Madrid. Am Sonntag den 13. November strömten hunderttausende Menschen in Madrid auf die Straße, um gegen das Kaputtsparen der öffentlichen Gesundheitsversorgung und die rechte Stadtregierung zu protestieren. Lisa Auer und Martin Gutlederer berichten und ziehen die Lehren für Österreich.
Zu der Massendemonstration haben Gewerkschaften, Linksparteien und Organisationen der Gesundheitsprofessionen aufgerufen und sie fügt sich ein in eine Reihe von beeindruckenden Arbeitskämpfen, Massendemonstrationen und Generalstreiks in den Jahren 2012-14 und 2018-19. Jetzt rücken die Zustände im Gesundheitswesen in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Beispielsweise streikten im Baskenland bereits im Februar mehrere Gewerkschaften gegen den Notstand im Gesundheitswesen. Anlass für die Demonstration in Madrid sind die permanenten Angriffe auf das öffentliche Gesundheitssystem durch die rechtskonservative Stadtregierung. Trotz des relativen Reichtums Madrids, hat die Stadt verglichen mit dem Rest des Landes die niedrigsten öffentlichen Ausgaben im Sektor, und stärkt stattdessen profitorientierte private Strukturen. Der Mangel an Gesundheitspersonal führt zu einer permanenten Überbelastung der bestehenden Belegschaften und Strukturen. Es herrscht ein massiver Abgang an Personal in andere Regionen und Länder.
Das alles führt dazu, dass Madrilenen ohne Privatversicherung teilweise einen Monat auf Termine bei AllgemeinmedizinerInnen warten müssen. Es zeigt sich auch hier ein großer Klassenunterschied: In den reicheren Stadtteilen und in der Privatversorgung sind die Wartezeiten deutlich geringer, aber für Arbeiterfamilien nicht oder nur schwer zugänglich.
Diese Situation erinnert stark an österreichische Verhältnisse. Auch bei uns manifestieren sich die jahrzehntelangen Einsparungen diverser Regierungskoalitionen in Personalmangel, in der Gefährdung von PatientInnen und im massenhaften Berufsausstieg. Eine Studie des Instituts für Pflegewissenschaften an der Uni Wien hat heuer mit ihren Ergebnissen die schockierende Lage des österreichischen Pflegewesens erstmals quantifiziert. Sie konzentriert sich auf die „Missed Nursing Care“ und brachte unter anderem diese Ergebnisse hervor: 84% aller Pflegepersonen fehlt die Zeit für notwendige Tätigkeiten, 3/4 überlegen den Beruf zu verlassen und eine durchschnittliche Pflegeperson in einem österreichischen Spital ist im Nachtdienst für 22 PatientInnen verantwortlich. 67,8% der Befragten gaben an, dass die Pflegepersonalbesetzung in den letzten 3 Monaten selten oder nie angemessen war.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Österreich und Spanien, Madrid und Wien ist klar: Die Beschäftigten der Daseinsfürsorge sind kampfbereit. Die Proteste rund um die Optierung, die kämpfenden Beschäftigten im SWÖ und die streikenden KollegInnen bei den Wiener Ordensspitälern zeigen: Es gibt keinen Grund zu resignieren und sich nicht zu organisieren. Was uns zurückhält ist allein die Gewerkschaftsführung. Auch in Spanien und Österreich verlassen sich Gewerkschaften und linke Parteien darauf, auf die nächsten Wahlen zu warten und vertrösten auf Verhandlungen. Angesichts galoppierender Inflation und immer mehr KollegInnen, die den Hut draufhauen, haben wir jedoch keine Zeit für so etwas. Daher konnten die Kolleginnen diese Massendemonstration durchsetzen.
So zeigt die Madrider Arbeiterklasse und allen voran die KollegInnen dort den nächsten Schritt nach vorne. Es braucht eine entschiedene Antwort auf die verfehlte Gesundheitspolitik: Klassenkampf in Form von Massendemonstrationen und Streiks über Berufsgruppen, unterschiedliche Bereiche hinweg und gemeinsam mit allen Betroffenen.
Nicht Verhandlungen mit den und „Wertschätzung“ der Dienstgeber oder die Hoffnung der ÖGB-Führung auf Mitverwaltung der Krise durch eine SPÖ-Regierung sind unsere Lösung: wenn wir Arbeitszeitverkürzung, mehr Lohn und bessere Bedingungen wollen müssen wir uns organisieren und einen kämpferischen Pol innerhalb des ÖGB bilden, der die Politik der Führung herausfordern und ändern kann. Als AktivistInnen von der Funke und der Liste Solidarität stehen wir dafür ein und brauchen die nächste Kollegin und den nächsten Kollegen, die, statt zu resignieren und zu verbittern, sich unserem Kampf anschließen.
(Funke Nr. 209/6.12.2022)