten absehbar. Die Opferzahlen, Zerstörungen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten sind dramatisch. Doch die Zeit für einen Frieden zwischen den Räubern ist noch nicht reif. Von Emanuel Tomaselli.
In den vergangenen zwei Monaten hat die ukrainische Armee große Landstriche zurückerobert, zuerst im Nordosten des Landes (Charkiw) und zuletzt im Südosten (Kherson). Der Krieg im Donbas und dem Landkorridor zur Krim entwickelte sich zum Stellungskrieg mit ständigem Beschuss und blutigen lokalen Offensiven. Putins Führung hat aus ihrem mehrfachen Scheitern die Schlussfolgerung gezogen, den Krieg durch die Mobilmachung von 300.000 Soldaten und einer Luftkampagne zur Ausschaltung der Energieversorgung der Ukraine zu intensivieren. Das Stromnetz des Landes bricht regelmäßig zusammen. Die Opferzahlen sind Staatsgeheimnisse, Schätzungen gehen von bis zu 200.000 Getöteten aus. Der Verbrauch an Artilleriegeschossen entspricht dem Mehrfachen der globalen Jahresproduktion. Sowohl im Westen als auch in Russland wird die Rüstungsproduktion auf die Notwendigkeiten eines konventionell geführten Großkrieges hochgefahren. Die Produktion der amerikanischen HIMARS-Raketenwerfer, von denen aktuell 38 Stück an die Ukraine geliefert wurden, wird im kommenden Jahr von 60 auf 96 Stück ausgeweitet.
Dieser reaktionäre Konflikt wird zwischen den zwei größten Armeen und den zwei größten Ländern Europas geführt. Die relativen Erfolge der ukrainischen Armee in den vergangenen Monaten wären aber ohne die militärische und finanzielle Unterstützung des Westens nicht möglich. Die USA haben bisher 52,3 Mrd. $ in den Krieg gepumpt. U.a. wurden 230 Artilleriesysteme mit mehr als 1 Mio. Geschossen, 10.000 Maschinengewehre und 108.500 Panzerabwehrraketen geliefert. Die NATO-Unterstützung durch Luft- und Satellitenaufklärung ist ein wichtiges Element der ukrainischen Kriegserfolge. Die EU übernimmt für 2023 die Hälfte der laufenden Staatsausgaben der Ukraine und hat ein rollierendes Ausbildungsprogramm für 15.000 ukrainische Soldaten gestartet. Diese enorme Unterstützung zeigt, dass es in diesem Krieg um handfeste materielle Interessen der jeweiligen herrschenden Klassen geht. Es handelt sich um einen imperialistischen Konflikt, in dem die verschiedenen Mächte inmitten der kapitalistischen Krise um Einflusssphären, Märkte und ihre Vormachtstellung kämpfen. Das müssen wir klar aufzeigen und den Herrschenden ein Programm der Arbeiterklasse entgegenhalten.
Imperialistische Interessen und Widersprüche
Krieg ist nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und unter diesem Gesichtspunkt sind die jüngsten US-amerikanischen Vorstöße hin zu einer „politischen Lösung“ zu verstehen. Aus US-Sicht sind alle strategischen Kriegsziele erreicht: die EU ist technisch (Sprengung der Nordstream-Pipelines) und politisch vom russischen Gas abgetrennt; Russland ist wirtschaftlich, politisch und militärisch geschwächt, die Sanktionen und die Enteignung russischen Eigentums im Ausland wurden konsolidiert; der Staatsapparat der Ukraine ist völlig pro-westlich und von russischem Einfluss gesäubert, Oppositionsparteien verboten, und die Bevölkerung mehrheitlich klar anti-russisch ukraine-patriotisch eingestellt; die Ukraine ist eine Schuldenkolonie des Westens und wird dies bis zur sozialistischen Revolution auch bleiben. Sie bereitet gerade die Privatisierung von Land und 800 Unternehmen vor.
Daher gibt es aus der Sicht der USA keinen sachlichen Grund mehr, weiter in diesen Krieg zu investieren. Ein rasches Ende können sie in der gegebenen Konstellation aber nicht erzwingen. Eine Einstellung der militärischen Unterstützung oder ein Erzwingen eines Waffenstillstandes würde alle bisher erreichten Ziele wieder in Frage stellen. Die ukrainische Armeeführung ist nach Monaten der Siege nicht bereit, auf Staatsterritorium zu verzichten, dahingehende Zwangsmaßnahmen würden eine ukrainische Dolchstoßlegende begründen. Selenskyj-Berater Podoljak bringt diese Position auf den Punkt: „Wenn man auf dem Schlachtfeld die Initiative ergreift, ist es ein wenig bizarr, Vorschläge zu erhalten wie: Ihr werdet sowieso nicht alles mit militärischen Mitteln erreichen, ihr müsst verhandeln.“ Dies würde bedeuten, dass ein Land, „das seine Gebiete zurückgewinnt, vor dem Land kapitulieren muss, das verliert.“ (ZDF) Der ukrainische Präsident fügt dem hinzu: „Dies würde die Armee gar nicht zulassen“.
Die Konsolidierung eines Teils der Ukraine als neues russisches Staatsgebiet ist aber zur jetzigen Zeit eine Minimalbedingung für die russischen Herrscher. Sie haben in einem Staatsakt die eroberten Gebiete zum Teil ihres Territoriums erklärt, ein sofortiger Verzicht darauf würde das Putin-Regime erschüttern. Für die Regimes in Russland und der Ukraine wäre ein Kriegsende unter den gegebenen Bedingungen eine Niederlage, die ihr eigenes Überleben in Frage stellt. So wird auch die USA weiterhin den Krieg nähren und den Druck auf die EU erhöhen ihr eigenes Investment weiter zu steigern.
Innerhalb der EU verschärft der Krieg die Widersprüche zwischen den Mitgliedsstaaten. Der Umstand, dass die deutschen Kapitalisten in Pakttreue zu den USA gezwungen sind, ihre eigene Energieversorgung zu gefährden und um das Siebenfache zu verteuern, führt dazu, dass sie innerhalb der EU und global eine zunehmend unilaterale imperialistische Rolle einnehmen. Das deutsche 100 Mrd. Aufrüstungspaket wird in ein multinationales europäisches Luftabwehrsystem investiert, an dem Frankreich, Schweden und Polen aber nicht teilnehmen wollen. Dies zeigt Bruchlinien innerhalb der EU an, die die USA nutzen wollen, um Deutschland im eigenen Hinterhof unter Druck zu bringen. Bundeskanzler Scholz trotzt derweil Washington und pflegt bewusst freundliche Beziehungen zu China, während die USA Sanktionen gegen China verschärfen und massiv in die militärische Abschreckung im Pazifik investieren.
Die Ukraine ist nur ein Schlachtfeld imperialistischer Machtkämpfe, und die Zeit ist nicht reif, dass die Räuber einen Pakt schließen.
Kein Friede mit der Bourgeoisie – kein Krieg, außer dem Klassenkrieg!
Das westliche Argument, dass hier die Demokratie verteidigt würde, entsprach niemals der politischen Realität der Ukraine. Die von beiden Seiten vorgebrachte Verteidigung der nationalen Rechte der mehrsprachigen Ukraine sind hohle Phrasen, die den Krieg noch tiefer in der Bevölkerung verankern sollen. Das Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen und russischen Bevölkerungsgruppen (und aller anderen Nationen der Region) lassen sich nur unter Bedingungen der Enteignung der Kapitalisten und der Zersetzung ihrer Armeen verwirklichen.
Wir Internationalisten argumentieren dafür, dass die Soldaten nicht auf ihre Klassengeschwister in fremder Uniform schießen, sondern stattdessen ihre Waffen auf die eigenen Generäle richten. Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse in jedem Land, die eigenen Herrschenden durch Klassenkampf an der Weiterführung des Krieges zu hindern und die Einheit der Arbeiterklasse über alle Grenzen hinweg zu fördern. Wir haben keine Illusionen in die Herrschenden: ihre Ziele und Methoden sind hier wie dort allesamt reaktionär. Das wollen weder SPÖ noch KPÖ begreifen und sind daher für alles Leid des Krieges mitverantwortlich. In Österreich und der EU stehen wir gegen jede Finanzierung des Krieges durch die EU, die die österreichische Regierung durch ein Veto in Brüssel tatsächlich verhindern könnte. Weg mit den Sanktionen. Gegen jede Waffenlieferung, gegen die Aufrüstung des Bundesheeres und die Teilnahme an Deutschlands Luftabwehrsystem, wie es die ÖVP nun andenkt. Wir stehen für die Heimholung aller österreichischen Soldaten aus dem Ausland, insbesondere aus Bosnien und dem Kosovo wo sie für die Profitinteressen unserer Kapitalisten Wache halten. Kein Krieg zwischen den Nationen – kein Friede zwischen den Klassen. Kämpfe mit uns für dieses Programm!
(Funke Nr. 209/6.12.2022)