Obwohl Macron seine reaktionäre Pensionsreform ohne Abstimmung im Parlament in Kraft gesetzt hat, hält die breite Protestbewegung weiter an. Noch können ein Generalstreik und eine kämpferische Führung die Bewegung zum Sieg führen. Von Manuel Lins.

Die Kraft der Massenbewegung gegen die Pensionsreform ist nach wie vor ungebrochen, trotz aller Manöver und Tricks der Regierung, den Willen der Bevölkerung zu umgehen und die Demonstranten zur Aufgabe zu zwingen. Die Aktionstage am 6. und 13. April konnten jeweils bis zu 2 Millionen Protestierende mobilisieren.

Entgegen Kommentaren in bürgerlichen Medien ist die Protestbewegung mit der Aktivierung des Artikels 49.3 – welcher die Aushebelung parlamentarischer Entscheidungsprozesse erlaubt und zur Verabschiedung des Gesetzes führte – keineswegs gescheitert und der soziale Konflikt noch nicht abgeschlossen. Die Wut wurde durch dieses Manöver noch wesentlich verstärkt und für alle Welt der wahre Charakter der bürgerlichen „Demokratie“ offen an den Tag gelegt. Alle wichtigen Institutionen in der Gesellschaft stehen im Dienst der herrschenden Klasse und letztere kann notfalls auch die Spielregeln zu ihren Gunsten ändern.

Dies lässt sich auch sehr gut an der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, die Pensionsreform kritiklos anzunehmen, ablesen. Es wurden sogar zusätzlich soziale Zugeständnisse entfernt und das Abhalten eines Referendums über die Reform de facto verboten. Grund für dieses Verbot ist, dass eine solche Abstimmung von den Reformgegnern haushoch gewonnen werden würde und Macron die Reform zurückziehen müsste. Dass es sich nur scheinbar um eine „unabhängige Kontrollinstanz“ handelt, zeigt sich daran, dass zwei der neun Richter frühere Premierminister sind, die selbst Konterreformen im Pensionsbereich durchführten oder das zumindest wollten. Aus Angst vor dem kochenden Volkszorn wurden am Tag der Entscheidung umliegende Metrostationen geschlossen und massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Die politische Elite Frankreichs bunkert sich vor ihrem eigenen Volk ein.

Um von ihrer eigenen Unbeliebtheit und der explosiven sozialen Situation abzulenken, versucht die Regierung mit aller Kraft mithilfe der von ihr kontrollierten Medien die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken. Dabei wird vor nichts zurückgescheut: So posierte die Staatssekretärin Marlène Schiappa für den „Playboy“ und ließ sich als die Nationalfigur Marianne inszenieren, um für „Feminismus zu werben“. Nur wenige Tage zuvor hatte sich Arbeitsminister Dussopt als schwul geoutet. Es zeigt sich, wie die Regierung Macron versucht, die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten für sich zu vereinnahmen und für ihre reaktionäre Agenda zu instrumentalisieren. In der Berichterstattung über die Bewegung wird mittlerweile zudem ausschließlich auf die Gewalt einzelner Demonstranten eingegangen, ohne das äußerst brutale Vorgehen der französischen Polizei – Wasserwerfer, Tränengas, Gummiknüppel, willkürliche Verhaftungen – auch nur zu erwähnen.

Der Sieg kann nur auf der Straße errungen werden

Diese Entwicklungen zeigen, dass die Auseinandersetzung nicht über parlamentarische oder gerichtliche Wege, sondern nur durch Klassenkampf auf der Straße gewonnen werden kann. Millionen Unterstützer der Streik- und Protestbewegung sind keinesfalls gewillt, enttäuscht nachhause zu gehen und die Konterreform hinzunehmen. Im Gegenteil – mehr Personen denn je sind bereit, das Gesetz und Macron selbst zu Fall zu bringen. Aufgrund diverser Krisen, deren Kosten stets auf die arbeitenden Menschen abgewälzt werden, wächst die Wut über Macron stetig und führt zu einem immer tieferen Graben zwischen den verhassten Eliten einerseits und den breiten Massen andererseits. Für eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen ist klar, dass sie von diesem System nichts mehr zu erwarten haben.

Um der Wut der Bevölkerung einen organisierten Ausdruck zu verleihen, bedarf es der Parteien der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften. Diese verfolgen jedoch eine meist zögerliche und reformistische Politik, weshalb ihre Unterstützung wenig überraschend sehr begrenzt ist. La France Insoumise (LFI), die Partei des Linksreformisten Jean-Luc Mélenchon, kann in keiner Weise von der derzeitigen Bewegung profitieren. In derzeitigen Wahlumfragen stagniert sie gemeinsam mit dem Linksbündnis NUPES bei ca. 25%, dicht gefolgt vom Rassemblement National (RN), der rechten Partei von Marine Le Pen. Letztere schafft es aufgrund des Versagens der Linken, eine glaubwürdige Opposition zu Macron darzustellen und die Wut der Bevölkerung in ihre demagogischen Bahnen zu leiten. Macrons Bündnis wiederum liegt in den Umfragen bei lediglich 21%, was seinen geringen Rückhalt in der Bevölkerung klar ausdrückt.

Radikalisierungsprozess in der CGT

Die derzeit radikalste und bedeutsamste Gewerkschaft Frankreichs, die CGT, hat Ende März ihren 53. Kongress abgehalten, welcher als Wendepunkt in der Organisationsgeschichte verstanden werden muss: Der linke Flügel hat die Gewerkschaftsrechte offen herausgefordert und sich beinahe durchgesetzt.

Zwar konnte der rechte Flügel einen knappen Sieg davontragen und Sophie Binet an die Spitze setzen, um den bisherigen Generalsekretär Philippe Martinez abzulösen. Aber der Tätigkeitsbericht der bisherigen Führung wurde mit 50.3% abgelehnt, was einem politischen Erdbeben gleichkommt. Es zeigt sich, dass neben der Basis auch ein Großteil der Gewerkschaftsaktivisten die bisherige gescheiterte Orientierung ablehnt und einen radikalen, klassenkämpferischen Kurswechsel fordert. Diese interne Polarisierung wird sich in den kommenden Jahren zuspitzen und früher oder später zu einer Richtungsentscheidung führen. Wenn sich die CGT klar klassenkämpferisch und antikapitalistisch positioniert, haben künftige Bewegungen wesentlich bessere Erfolgsaussichten, insbesondere wenn mit den gescheiterten Strategie einzelner Streiktage (statt eines unbefristeten Streiks) gebrochen wird.

Währenddessen haben sich Vertreter des zweiten großen Gewerkschaftsverbandes CFDT des Öfteren mit Premierministerin Borne getroffen, um „Verhandlungen zu führen“ – und das trotz der Tatsache, dass die Regierung von vorneherein ausschloss, irgendetwas an der Reform zu ändern. Seit 2006 hat sich jede Regierung geweigert, Bewegungen auf der Straße fundamentale Zugeständnisse zu machen – ein Ausdruck der tiefen Krise des Kapitalismus. Die Bürgerlichen stehen mit dem Rücken zur Wand: Egal für welche Optionen sie sich entscheiden, sie können die Stabilität ihres Systems nur immer weiter untergraben.

Auf zur französischen Revolution

Bereits in den letzten Jahren ist es zu einer deutlichen Intensivierung sozialer Auseinandersetzungen und zu wachsender Ablehnung des herrschenden Systems gekommen, wobei die derzeitige Protestbewegung alle bisherigen Bewegungen seit 1968 überschattet.

Für die französische Arbeiterklasse und ihre Führung gilt es, die Lehren aus der Bewegung zu ziehen und sie zu nutzen: Das kapitalistische System gerät immer tiefer in die Krise, letzte Illusionen schwinden und jede neue Bewegung ermöglicht der Arbeiterklasse wertvolle Erfahrungen für die Kämpfe der Zukunft. Eine revolutionäre Führung, die diese Kämpfe anführen kann, muss jetzt aufgebaut werden. Dauerhafte soziale Verbesserungen sind nur möglich, wenn die Arbeiterklasse die Macht in der Gesellschaft übernimmt.

(Funke Nr. 213/24.4.2023)


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