Im Rahmen eines Treffens von VertreterInnen der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) machten wir mit Barbara Areal ein Interview über die Arbeit der spanischen MarxistInnen in den Gewerkschaften und über die Rolle der SchülerInnengewerkschaft SE.
Funke: Barbara, Spanien gehört in Europa zu den Ländern, die bisweilen am stärksten von der Krise betroffen sind. Welche Auswirkungen hat das auf politischer Ebene?
Barbara: Die sozialdemokratische Regierung unter Zapatero versucht diese Krise zu verwalten. Dabei setzt sie auf eine ähnliche Politik wie die Regierungen in anderen europäischen Ländern. Mit der Verabschiedung eines enormen Banken-Rettungspaketes hat die PSOE ganz klar eine Politik gegen die Interessen der Lohnabhängigen und der Jugend gemacht. Andererseits müssen wir sehen, dass es eine Massenbewegung war, die den Boden für den Wahlsieg der PSOE geebnet hat. Dies erklärt auch, warum Zapatero gezwungen ist, einen Diskurs zu pflegen, den den Anschein erweckt, als wäre das Hauptanliegen der Regierung die Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen.
In den letzten Wochen hat sich die PSOE außerdem in der Frage des Kriegs in Gaza sehr links gegeben und sogar Großdemos organisiert. Dieser Versuch, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, ist aber durchaus ein Spiel mit dem Feuer. In Spanien herrscht angesichts der Auswirkungen der Krise eine Stimmung vor, die jederzeit zu einem Generalstreik führen könnte. In bürgerlichen Medien war mehrfach die Befürchtung vor einer sozialen Explosion wie in Griechenland zu lesen. Ein Kommentator erinnerte sogar an die massiven SchülerInnenproteste aus den Jahren 1986/7, in denen die Sindicato de Estudiantes (SE) zu einer Massenorganisation wurde.
F.: Du warst selbst früher Vorsitzende der SchülerInnengewerkschaft SE. Die SE hat im vergangenen Herbst eine Reihe von Protesten organisiert. Kannst du uns über diese Bewegung etwas erzählen?
B.: Ja, die SE hat am 22.10. und am 13.11. landesweit Streiks an Schulen und Universitäten organisiert. Dabei haben die GenossInnen der SE ihre konkreten Forderungen im Bildungsbereich, z.B. Nein zum Bologna-Prozess, mit der Frage der generellen Wirtschaftskrise in Verbindung gebracht. Ihr Motto lautete „Die Kapitalisten sollen ihre Krise selber zahlen!“. Außerdem richteten wir mit dieser Protestbewegung die Forderung nach einem 24stündigen Generalstreik an die beiden großen Gewerkschaftsdachverbände CCOO und UGT.
Diese beiden Streiktage waren ein voller Erfolg. Auf unseren Demos in 60 verschiedenen spanischen Städten waren Zehntausende SchülerInnen und StudentInnen. Diese Streiks waren von ihrem Charakter noch keine soziale Explosion nach griechischem Vorbild, aber sie zeigten das revolutionäre Potential in wichtigen Teilen der Jugend. Die beliebtesten Slogans auf den Demos waren z.B. „Es gibt genügend Geld – Holen wir es uns von den Bankern“, „Für einen gemeinsamen Streik der ArbeiterInnen und SchülerInnen“ oder „Wenn es keine Lösung gibt - dann gibt es Revolution“.
F.: Diese Proteste wurden von der SE organisiert. Organisieren sich die Jugendlichen jetzt auch dauerhaft in der SE?
B.: Unmittelbar nach dem zweiten Streiktag hielt die SE ihren jährlichen Kongress ab, wo die Bewegung bilanziert und eine neue Führung gewählt wurde. Die SE ging massiv gestärkt aus dieser Bewegung hervor. Sie hielt an Schulen und Unis insgesamt 425 Veranstaltungen hab. Im Zuge der Mobilisierungen traten 2450 SchülerInnen und StudentInnen der SE neu bei. Der Kongress spiegelte die Begeisterung wider, die dieser Protest bei vielen Jugendlichen ausgelöst hat. Diese Bewegung hat die führende Stellung der spanischen MarxistInnen in der SE eindrucksvoll untermauert.
F.: Eure Jugendarbeit konzentriert sich aber nicht nur auf die SE. Vor allem in Euskadi/Baskenland habt ihr in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht.
B.: Das stimmt. Es ist uns nach Jahren harter Arbeit gelungen, in der linken baskischen Jugendbewegung die marxistische Strömung zu verankern. Erst vor wenigen Tagen nahmen unsere GenossInnen an einer riesigen Solidaritäts-Demo mit den politischen Gefangenen in Euskadi teil und verkauften dort rund 500 Stück der baskischen Ausgabe unserer Zeitung. Wir haben jetzt in einer der Hochburgen der baskischen Nationalistenbewegung ein eigenes Lokal, unsere „Marxistischen Tage“ an der Universität von Donosti/San Sebastian waren letztes Jahr ein voller Erfolg. Mit der Herausgabe marxistischer Klassiker in baskischer Sprache haben wir uns mittlerweile auch auf der Buchmesse einen Namen gemacht.
F.: Kurz zurück zur Arbeit der SE. Die SE hat sich in Spanien auch in den Gewerkschaften einen guten Namen gemacht, weil sie sich regelmäßig mit Arbeitskämpfen solidarisch zeigt.
B.: Ja, die SE sieht in der Schaffung einer Einheitsfront mit den Gewerkschaften und kämpfenden Belegschaften eine ihrer Hauptaufgaben. Wir machen einerseits Angebote an die Führung der Gewerkschaften den Kampf gemeinsam zu führen, wie wir dies mit einem „Offenen Brief“ heuer auch getan haben, wo wir eben einen Generalstreik fordern. Andererseits gehen wir direkt zu den Betrieben und bieten dort unsere Solidarität an. Ein gutes Beispiel ist unsere Intervention beim Arbeitskampf der NISSAN-ArbeiterInnen in Barcelona. Durch diese Orientierung der SE auf die ArbeiterInnenbewegung konnten wir in den letzten Monaten eine Reihe von wichtigen GewerkschaftsaktivistInnen für die marxistische Strömung gewinnen.
F.: Wie hat eure Gewerkschaftsarbeit im letzten halben Jahr ausgesehen?
B.: Sie stand vor allem im Zeichen der Propagandatätigkeit für einen Generalstreik. Landesweit verteilten wir 50.000 Flugblätter vor Fabriken. Wir haben in zehn größeren Städten Gewerkschaftskonferenzen organisiert, die allesamt sehr gut besucht waren.
Wie wir bei der letzten Konferenz der CCOO gesehen haben, ist die Gewerkschaftsbewegung noch sehr von der älteren Generation geprägt. Unser Hauptaugenmerk liegt deshalb bei direkten Interventionen vor Betrieben, vor allem dort, wo es Arbeitskämpfe gibt. Wir nahmen im letzten halben Jahr an insgesamt 35 solchen Arbeitskämpfen aktiv teil. Unsere wichtigste Forderung lautet, dass wir diese Kämpfe vernetzen und gemeinsam führen. Durch die Krise kommt es derzeit in Tausenden Fabriken in ganz Spanien zu Entlassungen. In nicht wenigen Betrieben gibt es dagegen Widerstand, der ist aber meist isoliert. Die Antwort der Gewerkschaften muss eine große Demo gegen Stellenabbau sein. In Vitoria (Euskadi) haben wir auf lokaler Ebene gezeigt, dass dies möglich wäre. Ein Genosse von uns arbeitet dort in einer relativen kleinen Fabrik mit 120 Beschäftigten, die von Stellenabbau betroffen ist. Auf unsere Initiative hin hat diese Belegschaft vor ihren Werkstoren eine Demonstration organisiert, an der sich insgesamt 800 ArbeiterInnen, viele von umliegenden Fabriken, die in einer ähnlichen Situation sind, beteiligt.
Bemerkenswert ist, dass wir in den letzten Monaten mit einer Reihe von jungen ArbeiterInnen in Kontakt gekommen sind, die unter dem Eindruck der Krise zum ersten Mal gewerkschaftlich aktiv werden. So konnten wir z.B. bei einem Zulieferbetrieb der Modekette ZARA 30 junge ArbeiterInnen organisieren.
Was wir leider auch sehen, ist eine verstärkte Repression gegen kämpferische GewerkschafterInnen. Im letzten Jahr wurden drei unserer GenossInnen (in Tarragona, in Malaga und in Asturias) aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit suspendiert. Die Bosse haben offensichtlich Angst vor einer kämpferischen und selbstbewussten Belegschaftsvertretung. Den Betriebsrat los zu werden, sehen sie als Voraussetzung für einen Generalangriff auf die Belegschaft. In all diesen Fällen haben wir gesehen, dass schon 1-2 GenossInnen einen Unterschied machen können und zum Referenzpunkt für viele andere KollegInnen werden. Dies umso mehr, weil die offizielle Gewerkschaftsführung diesen Angriffen tatenlos zusieht und die Hände in den Schoß legt.
Wichtige Fortschritte machten wir auch in Andalusien, wo wir eine führende Position in der sehr kämpferischen Gewerkschaft der LandarbeiterInnen (SOC) gewonnen haben. Jüngst konnten wir eine Veranstaltung mit mehr als 50 LandarbeiterInnen organisieren.
F.: Die marxistische Strömung in Spanien ist auch für die Herausgabe marxistischer Literatur sehr bekannt. Welche Schwerpunkte habt ihr dabei gesetzt?
B.: Die „Fundacion Federico Engels“ ist tatsächlich der größte Herausgeber marxistischer Literatur in der spanisch sprechenden Welt. Letztes Jahr haben wir 14 neue Bücher herausgegeben. Wir sind neben den Buchmessen im eigenen Land auch auf den Buchmessen in Havanna, Caracas, Mexico Ciudad und anderen lateinamerikanischen Städten präsent. Die Verkaufszahlen sind stark steigend. Heuer wollen wir sogar 15 neue Titel auflegen.
F.: Ein Schlusswort deinerseits?
B.: Ich denke, dass wir uns in Spanien auf eine soziale Explosion vorbereiten müssen. Die Voraussetzungen für eine sprunghafte politische Entwicklung sind gegeben. Unsere Strömung hat die nötigen Strukturen und ansatzweise auch die nötige soziale Verankerung sowohl in den Betrieben wie auch in der Jugend, um in so einem Fall eine zentrale Rolle spielen zu können. Mit der SE haben wir de facto eine traditionelle Massenorganisation im Jugendbereich. Wir sind zuversichtlich, dass wir in den kommenden Monaten eine schlagkräftige revolutionäre Organisation darstellen werden.
F.: Danke für das Gespräch.