Zehntausende Jugendliche gehen nach der willkürlichen Ermoderung eines 15jährigen Schülers durch einen Polizisten auf die Barrikaden. Gestern legten die Gewerkschaften mit einem Generalstreik das ganze Land lahm. Doch schon länger stößt die rechte Regierung in breiten Bevölkerungsteilen auf Unmut.

Es war Samstagabend in Athen als, laut Augenzeugenberichten, ein Polizist den 15jährigen Schüler Alexandros Grigoropoulos nach einem verbalen Wortgefecht zielgerichtet erschossen hatte.

Noch in der gleichen Nacht versammelten sich über 10.000 Jugendliche in 14 verschiedenen Städten Griechenlands, darunter Athen, Thessaloniki, Patras sowie auf den Urlaubsinseln Kreta, Korfu und Samos, um auf den grausamen Gewaltakt der Exekutive hinzuweisen. Es kam zu zahlreichen Straßenkämpfen zwischen Polizei und Jugendlichen. Am Montag marschierten in ganz Griechenland rund 40.000 SchülerInnen „bewaffnet“ mit Tomaten, Joghurts und kleinen Steinen auf die Polizeistationen und ließen ihrem Unmut freien Lauf.

Die Protestwelle überrascht in ihrer unglaublich raschen Verbreitung in ganz Griechenland. Inzwischen liegen alle Schulen des Landes lahm, zahlreiche Universitäten wurden besetzt. Im Zuge des Begräbnisses von Grigoropoulus kam es erneut zu Gefechten zwischen Jugendlichen und der Polizei, bis Dienstagabend hielt dieser Ausnahmezustand an. Gemäß den Bildern in den bürgerlichen Medien erinnern die Unruhen sehr jenen der französischen Banlieus des Herbst 2005. In diesem Fall finden die Jugendlichen aber einen politischen Ausdruck, der sie mit der griechischen ArbeiterInnenklasse in Verbindung bringt.

Die Polizei setzt aber weiter auf Provokationen. Nach dem Begräbnis des ermordeten Schülers griffen Polizeieinheiten vor dem Friedhof die DemonstrantInnen neuerlich an und schossen vor laufenden TV-Kameras mit scharfer Munition.

Das hatten wir doch schon …

Doch wie so oft bedarf es zur Erklärung der ganzen Situation einer Vorgeschichte.

Zum einen erinnert das ungerechtfertigte Vorgehen der polizeilichen Exekutive viele BeobachterInnen an die Militärdiktatur von 1967 bis 1974, zum anderen an die letzten vier Jahre der rechtsgerichteten Regierung und ihrer blutigen Handhabung. Folgende Auflistung aus der Stellungnahme der Vollversammlung der besetzten theaterschule von Thessaloniki spricht Bände über den Charakter der griechischen Polizei: "Der Polizeimord am jungen serbischen Studenten Bulatovic im Jahre 1998 in Thessaloniki, der Mord am jungen Leontidis durch einen Polizisten in der Cassandrou Straße 2003, der Tod des 24jährigen Onohua, nachdem er im Sommer 2007 von einer Zivilstreife in Kalamaria gejagt worden war, der Mord an der 45jährigen Maria in Lefkimi im Zusammenhang mit einem Angriff der Polizei auf Menschen, die sich gegen eine Mülldeponie wehrten, der Mord am pakistanistischen Migranten in der Straße Petrou Ralli in Athen im letzten Monat, die alltägliche Erniedrigung und Gewalt gegen jeden kleine Missetäter bei Polizeiaktionen überall in Griechenland, die Schüsse gegen die TeilnehmerInnen von Studieredendemonstrationen im letzten Jahr, die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen, der Tränengas-Krieg der Polizei, die Gewalt gegen jeden, der protestiert ... Und natürlich der tagtägliche Mord an wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingen durch die Grenzpolizei. Selbst die Tode in den eisigen Wasser der Ägais oder den Minenfeldern von Evros: All dies ergibt das Bild der griechischen Polizei."

Diese Ereignisse können nicht einfach auf Zufälle oder die Verantwortung einzelner Polizisten reduziert werden. Der griechische Staat im Dienste des herrschenden Klasse bedient sich gezielt solcher Methoden um das Aufbegehren der Massen, das in den letzten Jahren in Griechenland deutlich zugenommen hat, niederzuhalten. Die Lohnabhängigen haben diesen Umgang satt.

Dieser Form des Klassenkampfes von oben muss der Klassenkampf von unten entgegnet werden. In den ersten Tagen haben die traditionellen Links- und Arbeiterparteien jedoch den autonomen Gruppierungen, die ihre Aufgabe alleine in wahllosen Anschlägen und dem Gemetzel mit der Polizeigewalt sehen, das Feld überlassen.

Diese Gangart gibt der Regierung aber nur ein Argument mehr im Namen der „Demokratie“ weiterhin hart durchzugreifen: "Niemand hat das Recht, diesen tragischen Vorfall als Alibi für Aktionen der rohen Gewalt zu missbrauchen, für Aktionen gegen unschuldige Menschen, gegen ihr Eigentum, gegen die ganze Gesellschaft und gegen die Demokratie", so der Wortlaut des Ministerpräsidenten Karamanlis.

Wirtschaftskrise und Generalstreik

Das wirtschaftlich schwache Griechenland ist angesichts der tief greifenden im wahrsten Sinne des Wortes arm dran. Laut der Online-Ausgabe der Tageszeitung Standard liegt das Einkommen jedes fünften Griechen unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit übersteigt sieben Prozent. Der Aufruf der griechischen Gewerkschaften (GSEE und ADEDY) im öffentlichen und privaten Sektor zum Generalstreik für Mittwoch, den 10.12., trug nicht umsonst die Losungen des Kampfes gegen Armut und Arbeitslosigkeit wie gegen die restriktive Lohnpolitik und die Reform des Pensionssystem. Auch das betrifft die Jugend genauso wie die ArbeiternehmerInnen. Vor allem Jugendliche, die „700 Euro-Generation“, die meist in prekären und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen, kennen das wahre Gesicht des griechischen Kapitalismus ganz genau.

Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Karamanlis ist offensichtlich nicht imstande und willens die Krise im Sinne der Lohnabhängigen zu bewältigen. Griechenland wird heute bildlich gesprochen von einem verheerenden Waldbrand heimgesucht, doch eine Feuerwehr will sich die Regierung nicht leisten. Kein Wunder, sie leben doch selbst in bewässerten Gebieten. Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich in der griechischen Gesellschaft ist mittlerweile von enormer sozialer Sprengkraft.

Die Gewerkschaften versuchen nun richtigerweise die Proteste der Jugendlichen mit denen der Lohnabhängigen zu verknüpfen und mobilisierten mit für den Generalstreik am Mittwoch. Sie sehen die Ursachen der Jugendbewegung nicht lediglich in der Ermordung des jungen Schülers, sondern auch als Ausdruck kollektiver Unzufriedenheit der Massen mit den weitreichenden sozialen Problemen Griechenlands. Der Generalstreik stellt somit eine neue Qualität dar. Die Massenorganisationen der Lohnabhängigen lenken nun selbst die Löschfahrzeuge, deshalb brennt jetzt der herrschenden Klasse Griechenlands ordentlich der Hut.

Rückritt der Regierung?

Der Vorsitzende der stärksten Oppositionspartei PASOK, Papandreou, fordert nun den Rücktritt der amtierenden Regierung der Neuen Demokraten (ND) und insbesondere dessen Galionsfigur, Ministerpräsident Karamanlis.

Mit dieser Forderung versucht die PASOK der wütenden Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung, die nach einer radikalen gesellschaftlichen Veränderungen suchen, einen Ausdruck zu verleihen. Der komfortable Vorsprung der PASOK in den Umfragewerten von bis zu 7% vor der rechten ND ist ebenfalls ein interessanter Indikator für die Stimmung in der griechischen Gesellschaft. Alle Parteien mit Wurzeln in der ArbeiterInnenbewegung (PASOK, die kommunistische KKE und die Linkspartei SYRIZA) zusammen kämen derzeit sogar auf rund 60 Prozent der Wählerstimmen.

Das „demokratische“ Regime Griechenlands steht auf äußerst wackeligen Beinen. Ein vom Standard interviewter österreichischer Auslandsstudent beschreibt die Stimmung in der griechischen Bevölkerung folgendermaßen: „Die Stimmung generell war hier schon vor dem Tod des Jugendlichen sehr schlecht gegenüber der Regierung. Ständig gab es Streiks. Heute war wieder Generalstreik. Die U-Bahnen fahren oft nicht, die Uni streikt auch fast jede Woche zwei Tage. Die meisten Jugendlichen gehen auf die friedlichen Großdemos. Hier sind aber nicht nur die Jugendlichen engagiert, sondern alle Altersgruppen.“ Er geht sogar so weit: „Es wird solange weiter gehen, bis die Regierung zurücktritt.“

Was es jetzt braucht ist eine Einheitsfront der Gewerkschaften, der Sozialdemokratischen Partei (PASOK), der kommunistische KKE und des Linksbündnisses SYRIZA sowie der Massenorganisationen der Jugend gegen die Politik der Regierung und die herrschende Klasse. Auf der Tagesordnung steht jetzt der Kampf für den Sturz der rechten Regierung.

Nur der Rücktritt der amtierenden Regierung und die Bildung einer neuen linken, sozialistischen Regierung unter dem Druck und der demokratischen Einbeziehung der Massen kann eine gesellschaftliche Umverteilung von Oben nach Unten gewährleisten. Dass dafür die Grenzen des kapitalistischen Systems gesprengt werden müssen, ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte der griechischen ArbeiterInnenbewegung. Der Generalstreik der Gewerkschaften und die militante Jugendbewegung gegen staatliche Repression zusammen können der Startschuss für eine sozialistische Wende sein!

Emanuel Van den Nest,
Redaktion der linken SchülerInnenzeitung "Brandsatz"


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