Ein Bericht über die aktuelle SchülerInnenbewegung in Frankreich. Von Joël Tourenne (Bordeaux)
Das Jahr 2008 ging in Frankreich im Zeichen der Mobilisierung der SchülerInnen gegen die geplante „Reform“ der Mittelschule zu Ende. Wie wir es bereits von ihm gewohnt sind, hat Xavier Darcos in seiner Funktion als Bildungsminister und treuer Schoßhund Sarkozys seine Geringschätzung für die GegnerInnen seiner Konterreform kundgetan. „Ich bin kein Minister des Zögerns“, posaunte er hinaus. Aber schon sehr schnell haben ihn das starke Anwachsen und die neuen Ausmaße der Mobilisierungen (nach seinen eigenen Angaben) „hellhörig und aufmerksam“ gemacht. Sarkozy hat ihn davon überzeugt, sein Vorhaben hinauszuschieben. Mit besorgtem Blick auf den Aufstand der griechischen Jugendlichen hat der Präsident beschlossen „abzuwarten“. In der Tat drohte die SchülerInnenbewegung mit jedem Tag ein wenig mehr, sich auch auf andere Teile der Bevölkerung auszuweiten.
Konterreform
Unter dem Deckmantel der „Modernisierung“ der Mittelschule zielt das Vorhaben von Xavier Darcos in erster Linie auf das Einsparen von Lehrkräften ab. Das ist das eigentliche Anliegen der Reform: Sparen. Schulstunden sollen eingespart werden und Wahlfächer in der Versenkung verschwinden. Durch die eingesparten Arbeitsplätze würde die Arbeitslast für die übrig gebliebenen Lehrkräfte weiter ansteigen. Die Ungleichheiten zwischen reichen und armen Schulen – und auch zwischen den SchülerInnen innerhalb derselben Schule – würden sich verschlimmern. Dies ist eine absolut inakzeptable Konterreform, die einen Rückschritt auf ganzer Linie bedeutet und der alle „Erklärungen“ und „Diskussionen“ der Welt kein fortschrittliches Mäntelchen umhängen können. Diese Konterreform ist zudem Teil eines generellen Angriffs auf die Gesamtheit des staatlichen Bildungswesens von den Volksschulen über die Gymnasien bis hin zu den Universitäten.
Darcos war stolz auf sein Projekt. Nur leider waren die SchülerInnen, diese „rückständigen“ AnhängerInnen eines Schulsystems aus einer anderen Zeit, die sich am Ideal einer öffentlichen und qualitativ hochwertigen Bildung fest klammern, anderer Meinung. Nach dem Vorbild ihrer „großen Geschwister“ an der Universität, die im Jahr 2007 im Kampf gegen das LRU (Autonomiegesetz der Universitäten) ihre Institute blockiert hatten, wurden zahlreiche Schulen von den SchülerInnen, den LehrerInnen und den Eltern eingenommen und blockiert. Ziel dieser Aktionen war es, die öffentliche Meinung und die Gesamtheit der Bildungseinrichtungen zu sensibilisieren und auf diese reaktionäre Offensive gegen das nationale Bildungswesen aufmerksam zu machen.
Wie schon im Kampf der StudentInnen gegen das Autonomiegesetz ist es der SchülerInnenbewegung gelungen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erringen und den Kreis ihrer UnterstützerInnen von Tag zu Tag auszuweiten. Dank dieser erfolgreichen Bemühungen ist es gelungen, eine solide Basis für einen wirklichen Erfolg zu legen. Denn der „Rückzug“ von Darcos reicht noch nicht aus. Ein tatsächlicher Sieg wäre nur die vollständige Rücknahme des Gesetzesvorschlags, die jetzt in erreichbare Nähe gerückt ist.
Denn nach einer Woche von Mobilisierungen in allen großen Städten Frankreichs hat Xavier Darcos am 15. Dezember 2008 verlautbart, dass es sich um ein unglückliches Missverständnis handle und dass er bereit sei, die Einwände der Jugendlichen anzuhören und nicht beabsichtige, die Reform „ohne die SchülerInnen“ in Angriff zu nehmen. Was für ein spektakulärer Umschwung! Denn kurz davor hatte Darcos noch die Gewerkschaften in hastigen „Diskussionen“ abgefertigt und erklärt, dass die Demonstrationen ein „überholtes Mittel“ wären, um sich Gehör zu verschaffen.
Weder naiv noch passiv: Nieder mit der Reform!
Die SchülerInnen haben in diesem Kampf eine bemerkenswerte Entschlossenheit an den Tag gelegt und auch die anbrechenden Weihnachtsferien konnten die Bewegung nicht schwächen. Sie haben außerdem durchschaut, dass das momentane Aussetzen der geplanten Reform nur ein taktisches Manöver ist: Darcos Absicht ist es, uns die selbe Reform wieder vorzulegen, sobald die Mobilisierung nachgelassen haben wird, in der Hoffnung, dass es den SchülerInnen nicht ein zweites Mal gelingen wird, eine Bewegung von diesem Umfang auf die Beine zu stellen. Doch die SchülerInnen bewiesen mehr Grips: am Tag nach Darcos’ Ankündigung, die Reform zu verschieben, intensivierte sich die Mobilisierung sogar noch und erreichte in den meisten Städten ihren bisherigen Höhepunkt. Am 16. Dezember 2008 fanden sich in Bordeaux 7.000 DemonstrantInnen ein – das war ein neuer Rekord. Zahlreiche StudentInnen und ArbeiterInnen haben sich dem Demonstrationszug angeschlossen und auf diese Weise die Solidarität von breiten Schichten der Bevölkerung gegen eine Regierung, die immer mehr in Misskredit gerät, gezeigt.
Der spontane und unkontrollierbare Charakter der Bewegung hat dazu beigetragen, Panik in den Reihen der Regierung zu verbreiten. In Bordeaux zum Beispiel wurden viele Demonstrationen nicht von den Gewerkschaften organisiert. Zahlreiche mehr oder weniger improvisierte „kleine“ Demonstrationen haben die Verkehrswege und die Straßenbahnen blockiert. So ist es teilweise gelungen, den Verkehr von zehn Uhr morgens bis in den späten Nachmittag (und manchmal sogar bis acht Uhr abends) lahm zu legen. Der SchülerInnenbewegung ist die Glanzleistung gelungen, zwei Wochen lang täglich Demonstrationen zu organisieren. Verunsichert durch diese lang anhaltende Mobilisierung wusste die Staatsmacht sich nicht mehr zu helfen.
Repression
Doch noch ist nichts gewonnen: die Mobilisierung darf nicht nachlassen bevor das Reformprojekt endgültig begraben ist. Keine Abänderungen oder faule Kompromisse, sondern die vollständige Aufhebung des Entwurfs ist unser Ziel! Die OrdnungshüterInnen werden ihrerseits fortfahren, die Bewegung zu provozieren. Ihre Vorgabe ist es, beharrlich und bestimmt gegen sie vorzugehen. In Bordeaux hat die Polizei am 11. Dezember 2008 eine Brücke blockiert, um zu verhindern, dass die DemonstrantInnen vom rechten Flussufer zu jenen vom linken Flussufer gelangen konnten. Das war eine schöne Zurschaustellung der Angst des bürgerlichen Staatsapparates vor der wachsenden Bewegung. Dieser befürchteten offensichtlich eine Verbrüderung breiter Teile der Bevölkerung mit den Jugendlichen und infolge dessen eine Verbindung der einzelnen Kämpfe zu einem geeinten Block gegen die Regierung.
Die Polizei wird den Druck aufrecht erhalten. Die Einheiten der CRS (vergleichbar mit dem Mobilen Einsatzkommando in Österreich – Anm. der Übersetzerin) werden auch in Zukunft gegen jegliche Besetzungen von öffentlichen Gebäuden mit Tränengas vorgehen. Angesichts dieser Aussicht kann es für uns nur eine Losung geben: Widerstand und Mobilisierung bis zur Rücknahme der Reform! Der Kampf der SchülerInnen muss im Jänner 2009 wieder aufgenommen und es müssen neue, noch größere Demonstrationen organisiert werden!
Joël Tourenne (Bordeaux)
Übersetzung: Anna Götsch<(i>
Veröffentlicht am 5. Jänner 2009 auf La Riposte