Wir führten ein Interview mit Alessandro Giardiello von der marxistischen Strömung Falce Martello in Italien über ihre Arbeit in der kommunistischen Bewegung und den Zustand der italienischen ArbeiterInnenbewegung.
Funke: Kannst du kurz deine Einschätzung der ArbeiterInnenbewegung in Italien abgeben?
Alessandro Giardiello: Italien hat in den Jahren 2001-4 eine Welle von Klassenkämpfen und massiven Protestbewegungen erlebt (Genua, Kampf zur Verteidigung des Kündigungsschutzes,…). Die traditionellen Parteien der ArbeiterInnenbewegung haben nach dem Wahlsieg von 2007 eine Mitte-Links-Koalition unter Romano Prodi aktiv unterstützt. Die sozialdemokratische DS hat sich mittlerweile in die Demokratische Partei umbenannt und in eine klassische bürgerliche Partei transformiert. Die Rifondazione Comunista (RC) hat ihre Unterstützung der Regierung und den damit verbundenen politischen Rechtsruck teuer bezahlt. Bei den letzten Wahlen hat sie keinen einzigen Parlamentssitz mehr erhalten. Zuvor hatte sie 70 Abgeordnete.
F.: Wie stark ist die RC heute?
A.G.: Auf dem Papier zählt sie 50.000 Mitglieder, doch aktiv sind nur rund 20.000. 5000 davon sind durch ihre Funktionen in Regional- und Stadtparlamenten usw. auf die eine oder andere Art und Weise von der Partei abhängig. Angesichts der Rechtsentwicklung unter Fausto Bertinotti haben sich viele GenossInnen ins Privatleben zurückgezogen und warten ab, wie sich die Partei weiter entwickelt. Unmittelbar nach der Wahlniederlage vor einem Jahr hatten viele die RC abgeschrieben, es kam in den letzten zwei Jahren zu drei linken Abspaltungen von der RC, die anfangs durchaus auch ein Momentum hatten, z.B. bei den Protesten gegen den Bush-Besuch in Rom. Nicht wenige GenossInnen haben in der Phase die RC für tot erklärt. Dazu kam, dass Bertinotti mit seinem Konzept der Regenbogen-Linken aktiv die Liquidation der RC in einem pluralen Linksprojekt vorantrieb. Bertinottis Ziel war und ist es, die Linke als Anhängsel der Demokratischen Partei zu einem Teil der Machtelite zu machen.
F.: Der Kongress der RC im vergangenen Sommer brachte dann aber eine überraschende Wende.
A.G.: Das stimmt. Eine Koalition der linken Oppositionsströmungen in der RC erhielt eine Mehrheit gegen die AnhängerInnen von Bertinotti. Ferrero, ein ehemaliger FIAT-Arbeiter, der bis dahin die Nr. 2 der Partei war und in der Regierung Prodi selbst ein Ministeramt bekleidete, übte offen Selbstkritik und brach mit der bisherigen Parteispitze. Seine Position lautete „Nein zu einer neuerlichen Regierungsbeteiligung“ und Beibehaltung des alten Parteisymbols (Hammer und Sichel). Jetzt leitet eine recht heterogene Koalition aus den Leuten um Ferrero, rechten und linken StalinistInnen sowie uns die Partei.
Wir von der marxistischen Strömung erhielten bei diesem Kongress 3% oder 1700 der Stimmen in den Konferenzen der Ortsparteien. Innerhalb von 5 Wochen präsentierten wir in fast 1500 Ortsparteien und Sektionen unser Konferenzdokument. Seither haben wir den Ruf die „Arbeiterströmung“ in der RC zu sein. Für unsere Arbeit in der RC war dieser Kongress ein echter Durchbruch.
F.: Wofür steht die RC jetzt?
A.G.: Nun, einige Monate versuchte die Strömung von Bertinotti die Kontrolle über die Partei zurück zu erlangen. Dieser Versuch ist gescheitert. Vor kurzem spaltete er sich mit seinen AnhängerInnen ab. Die Koalition der linken Strömungen einigte sich auf ein Kompromissdokument, das doch einen merklichen Linksschwenk einläutete. Das Ziel ist klar definiert: Die Partei wieder in den Betrieben und vor Ort zu verankern und aufzubauen. Aus unserer Sicht gibt es keinen grundlegenden politischen Unterschied zwischen Bertinotti und Ferrero, aber wir werden jeden Schritt aktiv unterstützen, der tatsächlich einen Linksschwenk bringen kann. Den Worten der neuen Parteispitze müssen jetzt Taten folgen. Wir sind bereit unter diesen Bedingungen Verantwortung in der Partei zu übernehmen, ansonsten wäre unsere Unterstützung für diese Koalition an der Parteispitze steril und würde uns keinen Schritt weiter bringen. Dass die Rechte in der RC verloren hat, wird von vielen als unser Verdienst gesehen. Wir werden vor allem als die gesehen, die tatsächlich eine linke RC aufbauen wollen.
F.: Welche Rolle spielt ihr in der RC jetzt?
A.G.: Wir haben für unsere Strömung den Verantwortungsbereich Gewerkschaftsarbeit gefordert und auch bekommen. Unser Genosse Claudio Belotti gehört zur 7köpfigen „Nationalen Leitung“, mehrere GenossInnen von uns sind in den höchsten Parteigremien vertreten. Ich persönlich bin für die Organisierung der Arbeit der RC in den Betrieben verantwortlich. Wir haben im Dezember eine Kampagne zur Mobilisierung für den Generalstreik organisiert. Dabei waren wir vor rund 500 Fabriken im ganzen Land präsent und verteilten 1 Million Flugblätter. In vielen Betrieben wurden wir zu Versammlungen eingeladen, um dort über die Notwendigkeit des Generalstreiks zu referieren. In der Stahlindustrie und in den Häfen sind wir gerade dabei die Betriebszellen der RC neu aufzubauen.
Mit Bruno Rossi, einem der historischen Führer der Hafenarbeiter aus Genua aus den späten 1960ern, und Antonio Santorelli, dem Führer der FIAT-Arbeiter in Kampanien, konnten wir zwei Galionsfiguren der kommunistischen Gewerkschaftsbewegung für unsere Arbeit gewinnen.
Für den 13.2. mobilisieren wir zur Unterstützung der CGIL, die einen 8-stündigen Streik in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst organisiert. Es geht um die Verteidigung des nationalen Kollektivvertrags. Alle politischen Kräfte stellen sich dabei gegen die CGIL, die unter großem Druck steht. Die RC ist die einzige relevante Kraft, die sich mit ihr jetzt solidarisiert. Die Reform der KV-Gesetzgebung soll der Gewerkschaftsbewegung den Todesstoß versetzen. Wir nehmen diesen Konflikt sehr ernst, es ist eine Überlebensfrage der organisierten ArbeiterInnenbewegung. Dadurch konnten wir aber nicht nur unseren Einfluss in der CGIL erhöhen, sondern es wurde auch eine Zusammenarbeit mit den Basisgewerkschaften (COBAS) möglich.
Die Herausbildung einer Gewerkschaftslinken mit Massenverankerung ist eine unserer Hauptaufgaben in der nächsten Periode.
F.: Du sagst, dass es keine großen Unterschiede zwischen Bertinotti und Ferrero gibt. Wo verlaufen derzeit die Konfliktlinien in der neuen RC?
A.G.: Eine zentrale Frage ist, ob die RC auf regionaler und lokaler Ebene Teil von Mittel-Links-Koalitionen bleibt oder ob sie sich ganz klar gegen solche Regierungsbeteiligungen ausspricht. Diese Frage ist ein großes Problem für die Bürokratie in der RC. Wir stellten im neu gewählten ZK einen Antrag gegen Regierungsbeteiligungen und bekamen die Unterstützung von 31 ZK-Mitgliedern. In einigen Stadtparteien (Ciampino, Parma, Modena) haben wir für unsere Position bereits eine Mehrheit bekommen und die Koalitionen aufgekündigt.
F.: In Italien sahen wir in den letzten Monaten massive Jugendproteste. Welche Rolle konntet ihr in dieser Bewegung spielen?
A.G.: In mehreren Orten und Regionen stellt unsere Strömung die Verantwortlichen für SchülerInnen- und StudentInnenarbeit der RC. Mit den CSP und den CSU haben wir an etlichen Schulen und Unis aktive Gruppen, die eine wichtige Rolle in den Mobilisierungen spielten. In Caserta, Trieste, Udine führen wir die Bewegung an, in Städten wie Mailand, Bologna sind wir einer der treibenden Teile der Protestwelle. Die Bewegung ist jedoch politisch sehr heterogen. Konzepte des „zivilen Ungehorsams“, Organisationsfeindlichkeit und eine gewisse Skepsis gegenüber gemeinsamen Aktionen mit der ArbeiterInnenklasse sind sehr weit verbreitet. Das ist nicht zuletzt die Verantwortung der bisherigen Führung der Giovani Comunisti, der Jugendorganisation der RC, die unter dem Einfluss der Bertinottiani stand. Aber auch Organisationen wie die mandelistische Sinistra Critica unterstützen solche Konzepte.
F.: Wie siehst du die Perspektiven für die RC?
A.G.: Wir müssen betonen, dass ein Rückfall in die Vergangenheit der RC nur dann verhindert und eine starke, linke RC aufgebaut werden kann, wenn wir die marxistische Strömung rund um FalceMartello stark machen. Wer den Worten am Kongress konkrete Taten folgen lassen will, der muss die marxistische Strömung unterstützen. Die EU-Wahlen im Juni werden ein erster Test sein, ob sich die RC aus ihrer Krise herausziehen konnte und von der Linken, von klassenkämpferischen ArbeiterInnen und den in der Protestwelle der letzten Monate aktiven SchülerInnen und StudentInnen als ihre Partei gesehen wird. Wir werden bei dieser Wahl KandidatInnen stellen. Ein Wahlerfolg bei den EU-Wahlen würde dem Projekt einer linken RC weiteren Auftrieb geben und viele GenossInnen wieder aktivieren. Noch wichtiger ist aber unsere konsequente Arbeit zur Verankerung der Partei und des Marxismus in den Betrieben, Schulen und Unis. Unsere Perspektive ist ein neues 1968 in Italien und in ganz Europa. Unter diesen Bedingungen wird die RC nach links gehen (müssen) – und FalceMartello wird dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Das Ziel muss sein, die RC für die Ideen des genuinen Marxismus zu gewinnen.