Wir führten vor kurzem in Barcelona im Rahmen der Sommerschulung der International Marxist Tendency (IMT) ein Interview mit Alessandro Giardiello, Alessio Marconi und Jacopo Esteban Renda.

Funke: Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise auf Italien aus?

Alessandro Giardiello: Italien ist von der Weltwirtschaftskrise ganz besonders stark betroffen. Die These, Italien sei eines der schwächsten Glieder in der Kette des europäischen Kapitalismus, erweist sich einmal als richtig. Für die Bürgerlichen gibt es nur einen Weg aus dieser Krise, und der führt über massiven Sozialabbau und Angriffe auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen. Schon jetzt sehen wir einen neuerlichen Versuch den Kündigungsschutz bzw. einen Vorstoß, das staatliche Sozialsystem auf eine Art Mindestsicherung zurückzufahren.

Funke: Wie reagieren die Gewerkschaften und die linken Parteien auf diesen drohenden Sozialabbau?

Alessio Marconi: Wir haben in den letzten Monaten schon eine Reihe von großen Mobilisierungen gesehen. Vergangenen Herbst erlebten wir die größten SchülerInnen- und Studierendenproteste seit Jahrzehnten – die „Onda“ (die Welle, Anm.). Dabei ging es gegen den Plan Zehntausende Dienststellen von LehrerInnen bzw. Verwaltungspersonal zu kürzen bzw. gegen die Privatisierung der Unis. Diese Bewegung hat sich durch großen Klasseninstinkt ausgezeichnet. Es wurde spontan aus der Bewegung die Forderung nach einem anderen Bildungswesen entwickelt. Ein wichtiger Punkt für die Radikalisierung der Bewegung war die offene Konfrontation mit faschistischen Gruppen, welche die Demos angriffen. Instinktiv wurde auch die Einheit mit den Kämpfen der Gewerkschaften gesucht. Gescheitert ist die Onda aber an der Weigerung der Führung dieser Bewegung, den Autonomen, demokratische Organisationsformen aufzubauen.

Alessandro Giardiello: Dazu kommen zwei große Streikbewegungen durch die CGIL (den linken Gewerkschaftsdachverband, Anm.). Die große Kampfbereitschaft, die wir in diesen Bewegungen sahen, findet bis jetzt aber keinen Ausdruck in der Führung dieser Bewegungen. So weigerte sich die CGIL-Führung nach dem erfolgreichen Streik am 13. Februar einen weiteren Streiktag zu organisieren und beschränkte sich auf die Organisierung einer Großdemo Anfang April. Dort hatte die Gewerkschaftsführung nichts Besseres zu tun, als zu einer Neuauflage der Sozialpartnerschaft aufzurufen. Das ist auch der Grund, warum sich die Regierung Berlusconi und die Confindustria (die Industriellenvereinigung, Anm.) bisher durchsetzen konnten. Das größte Manko ist derzeit sicher, dass die traditionellen linken Parteien nach dem Debakel bei den letzten Parlamentswahlen noch immer schwer angeschlagen sind.

Funke: In der Rifondazione Comunista (RC) gab es doch am letzten Parteikongress in Chianciano einen Linksruck. Wie ist die Bilanz nach einem Jahr?

Alessandro Giardiello: Die alte Parteispitze um Bertinotti und Vendola wollte die RC in einem breiten linken Bündnis mit den Grünen, linken SozialdemokratInnen und der PCdI aufgehen lassen. Dieses Projekt erlitt bei den Wahlen aber ein schweres Debakel. Mit nur 3% der Stimmen gelang nicht einmal der Einzug ins Parlament. Die Ursache für diese Schlappe ist in der aktiven Unterstützung der Regierung von Romano Prodi durch die RC zu sehen. Das war ein Schock für viele AktivistInnen. Paolo Ferrero, selbst Sozialminister unter Prodi, vollzog dann plötzlich einen Linksschwenk und kämpfte gegen die Liquidierung der Partei und ihrer kommunistischen Traditionen. Die diversen linken Strömungen erhielten am Parteitag dann eine knappe Mehrheit. Wir von „Falce Martello“ beteiligten uns an dieser linken Einheitsfront und sind seither Teil der Parteiführung. Dabei stehen wir für folgenden Grundsatz: Wer die RC wieder zu einer Kampfpartei machen und die Rechten stoppen will, der muss dafür sorgen, dass sie in den Betrieben, den Schulen, Unis und Stadtteilen wieder verankert wird. Um zu zeigen, dass dies mit unseren Ideen und Methoden am besten geht, haben wir die Verantwortung für die Betriebsarbeit der RC übernommen.

Funke: Wie sieht diese Arbeit konkret aus?

Alessandro Giardiello: Wir betreuen in erster Linie die rund 70 Betriebsgruppen der RC, die es auf dem Papier gibt. Diese Arbeit zeitigt erste Früchte. Wir konnten die Betriebsgruppen in einer Reihe von großen Fabriken wieder beleben, so bei in den Stahlwerken in Taranto oder im Hafen von Genua usw. Einen exemplarischen Kampf führen wir seit Monaten mit den ArbeiterInnen des FIAT-Werkes in Pomigliano d’Arco bei Neapel.

Jacobo Esteban Renda: Der Autokonzern FIAT ist das Herz des italienischen Kapitalismus. Über eine Million ArbeiterInnen sind in und rund um diesen Konzern beschäftigt. FIAT war der Dreh- und Angelpunkt aller großen Klassenkämpfe in den letzten 100 Jahren. Der Konzern konnte auch 2008 seine Profite weiter steigern, doch die Überproduktion in der Autoindustrie macht auch FIAT Probleme. Das Management antwortet mit einer enormen Steigerung der Ausbeutung. In Pomigliano wurde in den letzten Jahren die Tagesproduktion von 660 auf 1000 Autos gesteigert – und das ohne eine Ausweitung der Investitionen in bessere Maschinen. Aus den ArbeiterInnen wurde das Letzte herausgepresst. Es ist dieselbe Dynamik wie in den 1950ern, und verbunden mit einem sehr brutalen Fabriksregime. Betriebsräte wurden entlassen, im Werk gibt es einen eigenen Security-Dienst, für unliebsame MitarbeiterInnen gibt es einen eigenen „Pool“, wo sie gebrochen werden und hinaus gemobbt werden sollen. Dementsprechend schwach ist die Organisierung der Belegschaft. In Pomigliano war die RC-Betriebssektion am Ende, die linke Metallergewerkschaft FIOM hat ihre Mehrheit bei den Betriebsratswahlen verloren gehabt.

Alessandro Giardiello: Doch wir sind dabei das zu ändern. Die kommunistische Tradition hat im Werk trotz alledem weitergelebt, auch wenn die Organisation nicht mehr existierte. Es ist uns gelungen durch geduldige Arbeit vor den Werkstoren eine Reihe von KommunistInnen im Werk von unseren Ideen zu überzeugen. Die RC-Betriebsgruppe hat heute wieder 30 Mitglieder. Sie sind der Kern des Widerstands gegen die drohende Werksschließung.

Jacobo Esteban Renda: Am Anfang überwiegte die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust bei den meisten KollegInnen. Zuerst erarbeiteten wir gemeinsam mit einem Genossen, der bei einer Umweltorganisation arbeitet, einen Plan zur Umstellung der Produktion auf ökologisch nachhaltigere und sozial sinnvolle Fahrzeuge für ein Programm zur Umrüstung des Taxi-Fuhrparks in ganz Süditalien auf Elektroautos. Rund um diesen Plan argumentierten wir, dass eine Schließung selbst aus Sicht des Konzerns und der Regierung, die in diesem Fall immer mit der Notwendigkeit der Erreichung der Kyoto-Ziele kommt, nicht stimmig ist. Auf dieser Grundlage konnte die Belegschaft von 5000 KollegInnen dafür gewonnen werden, den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu beginnen. Ende Februar organisierten wir einen Streik, den die gesamte Stadt unterstützte. Wir organisierten außerdem Veranstaltungen an allen Fakultäten der Uni in Neapel, um die Einheit zwischen den Studierenden mit den FIAT-ArbeiterInnen herzustellen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung kamen mehr als 500 ArbeiterInnen um mit Rinaldini von der FIOM und RC-Vorsitzendem Ferrero über die Perspektiven dieses Kampfes zu diskutieren. Gleichzeitig haben unsere Genossen im Betrieb eine Debatte mit den KollegInnen gestartet, dass im Ernstfall die Belegschaft den Betrieb besetzen müsste. Bei den EU-Wahlen kandidierte dann Mimmo Loffredo von der Betriebsgruppe für die RC. Wir wollten den Wahlkampf nutzen um in ganz Süditalien den Kampf bei FIAT Pomigliano bekannt zu machen und die Solidaritätsbewegung auszuweiten. Das Echo auf diese Kampagne war gewaltig. Mimmo erhielt mit 8000 Vorzugsstimmen mehr als doppelt so viele, wie wir uns als Ziel gesteckt haben.

Alessandro Giardiello: Wir haben hier im Kleinen gezeigt, wie die RC wieder zu einer echten Kraft werden könnte. Das hat vielen ArbeiterInnen in der RC wieder Mut gemacht, dass endlich einer von ihnen der Partei ein Gesicht und eine Stimme gibt. Wir konnten in diesem Wahlkampf zeigen, wie die Linke wieder aus der Krise finden könnte. Auf diese Weise sammelt sich die Avantgarde der kommunistischen ArbeiterInnenbewegung wenn auch unter schwierigen Bedingungen langsam aber sicher um unsere Strömung.

Funke: Wie reagiert die Parteispitze auf diese Arbeit? Geht sie ebenfalls nach links?

Alessandro Giardiello: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Paolo Ferrero hat bereits einen Rechtsruck eingeleitet. Er nimmt das relativ schwache Ergebnis bei den EU-Wahlen zum Anlass die Überbleibsel der Parteirechten wieder in die Parteispitze zu integrieren. Außerdem laufen die Diskussionen für eine Neuauflage eines linken Parteienbündnisses auf einer sehr schwammigen inhaltlichen Grundlage. Im Herbst wird sich entscheiden, ob wir unter diesen Umständen nicht gezwungen sind aus der engeren Parteiführung auszuscheiden. Wir werden aber dort, wo wir konkrete Verantwortung übernommen haben (Betriebsarbeit, Jugendarbeit), die Arbeit entlang unserer Methoden weitermachen und eine starke marxistische RC aufbauen.

Funke: Zurück zu den Gewerkschaften. Im Herbst findet der Kongress der CGIL statt.

Alessandro Giardiello: Die CGIL ging in den letzten Jahren unter den Mitte-Links-Regierungen stark nach rechts. Unter der Regierung Berlusconi sieht sie sich einem Frontalangriff ausgesetzt. Diese hat nämlich mit den viel kleineren Gewerkschaftsverbänden CISL, UIL und sogar mit der faschistischen UGL separat Abkommen unterzeichnet. Die CGIL war bislang zu keinem Gegenschlag fähig. Viele ArbeiterInnen sehen in der CGIL keine Perspektive, es fehlt ihnen das Vertrauen, dazu kommt die Angst um den Arbeitsplatz. Das hat die Kampffähigkeit in vielen Bereichen massiv geschwächt. Temporär suchen viele Lohnabhängige eine individuelle Lösung aus der Krise. In wichtigen Betrieben hat sie deutlich an Unterstützung verloren und die Mehrheit verloren (z.B. bei Piaggio oder bei FIAT in Termoli). Die CGIL steht heute eindeutig an einem Scheideweg – Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf. Die organisierte Gewerkschaftslinke, das Netzwerk „rete 28 aprile“, hat beim letzten Kongress nur mehr 3 Prozent der Stimmen erhalten. Mit den Streiks in den letzten Monaten ist aber wieder etwas in Bewegung gekommen. Wir haben diese Initiative voll unterstützt und haben vor 500 Fabriken mit einer halben Million Flugzettel unseren Beitrag zum Erfolg des Streiks geleistet. Vor allem in der Auto- und Metallindustrie haben wir unseren Einfluss ausbauen können. Sogar der „Corriere delle Sera“ schieb in einem Artikel, dass in den Werken, wo die italienischen Luxusautomarken produziert werden (Maserati, Ferrari usw.), Trotzkisten den Betriebsrat stellen!
Die Gewerkschaftslinke ist wieder etwas erstarkt und imstande ein Alternativdokument auf dem Kongress einzubringen. Wir unterstützen dieses linke Netzwerk, in dem wir z.B. in Modena sogar die Mehrheit vertreten. Die Parteispitze der RC hingegen unterstützt die offizielle CGIL-Führung. Diese unterschiedliche Herangehensweise an die Gewerkschaftsarbeit wird auch auf der „Conferenza Operaia“ (ArbeiterInnenkonferenz, Anm.) der RC in diesem Herbst im Mittelpunkt der Debatte stehen.

Funke: Ihr habt in der RC ein wenig den Ruf der „jungen Revoluzzer“. Wie sieht die Jugendarbeit der RC aus?

Alessio Marconi: Die Führung der Giovani Comunisti (GC) ist seit Jahren, seit den Antiglobalisierungsprotesten von Genua, von einer Strömung gestellt worden, die sich „Disobbedienti“ nennt. Sie kommen aus dem autonomen Lager, standen aber in einem großen Naheverhältnis zur Parteispitze um Fausto Bertinotti. Sie machten die GC zu einem Labor für die Experimentierung aller nur denkbaren reformistischen Ideen. Die GC waren schon die längste Zeit in einer schweren Krise. Sie haben nicht einmal in die große Bewegung an den Schulen und Unis im letzten Herbst interveniert. Bei der Abspaltung der Parteirechten Anfang dieses Jahres ging de facto die gesamte Führung der GC mit. Jetzt geht es darum einen Kongress zu organisieren, wo die Grundlage für einen Neustart gelegt werden kann. Wir haben mittlerweile in Mailand die Mehrheit der GC erlangt und bauen diese Struktur neu auf. Viele StudentInnen, die mit uns vergangenen Herbst in der „Onda“ aktiv waren, machen jetzt auch bei den GC mit. Dieses Beispiel wollen wir jetzt auch in anderen Städten kopieren. Und ausgehend davon wollen wir zeigen, wie ein kommunistischer Jugendverband wieder zu einer Massenkraft werden kann.

Funke: Ihr habt zu Beginn des Sommers in Bologna Eure „Festa Rossa“ abgehalten.

Alessandro Giardiello: Ja, das war ein voller Erfolg und zeigte auch unseren wachsenden Einfluss in der RC. Insgesamt hatten wir 5000 BesucherInnen. Jeden Tag gab es vor bzw. neben den Konzerten, Lesungen und Theatervorführungen politische Debatten, zu denen wir SpitzenvertreterInnen der RC, linke GewerkschaftsführerInnen wie auch MarxistInnen aus anderen Ländern eingeladen hatten. 160 GenossInnen aus ganz Italien arbeiteten bei dem Fest mit. Bei der „Festa Rossa“ hat sich gezeigt, dass wir für eine wachsende Zahl von ParteiaktivistInnen ein wichtiger Referenzpunkt geworden sind. Wir haben mittlerweile in 42 Sektionen der RC die Mehrheit. In der Lombardei, der Emilia-Romagna sowie in neun Provinzorganisationen der RC sind wir für die Gewerkschaftsarbeit der Partei verantwortlich. In der Führung der RC konnten wir im vergangenen Jahr unseren Stimmenanteil von 3 auf 6 Prozent steigern. Unser wachsender Einfluss spiegelt sich auch in den steigenden Verkaufszahlen unserer Zeitung „Falce Martello“ wider.
Je stärker wir werden desto eher ist die Zukunft der RC als Kampfpartei mit einer revolutionären Perspektive gesichert. Darauf arbeiten wir in der kommenden Periode hin.


* Alessandro Giardiello ist der Verantwortliche der Abteilung „soziale Verankerung“ in der PRC, Alessio Marconi ist Sprecher der CSP-CSU und Jacopo Esteban Renda ist Mitglied des Comitato Politico Nazionale der PRC


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